«Bitte anfassen, rumlaufen und laut sprechen»: Raum schaffen für die kleinsten Künstlerinnen und Künstler
Gemäss Daten des Bundesamts für Statistik zum Kulturverhalten der Schweizer Bevölkerung besuchen fast zwei Drittel der Eltern (64 %) regelmässig eine Kulturinstitution mit ihren Kindern. Dieser hohe Anteil ist an sich erfreulich. Er ist der Beweis dafür, dass die Bedeutung kultureller Bildung ab Kindesalter in der Schweiz breit anerkannt ist. Aber wenn man sich die Statistiken etwas genauer anschaut, dann zeigt sich ein eher ernüchterndes Bild: Bei jungen Eltern unter 30, bei denen in der Regel auch das Alter der Kinder entsprechend tiefer ist (das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt des ersten Kinds liegt in der Schweiz bei etwas über 31), sinkt dieser Anteil auf knappe 40 %. Und wenn man diese jungen Eltern noch fragt, ob sie mit ihren Kindern eine spezifische «Veranstaltung besuchen, die von einer Kulturinstitution organisiert wird», dann sinkt der Anteil der positiven Antworten so tief (4,7 %), dass das Bundesamt für Statistik das Ergebnis als «unsicher» einstuft.Kleine Kinder sind in Kulturinstitutionen also eher selten anzutreffen. Wenn überhaupt, dann am ehesten in Kulturinstitutionen wie naturwissenschaftlichen oder technischen Museen, deren Aktivitäten als interaktiv gelten. Weiter ist auffällig, dass die Werte der höhergebildeten Befragten systematisch höher ausfallen: Sie gehen selber öfter an kulturelle Veranstaltungen, sind öfter selber kulturell aktiv und besuchen öfter Kulturinstitutionen mit ihren Kindern. Insgesamt kommen bei rund 10 % der Eltern die Kinder praktisch nie in den Genuss von Kulturbesuchen, wobei bei weniger gebildeten Eltern dieser Anteil auf rund einen Viertel steigt. Und bei den jungen Eltern unter 30 sind es mehr als die Hälfte (55,6 %), die angeben, dass sie in den letzten 12 Monaten kein einziges Mal mit ihren Kindern in einer Kulturinstitution oder an einer Kulturveranstaltung waren.Dass es bereits ab der frühen Kindheit Zugang zu Kunst und kulturellen Ausdrucksformen braucht, ist sowohl aus frühpädagogischer Sicht als auch aus politischer Perspektive unbestritten. Und trotzdem stellt dieses Anliegen immer noch viele Kulturinstitutionen und Kulturschaffende vor grosse Herausforderungen. «Nicht anfassen», «Sitzen bleiben», «Bitte leise sprechen – oder gar nicht sprechen»: Solche und weitere Regeln gelten nach wie vor in vielen Kulturinstitutionen oder zumindest in der Wahrnehmung des Publikums – und schliessen Familien mit kleinen Kindern de facto vom Kulturleben aus. In den letzten Jahren hat zum Glück bereits ein Wandel begonnen im Zuge der politischen Forderung nach einer breiten kulturellen Teilhabe und einer verstärkten Koordination im Bereich der frühen Förderung und nicht zuletzt dank breit abgestützten nationalen Initiativen wie Lapurla.Teilhabe und Mitgestaltung des Kulturlebens sind Grundrechte, unabhängig von Alter, Gender, Herkunft, Sexualität, Gesundheit oder Beeinträchtigungen. Kinder sind in Kulturinstitutionen nicht «fehl am Platz». Es liegt an uns allen – Kulturförderstellen, Kulturschaffenden, Kulturpublikum –, die notwendigen Räume, Zeiten und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, um auf die Neugier und Kreativität von Kindern einzugehen. Mit kleinen Kindern kreativ zu sein, heisst, nicht zu wissen, wohin dieses Tun führt. Nicht umsonst ist «Ziellos zum Ziel» einer der Hauptgedanken hinter der Initiative von Lapurla. Diese Ergebnisoffenheit ist ein wichtiges Merkmal aller teilhabeorientierten Prozesse. Sie gibt Kindern die Kraft und Freude am selbstbestimmten Handeln, womit sie ihre eigene Kreativität entdecken und entfalten können. Was sich daraus ergibt, sind neue ästhetische und künstlerische Ausdrucksformen, an denen wir generationenübergreifend teilhaben können. Denn Teilhabe ist Teil geben – und Teil sein.