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N°2/2025
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«Wie dir der Schnabel gewachsen ist»

Jedes Jahr nimmt das Schweizerische Literaturinstitut 15 Studierende auf. Muriel Allan wird ihre Bachelorarbeit Lasse im Rahmen der Diplomveranstaltungen der HKB in Biel präsentieren.  

Text

Kulturjournalistin in Bern 

Ein Mann holt sein Kind aus der Schule ab. Der Bub will nicht mitkommen, beziehungsweise erst, wenn er seinen Fisch fertiggebastelt hat. Zwischen Vater und Sohn entsteht im Dialog der Autorin Muriel Allan ein sprudelndes Ping Pong. Geschrieben hat sie den Text auf Mundart, auf Thurgauer Dialekt. «Ich bi no nöd fertig mitm Fisch!» – so klingt das dann.  

Mundart ist für die 25-Jährige, die im dritten Jahr am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studiert, zunehmend ein Thema. «Du kannst schreiben, wie dir der Schnabel gewachsen ist», so Allan. Sie selbst ist zweisprachig aufgewachsen, ihr Grossvater war Engländer. Den Dialog über Vater, Sohn und Fisch hat sie in einem so genannten Schreibatelier während der Ausbildung geschrieben. «Die Dozentin brachte uns allen je eine verschiedene Postkarte mit.» Auf Allans Karte waren ein Mann und ein kleiner Bub zu sehen. Am Rücken des Mannes klebte ein Papierfisch. Eine Stunde Zeit kriegten die Studierenden, um sich zu ihrer jeweiligen Postkarte einen Text einfallen zu lassen.   

Coming of Age-Geschichte
Jedes Jahr nimmt das Schweizerische Literaturinstitut rund 15 Studierende auf, die einen Bachelor in Literarischem Schreiben absolvieren. Allan hat im Mai ihre Bachelorarbeit eingereicht. Ein Gespräch darüber mit einer Expert*innenjury steht noch bevor. Im Roman Lasse wird aus der Perspektive eines jungen Mannes erzählt. Allan hatte zuvor in vielen ihrer Texte aus weiblicher Sicht geschrieben. «Meine Schwester meinte, ich solle doch mal einen mir fremden Blickpunkt einnehmen», so Allan. So sei Lasse entstanden. Der Name habe ihr gefallen, heisse doch eine Figur in der Kinderbuchreihe Wir Kinder aus Bullerbü von Astrid Lindgren so. Sie habe ihre Figuren aus der Fantasie entwickelt, so Allan. «Aber natürlich steckt auch viel von mir selbst in den Charakteren.» Eine Coming of Age-Geschichte habe sie geschrieben. Lasse komme aus der Schule, sei auf der Suche nach sich selbst und seinem Weg.  

Das Erwachsenwerden ist ein wiederkehrendes Thema in der Literatur. Gibt es etwas, das für Allans Generation spezifisch ist? Ihre Generation habe viele Möglichkeiten, eine grosse Freiheit, so die Autorin. Durch die vielen offenen Türe falle es manchmal schwer, sich zu entscheiden, welche man nehmen solle. Die sozialen Medien hätten sicher einen grossen Einfluss auf das Selbstbild heutiger junger Menschen. «Meine Figur Lasse hat zum Beispiel eine sehr klare Vorstellung, was Männlichkeit betrifft.» Das Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit und die damit verbundenen Unsicherheiten spielen im Roman eine wichtige Rolle.   

Allan wusste bereits als Jugendliche, dass sie schreiben zu ihrem Beruf machen möchte. Sie habe sich aber nach der in Frauenfeld absolvierten Matura noch nicht parat gefühlt, um sich beim Literaturinstitut zu bewerben. «Geschrieben habe ich bereits als Kind», so Allan. Sie schrieb, kaum hatte sie das Schreiben erlernt, kleine Gedichte und führte Tagebuch. Nach der Matura immatrikulierte sie sich an der Universität Zürich mit der Absicht Ethnologie, Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte zu studieren. Doch das Schreiben fehlte ihr. Sie schickte schliesslich ihr Portfolio mit eigenen Texten sowie ein Motivationsschreiben ans Schweizerische Literaturinstitut und wurde nach einem Gespräch aufgenommen. Das Feedback der Dozierenden habe sie als ermutigend empfunden. «Manche Inputs haben mich auf neue Ideen gebracht.»  

«Sitzen alle im gleichen Boot. Wir schreiben.»
So habe sie viel experimentiert, auch mal auf Anregung einer Mentorin einen 30-seitigen Text auf zehn Seiten runtergedampft, um zu merken, dass es so immer noch funktioniere. Individuelle Förderung ist ein wichtiges Credo des Schweizerischen Literaturinstituts. «Du holst dir das, was du brauchst», so Allan. Die Stimmung unter den Studierenden sei sehr freundlich und kollegial. «Wir sitzen alle im gleichen Boot. Wir schreiben.» Genossen habe sie das gemeinsame Lesen und Schreiben, die Schreibateliers und Kolloquien. Doch auch die Theorie habe sie inspiriert. In einem Seminar habe sie durch das Thema «absurdes Theater» das groteske Schreiben für sich entdeckt. Sie habe vieles ausprobiert und sei am Ende doch beim Roman angekommen.  

Für ihre Bachelorarbeit sucht sie nun einen Verlag. Ihr Text ist 160 Seiten lang, 40 war die Mindestanforderung. Ihr Mentor ist der vielseitige Walliser Autor Rolf Hermann. Für Allan ergaben sich während der Ausbildung verschiedene Publikationsmöglichkeiten. Für das Projekt Poésie à l’hôpital, das lyrische Auszeiten für Patient*innen vereint, schrieb sie einen Beitrag, der auf die Serviertabletts des Spitals auf Deutsch und Französisch gedruckt wurde. «In meinem Gedicht ging es um Sehnsucht, um den Wunsch irgendwo anders sein zu wollen.»

HKB zu Gast in Biel
Allan möchte gerade nirgendwo anders sein. Sie schätzt das kulturelle und gesellige Leben im zweisprachigen Biel, das Partys, Lesungen und Konzerte, etwa im Kultlokal «Le Singe» zu bieten habe. An der kommenden Diplomveranstaltung wird Allan aus Lasse vorlesen. Die Veranstaltungen der HKB hinterlassen immer wieder Spuren in Biel, einer Stadt mit sichtlich kreativem Potential, wo Literatur praxisnah unterrichtet wird.   

Die Diplomveranstaltung des Bachelor-Studiengangs Literarisches Schreiben findet im Schweizerischen Literaturinstitut statt. Eine Badi, der Jura, ein Mordfall, Körper und Intimitäten, sowie sich wandelnde Familien und Anti-Helden kommen in den Texten der Abschlusslesungen vor. In La Clemenza di Tito von Mozart treten Studierende aus dem Masterstudiengang Specialized Music Performance – Oper auf. Die Diplomveranstaltung der Contemporary Arts Practice-Studierenden findet an verschiedenen Orten in Biel in Form des Festivals On ne peut pas cacher le soleil statt, bei dem Ausstellungen, Installationen, Lesungen, Performances und Konzerte geboten werden. Die Diplomveranstaltung der Bachelor-Studierenden im Bereich Musik und Bewegung eröffnet mit einem selbst gestalteten Abend das Festival für Tanz/Musik/Rhythmik in Biel.