Zukunft des Kreativen
Es kommen interessante Zeiten, dank KI, trotz KI. Wie fängt man einen solchen Text an? Sicher nicht, indem man sich an GPT wendet und mal schaut, was der Maschine zum Thema Kreativität einfällt. Wirkliche Schreibe, gute Schreibe, inspirierte Schreibe, das ist immer noch unsere Domäne. Die menschliche, die des Hirns.
«Genius, meist schöpferische Geisteskraft, hochbegabter schöpferischer Mensch, Schutzgeist, im 16. Jh. aus der klassischen lateinischen Sprache und Gedankenwelt von den Humanisten ins Deutsche übernommen.Lateinisch genius bezeichnet den Schutzgeist, zumal den, der über Zeugung, Geburt und Leben des Menschen waltet, dann die im Manne verkörperte Kraft, Energie, Genussfähigkeit, spätlateinisch auch schöpferische Begabung, Talent.»
Etymologisches Wörterbuch des Deutschen
Etymologisch ist der Fall klar: Das Genie, die Urkraft des Gebärens von Neuem, das bleibt bei uns. Wobei, kleiner Einwand: In GPT steckt es ja auch, dieses «generative». Ich werde hier also nicht in die gerade sehr beliebte KI-Pauschalkritik einstimmen – nein, diese neuen generativen Modelle sind nicht einfach «stochastische Papageien», wie sie die ehemalige Google-Ethikerin Timnit Gebru in einem berühmten Artikel genannt hat. GPT, Midjourney und Konsorten haben erstaunliche Fortschritte gemacht und sie werden in den nächsten Jahren noch weitere machen. Und vor allem: Sie haben ein altes Machine-Learning-Paradigma auf den Kopf gestellt. Künstliche Intelligenz, das hiess lange mächtige statistische Werkzeuge, die der Reduktion von Komplexität dienten: Analyse, Mustererkennung, Kategorisierung von grossen Datensätzen, darin lag die Stärke der herkömmlichen Modelle.
Das Generative war bestenfalls eine Sonderfunktion, eine Derivation der eigentlichen Funktionsweise. Googles Deep Dream, vielleicht so etwas wie der Ursprung «schaffender» KI, entstand tatsächlich, als ein Software-Ingenieur 2016 auf die Idee kam – ganz ehrlich: Wie kommt man auf sowas? –, den gut trainierten und solid laufenden Bilderkennungs Algorithmus rückwärts laufen zu lassen. Das war zwar funktional komplett unsinnig, verwandelte aber jedes langweilige Foto in eine irre, psychedelisch bunte Phantasmagorie aus Augen, Hundeköpfen und ornamentalem Unsinn.
Analyse – umgedreht
Die KI hatte gelernt zu imaginieren. Zunächst interessierte das ausser ein paar Nerds kaum jemanden, auch wenn sich die generativen Technologien rasch überschlugen. Wozu sollte das gut sein, eine Maschine, die ein Körnchen Wahrheit (den notorischen prompt) zu irgendwelchen Erfundenheiten aufbläst und weiterspinnt? Für Anwendungen gut und insofern auch Investmentgeld wert schien nach wie vor bloss die Gegenrichtung: das Durcheinander sortieren, reduzieren, analysieren. Also Spracherkennung, Bilderkennung, ein Auto durch den Verkehr navigieren. Nicht ins Kraut schiessen, sondern das Dickicht zähmen, das erwarteten wir von den Maschinen.
Dann kam GPT
GPT erinnert uns mit einiger Heftigkeit an den ominösen Turing-Test. Schon in den 1950er-Jahren formulierte der britische Logiker, Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker Alan Turing den grossen Mythos im Feld der KI. Turing fragte ganz einfach danach, ob es so etwas wie uneigentliche Intelligenz geben kann und wenn ja, wie wir sie unterscheiden sollten von der eigentlichen, das heisst: von unserer. Turing glaubte, wir würden genau dann merken, dass sie da ist, wenn wir die Unterscheidung nicht mehr hinbekommen. Noch grundsätzlicher fand er, dass diese Unterscheidung im selben Moment überhaupt hinfällig wird, dass die Frage nach einer wahren und einer falschen Intelligenz dann keinen Sinn mehr macht. Weil Intelligenz keine inhärente Eigenschaft ist, sondern eine zugeschriebene.
In zehn Jahren
Ob das auch für Kreativität gilt? In zehn Jahren wird sich wohl viel um eben diese Frage drehen. Wir begreifen erst so langsam, wie einschneidend dieser Umschwung war, der sich da in den letzten Jahren ereignet hat, diese so harmlos aussehende Umkehr der Algorithmen. Die Maschine nicht als Deuterin, sondern als Erzeugerin von Wirklichkeiten. Wird da noch ein fundamentaler Unterschied im Generativen sein, wenn eine Maschine Texte schreibt, Musik macht, Bilder generiert und wenn ein Mensch einer künstlerischen Inspiration folgt? Im schlechtesten Fall ist das eine vom anderen nicht mehr wirklich zu unterscheiden: Dann wird Kunst zum Hobby.
Im besten Fall schärft das Routinemonster GPT unsere Vorstellung davon, was Kunst sein kann, wenn sie nicht einfach sich selbst genügt. Oder wie der Medienwissenschaftler und Poesie-Experimentator Hannes Bajohr in seinem Buch Schreibenlassen. Texte zur Literatur im Digitalen schreibt: «Im Zeitalter grosser Sprachmodelle ist Avantgarde literarische Selbstverteidigung.» Es kommen interessante Zeiten! Ob mit, ob nebst, ob gegen die KI.