Virtual Echo – Sammlung im digitalen Raum
23 Studierende des Studienganges Visuelle Kommunikation haben im Depot des Kunstmuseums Thun Werke aus-gewählt und digitalisiert. Entstanden ist ein spannender Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Kunst und digitaler Transformation.
ist Kunstvermittlerin, Grafikerin und Lehrerin. Sie leitet die Kunstvermittlung im Kunstmuseum Thun. Sie lebt und arbeitet in Bern.
Virtual Echo ist das erste Projekt der Serie PIXELS & PATINA, einer Kooperation zwischen der Hochschule der Künste Bern und dem Kunstmuseum Thun. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden ausgewählte Werke nicht nur betrachtet, sondern durch digitale Techniken interpretiert und neu erfahrbar gemacht. Das Projekt stellt eine zentrale Frage: Was geschieht mit Kunst, wenn sie in den virtuellen Raum überführt wird? Was bleibt bestehen, was geht verloren – und welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich?

Die Begegnung mit der Sammlung
Das Projekt begann mit einem Besuch im Depot des Kunstmuseums Thun. Die Studierenden erhielten die Möglichkeit, sich frei durch die Sammlungsräume zu bewegen. Die Auswahl der Werke war intuitiv, wobei sich die Studierenden jeweils in Gruppen für ein Werk entschieden, das eine Resonanz bei ihnen auslöste. Dabei standen nicht kunsthistorische Aspekte im Vordergrund, sondern primär Fragen zur eigenen Wahrnehmung und Interpretation. Die Sammlung umfasst rund 7000 Arbeiten mit Schwerpunkt auf Schweizer Kunst der Klassischen Moderne, Schweizer Pop-Art sowie Arbeiten namhafter Künstler*innen der Region. Der Reiz des Projekts lag genau in dieser Vielfalt – in der Möglichkeit, Werke aus verschiedenen Zeiten und Kontexten miteinander in einen Dialog zu setzen. Zu den ausgewählten Arbeiten zählen:
Paul Klee Garten der Leidenschaft (1913) – eine Zinkradierung, die durch ihre filigrane Linienführung und ihre emotionale Tiefe besticht
Werner Fehlmann Eisbruch (1981) – eine abstrakte Darstellung einer zerbrechlichen Eislandschaft
Samuel Buri Chalet (1967) – ein Werk, das mit Farbe und Struktur spielt und die Verbindung zwischen Natur und Architektur erforscht
René Myrha Flash devant l’oiseau (1969/1970) – eine kraftvolle, geometrische Komposition
Chantal Michel Sorry Guys (1997) – eine Videoinstallation, die sich mit Identität und Inszenierung auseinandersetzt
Nach der Auswahl begann die digitale Transformation. Die Studierenden entwickelten individuelle Ansätze, um die Werke in digitale Medien zu übersetzen. Es kamen unterschiedlichste Techniken zum Einsatz: 3D-Modellierung, Virtual Reality (VR) und interaktive Animationen. Ziel war nicht, einfach eine digitale Reproduktion zu schaffen, sondern neue produktive Perspektiven auf ein Werk zu eröffnen. In Museen sind Werke an bestimmte physische, räumliche und materielle Bedingungen gebunden – sie besitzen eine Aura, wie Walter Benjamin in seinem berühmten Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beschreibt.¹ Die digitale Transformation löst die Werke aus diesen Bindungen und eröffnet neue Möglichkeiten der Interaktion, aber auch neue Herausforderungen in der Vermittlung und Kontextualisierung. Die von den Studierenden ausgewählten Werke wurden in dreidimensionale Erlebnisse umgewandelt, die mittels VR-Brillen erfahrbar sind. Besucher*innen der Ausstellung können nun durch digitale Interpretationen wandern, Räume betreten und mit Werken interagieren, die im physischen Raum statisch und unbegehbar sind.
Virtual Echo ist aber mehr als eine rein digitale Ausstellung – es ist eine Reflexion über das Wesen der Kunst in einer zunehmend technologisierten Welt. Die Filmemacherin Hito Steyerl argumentiert in ihrem Essay In Defense of the Poor Image, dass die digitale Reproduktion eines Werkes zwar oft mit Qualitätsverlusten einhergeht, gleichzeitig aber neue Formen der Verbreitung und der Teilhabe ermöglicht.² Dieser Gedanke ist für Virtual Echo zentral: Während die Materialität eines Gemäldes oder die Tiefe der Farben in der Virtualisierung nicht erhalten bleiben, eröffnet die digitale Form neue Möglichkeiten des Erlebens. Perspektiven lassen sich verändern, Details vergrössern, Räume erweitern und eigene Interpretationen hinzufügen.
Eine Ausstellung zwischen zwei Welten
Die Präsentation von Virtual Echo erfolgt in zwei Phasen. In der ersten Phase wurden die ausgewählten Werke in ihrer ursprünglichen Form im Projektraum enter des Kunstmuseums Thun gezeigt. In der zweiten Phase werden die digitalen Transformationen öffentlich erlebbar gemacht. Besucher*innen haben die Möglichkeit, durch VR-Brillen die Werke in 3D zu erleben und interaktive Elemente auszuprobieren. Diese Zweiteilung der Ausstellung verstärkt ihr zentrales Thema: die Spannung zwischen analoger und digitaler Kunst. Sie zeigt, wie sich unsere Wahrnehmung verändert, wenn Kunstwerke aus ihrem traditionellen Kontext herausgelöst und in neue Medien übersetzt werden.
Virtual Echo ist nicht nur ein einmaliges Ausstellungsprojekt, sondern auch eine Auseinandersetzung mit zukünftigen Fragen der Vermittlung. Die digitale Transformation von Kunst eröffnet für Museen und Bildungseinrichtungen Möglichkeiten. Sie macht Werke zugänglich, die sonst nur im Depot lagern, sie schafft neue narrative Ebenen und bietet jungen Studierenden die Möglichkeit, hinter die Kulissen der Ausstellung zu blicken, indem wir sie teilhaben lassen. Die Dozierenden Hansjakob Fehr und Linn Spitz haben die Studierenden in ihrem kreativen Prozess unterstützt und mit ihnen die Schnittstellen zwischen traditioneller Kunst und digitalen Medien erforscht. Mit Virtual Echo wird die Sammlung des Kunstmuseums Thun nicht nur ausgestellt, sondern in Bewegung gesetzt – zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Realität und Virtualität.
Quo vadis, Zusammenarbeit?
Ab dem 18. April 2025 startet das zweite Projekt der Serie PIXELS & PATINA im Projektraum enter: Decoding Spaces (Vor)urteile, Spuren und Algorithmen. Die Studierenden des Y-Moduls beschäftigen sich mit der Frage, wie Algorithmen unsere Wahrnehmung von Kunst, Identität und Raum beeinflussen. Innerhalb von vier Tagen entwickeln sie im Rahmen der Y-Toolbox-Woche experimentelle Arbeiten: interaktive, installative oder performative Projekte, die Themen wie Überwachung, Vorurteile und digitale Identität aufgreifen. Die entstandenen Werke setzen die Sammlung in einen neuen Kontext und laden das Publikum ein, über die Rolle von Kunst im digitalen Zeitalter nachzudenken.
Ausstellungsdauer: 18.4.–3.8.2025
Vernissage: Do, 17. April 2025, 18.30 Uhr
Projektraum enter, Kunstmuseum Thun