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N°4/2024
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Vielfalt kartieren

Um Stadtbäumen eine stärkere Stimme in der Planung zu geben, braucht es Karten, die mehr als reine Orientierung bieten. Eine neue visuelle Sprache für die Kartierung der Biodiversität könnte das Verständnis für die Bedeutung von Stadtnatur vertiefen.

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Doktorandin am Institute of Design Research

Karten sind ein visuelles Mittel, um die Welt zu ordnen, zu kategorisieren und zu strukturieren. Sie dienen uns nicht nur zur Orientierung, sondern helfen dabei, räumliche Zusammenhänge zu verdeutlichen und komplexe Sachverhalte auf das Wesentliche zu reduzieren. Mit digitalen Diensten wie Google Maps sind Karten heute allgegenwärtig, und der kartesische Blick aus der Vogelperspektive so tief in unser Denken verankert, dass wir ihn als selbstverständlich empfinden. So prägen Karten unser Verständnis von Städten, Landschaften und der Natur – doch die Perspektive auf die Welt, die sie anbieten, ist keineswegs neutral. Sie beeinflusst massgeblich, wie wir Räume wahrnehmen und gestalten. Städteplanung, Verkehrsnetze und politische Grenzen werden durch Karten diktiert. Indem sie die Welt in überschaubare Flächen aufteilen, verwandeln sie die Landschaft in einen nutzbaren Raum, der verwaltet, kontrolliert und gestaltet werden kann.

Karten als Instrumente der Macht
Karten sind also nicht nur Werkzeuge zur Orientierung, sondern auch subtile Instrumente der Macht. Diese Macht bleibt oft verborgen hinter einem scheinbar neutralen und universellen Zeichensystem, das eine einheitliche Lesart ermöglichen soll. Doch solche Konventionen sind keineswegs naturgegeben, sondern das Ergebnis kultureller Praktiken. So wird Wasser beispielsweise fast immer in Blau dargestellt, obwohl es in der Natur oft ganz andere Farben aufweist. Solche Darstellungen prägen unser Bild von der natürlichen Umwelt und verfestigen Vorstellungen, die jedoch eher den menschlichen Idealen der Natur entsprechen – und nicht zwingend der tatsächlichen Natur.Ein besonders anschauliches Beispiel für die Unzulänglichkeit unserer kartografischen Zeichensysteme im Umgang mit natürlichen Systemen ist die (Stadt-)Baumkartierung. Bäume im städtischen Raum werden in Baumkatastern kartiert, um sie in Planungsprozesse einbeziehen zu können. Diese Karten reduzieren Bäume auf einfache grüne Punkte, die zwar den Standort des Baumes repräsentieren, aber dessen Dimensionen, seine spezifischen Eigenschaften und vielfältigen ökologischen Funktionen ausser Acht lassen.Die Realität eines Baumes ist jedoch weitaus komplexer. Als zentrale Akteure im städtischen Ökosystem regulieren Bäume das Mikroklima, filtern Schadstoffe, spenden Schatten und Kühlung, speichern CO2, bieten Lebensraum für zahlreiche Arten und tragen wesentlich zu der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Stadtbewohner*innen bei. Doch in den Baumkatastern werden all diese Funktionen auf einen simplen Punkt reduziert, was die Komplexität der Bäume und ihre bedeutende Rolle im städtischen Ökosystem unsichtbar macht.

Städtische Biodiversität integrieren
Diese Diskrepanz bildet den Ausgangspunkt meiner Forschung, die die Rolle kartografischer Darstellungen für das Verständnis von Biodiversität untersucht. In der Stadtplanung, wo Bäume zunehmend an Bedeutung gewinnen, könnten differenziertere und umfassendere Darstellungen helfen, die ökologischen Funktionen von Bäumen sichtbarer zu machen und ihnen so eine stärkere Position in den Verhandlungen über den städtischen Raum zu verschaffen. Denn dieser ist begrenzt, und menschliche Interessen wie Wohnen, Arbeiten, Infrastruktur, Freizeitgestaltung und Mobilität dominieren die Entscheidungen um seine Nutzung. Doch um Stadtbäume und städtische Biodiversität ernsthaft in diesen Diskurs zu integrieren, müssen sie visuell repräsentiert werden – und zwar auf eine Weise, die ihre ökologische Komplexität angemessen abbildet.Die zentrale Frage meiner Forschung Visualising Urban Tree Ecosystems lautet daher: Wie können wir Bäume auf Karten so darstellen, dass ihre komplexen ökologischen Funktionen und ihre Rolle als Akteure im städtischen Raum besser vermittelt werden? Diese Designaufgabe muss sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Bäume als Ökosysteme als auch die Anforderungen der Kartennutzer*innen berücksichtigen. Kommunikation und Verhandlung über Stadtbäume beziehen idealerweise die städtische Bevölkerung mit ein, denn Stadtnatur ist für alle Stadtbewohner*innen von Interesse. Die Herausforderung besteht darin, eine visuelle Sprache zu finden, die sowohl Komplexität transportiert als auch zugänglich bleibt. Hierbei spielen Konventionen nach wie vor eine Rolle, denn ohne eine gewisse Systematisierung sind komplexe Sachverhalte kaum zu erfassen. Ziel muss es jedoch sein, Karten so zu gestalten, dass sie nicht nur die menschliche Perspektive widerspiegeln, sondern auch die Wirkungsweise von Bäumen berücksichtigen.

Bäumen eine Stimme geben
Um Bäumen in der städtischen Planung eine stärkere Stimme zu verleihen, braucht es ein visuelles Vokabular, das ihre Lebendigkeit, Veränderlichkeit und ihre Verflechtungen im urbanen Raum sichtbar macht. Eine differenzierte kartografische Darstellung von Bäumen könnte nicht nur die städtische Planung bereichern, sondern auch das Bewusstsein für die Bedeutung der Biodiversität im städtischen Raum stärken. Digitale Karten bieten hier neue Möglichkeiten, indem sie interaktive Funktionen bereitstellen, die eine aktive Entdeckung und ein tieferes Verständnis des urbanen Raums ermöglichen. Solche interaktiven Karten, die als Medium die Betrachter*innen nicht nur als passive Konsument*innen ansprechen, sondern auch zur Aktivität im realen Raum anregen, fehlen bislang. Ziel dieser Forschung ist es daher, Ansätze zu entwickeln, die ein vielfältigeres Abbild ökologischer Prozesse liefern und neue Handlungs- und Verhandlungsspielräume eröffnen. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der Entwicklung visueller und funktionaler Zugänge, die den Umgang mit Biodiversitätsdaten – insbesondere Baumdaten – in der Stadt verbessern und die ökologische Komplexität des urbanen Raums zugänglicher machen.