Veronika Vitazkova
Eine junge Flötistin, die während des Lockdowns eine sensationelle Karriere gestartet hat und heute zu einer der meistumworbenen Musikerinnen der Filmindustrie gehört: Veronika Vitazkova besucht die HKB.
Beginnen wir ganz von vorne: 1990 wurde Veronika Vitazkova in Bratislava (Slowakei) in eine Familie geboren, in der es permanent Musik gab. Man sang und hörte alle möglichen Musikrichtungen – von den Dubliners über Deep Purple bis hin zu peruanischer und afrikanischer Musik. Veronikas erstes Instrument, eine irische Tin Whistle, begann sie im zarten Alter von sieben Jahren zu spielen. Sie lernte mit einer Kassette und einem Büchlein, in dem die Fingergriffe erklärt wurden. Ab dann musizierte sie – immer nach dem Gehör – mit ihrem Vater in verschiedenen Bands und Gruppen. Diese jahrelange notenlose Praxis sollte sich später als ideale Voraussetzung erweisen, um einen Weg als Multi-Instrumentalistin einzuschlagen und sich sehr diverse Musikstile flink und virtuos anzueignen.Im Alter von dreizehn Jahren besuchte Veronika dann doch noch eine Musikschule, um Querflöte und Notenlesen zu lernen – und sich damit in die Welt der klassischen Musik zu begeben und schliesslich am Konservatorium in Bratislava Musik zu studieren. Spätestens dort legte sie dann die kleinen Volksflöten auf die Seite – «weil man muss sich doch aufs Studium richtig konzentrieren muss und ja nicht abgelenkt sein darf», wie ihr immer wieder gesagt wurde.
Schon 2018, zum Ende des Magisterstudiums Konzertfach Querflöte, wusste Veronika Vitazkova «irgendwie», dass es mit einer fixen Stelle im Orchester wahrscheinlich nichts werden würde – hatte aber trotzdem immer das Gefühl, dass sie das doch eigentlich sollte, dass es doch klar vorgezeichnete Wege gebe, die man als Musikerin gehen müsse. «Schliesslich habe ich doch deshalb studiert», sagte ihr Kopf. Aber seltsamerweise verpasste sie immer wieder Deadlines, verschlampte Bewerbungen, liess Gelegenheiten verstreichen – irgendwie schien Veronika wie von etwas gesteuert, das dafür sorgte, dass nichts werden würde aus dem Beruf einer Orchestermusikerin.Gleichzeitig war es aber auch als Freiberuflerin enorm schwer. Sie musste überall spielen, musste immer Ja sagen, musste jedes kleinste Geschäft annehmen, damit sie weiter angefragt würde. Sie spielte in den Wiener Touristenkonzerten, in den Wiener Kirchen und in den diversen Wiener Orchestern. Veronika realisierte, dass sie in einem Hamsterrad gelandet war, dass sie von einem Tag zum nächsten und vom frühen Morgen bis zum späten Abend verplant war.Dann kam da plötzlich diese Sache mit den Volksmusikinstrumenten wieder auf. Schon früher hatte Veronika von einer Reise irgendeine Volksflöte zurück nach Hause gebracht. Nach einer China-Tournee mit einem Orchester nahm sie eine chinesische Bambusflöte mit. Oder jemand hat ihr eine einfache Flöte geschenkt. Nichts «Seriöses», scheinbar nicht der Rede wert. Aber als es plötzlich Lockdown war, als endlich einmal das Hamsterrad stillstand, als es ihr endlich einmal langweilig war, da nahm sie diese Volksflöten in die Hand und drehte zum Spass mit ihrem Handy ein paar kurze Instagram-Videos. Da es allen anderen auch langweilig war, wurden ihre Videos angeschaut – und kamen gut an. Unbekannte Leute schrieben Veronika, ob sie nicht auch diese und jene Flöte kenne und spiele. Daraufhin suchte sie auf dem österreichischen virtuellen Flohmarkt willhaben.at gebrauchte Flöten, kaufte sie zu Spottpreisen, lernte sie zu spielen und drehte Video um Video damit.Auf diese besonderen Instrumente sind Filmmusikkomponist*innen (am Schluss sogar Ennio Morricone) aufmerksam geworden und Veronika Vitazkova bekam immer mehr Anfragen, ob sie nicht von zu Hause aus Aufnahmen machen könne für deren Projekte. Parallel besuchte sie den Online-Kurs Be your own manager, der klassischen Musiker*innen hilft, erste Schritte in die Selbstständigkeit zu tun – was schliesslich mehr bedeutet, als Veranstalter*innen anzuschreiben. Veronika lernte, dass es darum geht, spannende und innovative Projekte zu entwickeln, die man dann «der Welt anbieten» kann. Von da an ging alles sehr schnell: Sie machte endlich eine professionelle Website, professionelles Fotoshooting, gestaltete ihren Lebenslauf in einer interessanten Weise um. Mit der Kombination von Social Media, Internetpräsenz, intensiver Aktivität und dank der Weiterempfehlung durch Komponist*innen erschuf sie sich eine Ausstrahlung, die bald internationale Dimensionen annahm. Heute, drei Jahre nach dem ersten Video, lebt Veronika Vitazkova von diesem Projekt und kann genau das in ihrem Leben machen, was sie will und kann: Sie spielt in allen Musikstilen, tourt als Solistin mit grossen Orchestern und nimmt für Netflix, Disney, Sony und die BBC auf.Wir haben Veronika Vitazkova als junge Gastdozentin eingeladen, um anderen jungen Musiker*innen Mut zu machen, ihre eigenen Projekte zu leben. Denn sie ist nicht nur eine Expertin auf den vielen weltweit existierenden Flöteninstrumenten. Sie hat auch erfahren, was es bedeutet, aus den Ängsten des Klassische-Musik-Systems auszusteigen. Der Angst, als Flötistin schlechter zu werden und den Ansatz zu verlieren, wenn man auf anderen Instrumenten spielt. Der Angst, vom System ausgegrenzt zu werden, wenn man sich intensiv mit etwas Neuem befasst. Der Angst, zu verlieren, was man gelernt hat, wenn man sich auch mit etwas anderem beschäftigt. Sie hat erfahren, dass es in den USA viel üblicher ist als in Europa, als Musiker*in mehrere Instrumente spielen zu können – und alle auf einem sehr hohen Level.Und sie hat gelernt, dass es zum Überleben auf dem freien Markt eine grosse Offenheit braucht, eine unstillbare Neugier. Dass es um Prozesse geht, um Begeisterung, Erforschung und Experimentieren. Dass man Sprachen lernen muss, Videos schneiden, ein eigenes Tonstudio aufbauen, andere Musikgenres arrangieren, komponieren, gute Texte schreiben lernen muss. Und vor allem dass man einen eigenen Weg gehen will.