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N°4/2023
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Vom pionierhaften Weiterbildungsstudiengang zur nationalen Initiative und zu den ersten Lapurla-Awards

Lapurla ist eine nationale Initiative mit dem Ziel, ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe für Kinder von 0 bis 4 Jahren in der Schweiz zu verankern. Kulturorte als vielfältige Sinneswelten sollen mit einer Willkommenskultur auch für die Jüngsten und ihre Begleitpersonen zum gemeinsamen Entdecken und Erforschen einladend sein. Kinder lernen zusammen mit Kunstschaffenden und Kulturvermittelnden ihre Alltagsumgebung als kreative Freiräume kennen.

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Studienleiterin CAS Kulturelle Bildung HKB, Fondatrice und Geschäftsleiterin der Stiftung Lapurla

Lapurla ist 2018 als Kooperationsprojekt zwischen der Hochschule der Künste Bern und dem Migros-Kulturprozent gestartet. In der Pilotphase bis 2021 wurden Modellprojekte entwickelt und evaluiert, anhand deren aufgezeigt werden konnte, dass und wie das Recht auf kulturelle Teilhabe gemäss § 31 der UN-Kinderrechte auch im Frühbereich eingelöst werden kann. 2021 hat Lapurla im Rahmen einer ersten nationalen Tagung mit Teilnehmenden aus allen Landesteilen und dem nahen Ausland ein Netzwerk gegründet. Dieses umfasst bis heute über 200 Netzwerkpartner*innen, die sich auf allen Ebenen für die Anliegen von Lapurla stark machen. Lapurla arbeitet fachlich eng mit dem deutschen Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (NFKB) zusammen und hat bspw. ein gemeinsames Positionspapier zu den UN-Kinderrechten (2021) sowie die Broschüre Kinder brauchen kreative Politiker:innen (2023) herausgegeben.
Seit Ende 2022 hat Lapurla die Rechtsform einer unselbstständigen Stiftung unter dem Dach der Fondation des Fondateurs – mit eigenem Stiftungszweck und Stiftungsrat, dem auch Prof. Dr. Thomas Beck, Direktor HKB, angehört. Strukturell verankert ist Lapurla an der HKB im Fachbereich Weiterbildung. Anfang 2023 hat Lapurla Regionalgruppen aufgebaut, um die regionale Vernetzung und das Agenda-Setting weiter voranzutreiben.

Fruchtbare Synergien zwischen Theorie, Lehre und Praxis
Grundlage für die Vision von Lapurla bildet die Fokuspublikation Ästhetische Bildung & Kulturelle Teilhabe – von Anfang an! (Kraus/Ferretti 2017), die auf dem Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung basiert (Wustmann Seiler/Simoni 2012). Beide Publikationen stehen unter dem Patronat der Schweizerischen UNESCO-Kommission und gelten heute landesweit als Referenzrahmen. Die Fokuspublikation ist aus dem pionierhaft und seit 2013 erfolgreich laufenden Weiterbildungsstudiengang CAS Kulturelle Bildung an der HKB hervorgegangen, in dessen Rahmen seit zehn Jahren frühkindliche Praxisprojekte erprobt und evaluiert werden. Die berufsbegleitende Weiterbildung richtet sich gleichzeitig an pädagogische Fachpersonen sowie Kunst-, Musik- und Kulturvermittelnde, weil für adäquate und qualitativ gute Angebote die interprofessionelle Zusammenarbeit unabdingbar ist.
Lapurla hat national aufzeigen können, dass die in der Fokuspublikation geforderten Massnahmen zu den verifizierten Handlungs- und Entwicklungsfeldern notwendig sind, wenn Chancengerechtigkeit in der Schweiz Realität werden soll. Damit die erforderliche transdisziplinäre Zusammenarbeit systematisch aufgebaut und erprobt werden kann, hat Lapurla zur Lancierung von Modellprojekten Ko-Konstruktion zwischen den Bereichen Kultur und Frühbereich als Bedingung gesetzt. Im Fokus stand dabei immer die Frage, wie das Setting die frühkindlichen Bedürfnisse und Besonderheiten erfüllen kann.

Erstmals Lapurla-Awards vergeben
In diesem Jahr wurden die Lapurla-Awards ausgeschrieben. Im November sind an der HKB fünf Awards vergeben worden für qualitativ weit entwickelte Teilhabeprojekte im Frühbereich. Zwei davon in der Kategorie Best Practice für Settings Kinder zur Kunst im Kontext Museum. Eines im ländlichen Raum mit Fokus Architektur, das andere im städtischen Raum, bei dem der Fokus nebst der Architektur auch ganz stark auf individuellen Zugängen zu ausgewählten Kunstwerken liegt. Die beiden Projekte seien hier vorgestellt:
Das Projekt CHIKU ist eine Kooperation der Kunsthalle Ziegelhütte mit dem ortsansässigen Chinderhort. Ein Lapurla-Modellprojekt der ersten Stunde, das sich seit 2018 nachhaltig verankert und qualitativ kontinuierlich weiterentwickelt hat. Gestartet wurde mit den «Grossen» (Kinder 3–4 Jahre), zwischenzeitlich sind aber auch Gruppen mit jüngeren Kindern (1–2 Jahre) vertraute Gäste im Museum. Es besteht ein grosses Commitment beider Partner*innen, auch das Museumspersonal von der Kassiererin bis zur Aufsicht sowie Lernende des Horts werden aktiv miteinbezogen. So wird eine Willkommenskultur von allen Beteiligten getragen, von der beide Seiten profitieren. Das sinnliche Potenzial des Raumes – einer ehemaligen Ziegelbrennerei – wird explizit gelebt, das heisst, die Kinder können die unterschiedlichen architektonischen Elemente (bspw. Ziegel-, Holz- und Glasböden, den ehemaligen Brennofen) mit allen Sinnen erleben und erforschen. Das Prinzip der Freiwilligkeit wird eingelöst, indem die Kinder ihrer Neugier folgen und selber bestimmen, wo sie hingehen. CHIKU zeigt zudem den gesellschaftlichen Impact, wie ein örtliches Kunstmuseum durch die Kinder auch für Familien, die bisher keinen Bezug zum Museum hatten, zugänglich und spannend geworden istDas Projekt EspaceS créatifS au Musée d’art et d’histoire ist eine Kooperation zwischen dem MAH und einer Kita in Genf. Die Bedürfnisse und Wünsche der verschiedenen beteiligten Akteur*innen werden berücksichtigt. Besondere Aufmerksamkeit wird der aktiven Erkundung der Architektur des Museums und der verschiedenen Kunstwerke gewidmet, abgestimmt auf den Rhythmus und das Alter jedes Kindes. Die Emotionen, die durch diese anregenden Entdeckungsreisen hervorgerufen werden, fördern die Kreativität der Kinder, wenn sie – inspiriert von den originalen Werken – im Ausstellungsraum eigene Ausdrucksformen entwickeln. Es ist sehr berührend und beeindruckend zugleich, wie intensiv die Drei- bis Vierjährigen mit der Kunst interagieren.

Blick in die Zukunft
Bis Ende 2024 kann Lapurla mit Mitteln des Migros-Kulturprozent das nationale Engagement für die frühkindliche kulturelle Teilhabe fortführen. Ob und wie es danach ohne diese substanzielle Unterstützung weitergehen kann, steht noch offen. Die Schwierigkeit liegt darin begründet, dass die öffentliche Hand sowie private Kulturfördernde meist nur schulische Projekte unterstützen. Solange frühe Kindheit in diesem Land als Privatsache gilt und Bildung erst ab Schuleintritt finanziert wird, werden wir mit der Einlösung der UN-Kinderrechte im Frühbereich nicht grundlegend weiterkommen. Es braucht deshalb nebst der Professionalisierung von Fachpersonen die Schaffung von Zuständigkeiten auf allen Ebenen, die mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet sind. Der Ball liegt diesbezüglich bei der Politik, den Kantonen und den Gemeinden. Des Weiteren eröffnet sich hier ein innovatives Berufsfeld im Kultursektor, das auch für Absolvierende von Kunsthochschulen von hohem Interesse sein müsste. Angebote für die Jüngsten sind die Königsklasse, weil diese gleichzeitig immer auch Erwachsene abholen und einbinden können müssen. Das ist höchst anspruchsvoll und erfordert generationsübergreifende Kompetenzen. Dass und wie dies gelingt, hat Lapurla aufgezeigt. Nur gemeinsam schaffen wir es, Chancengerechtigkeit ab Geburt zu erreichen.