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N°1/2022
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Wider das verkochte Leben

Denken wir über Küchen nach, müssen wir unweigerlich über das Patriarchat nachdenken, über gesellschaftliche Verhältnisse und soziale Ungleichheiten. Ein Essay über die Geschichte und die Kämpfe in der Küche.

Text

(*1991) hat Literarisches Schreiben und Contemporary Arts Practice an der HKB studiert, ist Autorin und arbeitet in Küchen. Ihr erster Roman «Bei den grossen Vögeln» erschien 2021 und wurde mit dem Kranichsteiner Literaturförderpreis ausgezeichnet.

Über die Küche als sozialen Ort schreiben? Ich sage sofort zu. Ich habe lauter Ideen: ich könnte über die Bedeutung von Küchen im Film sprechen oder über die Küche als literarischen Schauplatz – oder die Küche als Rückzugsort der Bediensteten im bürgerlichen Haushalt. Oder einfach über meine eigenen Küchen, die unzähligen WG-Küchentischgespräche, das lärmige Gefoppe in jener Restaurantküche, in der ich manchmal als Aushilfe arbeite, die Küche meiner Grossmutter. Ich denke, wenn einem beim Sterben wirklich das gesamte Leben vor Augen vorbeizieht, dann werde ich eine nicht enden wollende Reihe von Küchen sehen, Küchen, in denen alles Mögliche passiert ist, in denen sich mein Leben abgespielt hat.Während ich meinen Computer aufklappe, kommen mir erste Zweifel. Die Küche ist noch immer nichts, was so unbedarft reduziert werden kann auf einen normalen Raum in einer Wohnung. Sie ist nicht bloss ein warmes Wohlfühlecklein, in das wir uns zurückziehen, um zu kochen, zu essen, zu rauchen, zu quatschen. Wo wir also kreativ sind, unsere Bedürfnisse stillen, unseren Lastern frönen und gesellig oder eben sozial sind. Über die moderne Küche kann ich nicht nachdenken, ohne die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Geschlechterhierarchie. So augenfällig ist die Küche eine Chiffre für patriarchale Unterdrückung, für die Kontinuität einer gesellschaftlichen Geschlechterordnung, an der wir uns auch noch im Jahre 2022 die Zähne ausbeissen, und für das mutwillige Falschverstehen des Begriffes Wirtschaft, welches Reproduktions- und Sorgearbeit abwertet und gar nicht erst einbezieht, welches Sorgearbeitende arm hält. Eine Chiffre also für ein ganz und gar asoziales System.Die Geschichte der Küche und ihres Stellenwertes, überhaupt ihrer Funktionen, ist wechselvoll. Einst eine Feuerstelle unter freiem Himmel (falls wir das denn schon Küche nennen wollen), wandert die Küche im antiken Griechenland ins Atrium, einen meist überdachten Innenhof. Im Römischen Reich werden Küchen im Innern der Häuser angelegt, der hohen Rauchentwicklung wegen ist die Küche ausschliesslich Arbeitsstätte von Versklavten. Die gewöhnlichen Stadtbewohner*innen verfügen meist nicht über eigene Küchen, sondern suchen zur Nahrungszubereitung zentrale Bäckereien und öffentliche Küchen auf. Das offene Feuer ohne Schornstein und die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten dominieren die Küchen und Kochstellen in Europa noch einige Jahrhunderte. In den Langhäusern des europäischen Mittelalters wird mitten im Raum auf offenem Feuer gekocht, das gleichzeitig die einzige Licht- und Wärmequelle ist, um die sich die Bewohnenden einfinden. Die später aufkommende mittelalterliche Schwarzküche ist hingegen kein Raum, der zum Verweilen einlädt, sondern ein meist fensterloser Feuer- und Kochraum, in dem der Rauch bis weit unter die Decke hängen bleibt und zum Räuchern von Lebensmitteln verwendet wird.Was wir als «moderne» Küche einwandfrei identifizieren können, finden wir dann wohl erstmals in den Klosterküchen und Adelshäusern, aber bald ebenso in bürgerlichen oder auch bäuerlichen Küchen des späten 18. Jahrhunderts, die mit zumindest dreiseitig geschlossenen Öfen und Schornsteinen oder gar Kochherden mit komplett geschlossenem Feuerraum ausgestattet sind. Wenn auch einige Utensilien überraschen oder abschrecken dürften, da diese Küchen vielfältigeren Zwecken Raum bieten, als heutige es für gewöhnlich tun. So werden in den Küchen nicht nur die täglichen Mahlzeiten zubereitet und Brot gebacken, sondern vom Getreidemahlen übers Holzhacken, kleinere Schlachtungen und die Fertigung und das Konservieren von Wurstwaren bis hin zur Bearbeitung von Flachs oder zur Herstellung von Kerzen und Seifen wird alles erledigt, was zur Versorgung eines Hauses, einer Hauswirtschaft vonnöten ist.1 Die Küche der frühen Neuzeit ist auf das Anlegen, Haltbarmachen und Horten von Jahresvorräten angelegt, eine Aufgabe und Tätigkeit, die für das Überleben unerlässlich ist. Dementsprechend hoch ist der Stellenwert dieser Arbeit – nämlich der Feldarbeit gleichwertig (wobei dies nicht über die dennoch wirksame und gewaltvolle patriarchale Geschlechterhierarchie hinwegtäuschen soll). Dies gilt ebenso für den bürgerlich-städtischen Haushalt, der bis ins ausgehende 18. Jahrhundert ein auf Vorratswirtschaft angelegter Produktionsbetrieb mit mehreren Angestellten ist, dem die Hausmutter vorsteht.2Während der zunehmenden Industrialisierung und der steigenden Urbanisierung erlebt die Hausarbeit einen erheblichen Wandel. In den engen Mietskasernen gibt es keinen Platz für ausladende Küchen, auch verfügt die entstehende Schicht von Proletarier*innen nicht über die Ressourcen, um Vorräte im Sinne einer Jahreswirtschaft anzulegen. Im Zuge der Trennung von Wohnen und Arbeiten, der Abkehr von der (als Konzept nicht unumstrittenen3) «Ökonomie des ganzen Hauses» hin zur industriellen Warenproduktion entwickelt sich diese Hauswirtschaft zur einfachen Hausarbeit, die (ungeachtet des Namens) nicht mehr als produktive Arbeit angesehen wird. So verliert sie den Status als substanzieller und gleichwertiger Teil zur Sicherung des Überlebens. Die Lebensgrundlage wird nun angeblich nurmehr durch Lohnarbeit erwirtschaftet – die in der Arbeitskraft enthaltene Reproduktion derselbigen verschwindet aus dem Kreis der ökonomisch relevanten Grössen. Damit geht die nachhaltige Unsichtbarmachung geleisteter Reproduktionsarbeit einher, welche aber für die kapitalistische Wertschöpfung genauso wesentlich ist wie die entlohnte produktive Arbeit. Das bürgerliche Ehe- und Familienbild schreibt die Hausarbeit endgültig als unentlohnter Liebesdienst fest.Da in Realität die Erwerbsarbeit des Mannes selten zur Deckung der Lebenskosten ausreicht, arbeiten Frauen ebenfalls ausserhalb des Haushaltes, während die Hausarbeit (selbstverständlich) ihre Aufgabe bleibt und ihr Verdienst (offensichtlich) nur als Zuverdienst verstanden wird; die viel zitierte Doppelbelastung der Frauen ist demnach kein Produkt des 20., sondern des 19. Jahrhunderts. Es wundert also nicht, dass feministische (Arbeits-)Kämpfer*innen immer wieder an der Organisation der Reproduktionsarbeit oder auch ganz direkt an den Küchen ansetzten, um ihre Verhältnisse zu verbessern. Beispielsweise die «materiellen Feministinnen», die um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert versuchten, ganze Quartiere durch kollektive Haushaltführung neu zu organisieren.4 Denn wie Silvia Federici 1974 in ihrem Aufsatz «Counter-Planning from the Kitchen» (dt: Aufstand aus der Küche) schreibt, hat «[e]ine zweite Arbeit anzunehmen […] uns noch nie von der ersten befreit. Zwei Arbeiten zu erledigen, hat für Frauen immer nur bedeutet, über noch weniger Zeit und Energie für den Kampf gegen beide zu verfügen.»5Wer nun denkt, das sei längst überholt, der oder dem seien ein paar Zahlen aus dem Bundesamt für Statistik ans Herz gelegt, laut welchen in der Schweiz auch heute noch über 60% der insgesamt jährlich 8,5 Milliarden Stunden unbezahlter Haus- und Familienarbeit auf Frauen entfallen. Wird dies mit der Tatsache verrechnet, dass Frauen für bezahlte Arbeit oft weniger verdienen als Männer, verfügen Frauen in der Schweiz über 100 Milliarden Franken weniger pro Jahr – 80% davon würden verschwinden, wenn Frauen für den Teil, den sie im Haushalt «mehr» leisten als Männer, entlohnt würden.6 Wenn Denkerinnen und Aktivistinnen wie beispielsweise Mariarosa dalla Costa oder Silvia Federici in den 1970-ern Lohn für Hausarbeit forderten, zielten sie allerdings nicht «bloss» darauf, für Reproduktionsarbeit endlich entlohnt zu werden, sondern strebten im Unterlaufen der Rolle, die der Hausarbeit innerhalb der kapitalistischen Arbeitsteilung zugewiesen wird, eine revolutionäre Strategie eines vereinten Kampfes der Arbeiter*innenklasse an. In diesem Sinne sei der Aufstand aus der Küche ganz wörtlich verstanden – und die Küche (vorerst – und allen romantischen Gefühlen, die wir privat mit diversen Küchen verbinden, zum Trotz) weniger als sozialer Ort denn als Ort des sozialen Kampfes.