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N°1/2021
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Trends und Authentizität

Die im Kanton Bern lebende Künstlerin Elisa Daubner über das Spannungsfeld von Trendverhalten, Kunstausbildung und authentischer Stimme. 

Woran arbeitest du gerade? 
An einer Serie mit Holzobjekten. Ich suche mir flache Holzobjekte in Brockis, deren Form mich interessiert, schleife sie ab und zeichne dann darauf. Anschliessend bringe ich sie in installative Situationen. Ich habe schon immer viel aus dem Material herausgearbeitet. Und immer viel gezeichnet, aber bis vor ein paar Jahren entweder das eine oder das andere. Jetzt kommt beides zusammen, das ist spannend für mich.  

Das klingt recht eigenständig und nicht gerade nach einem Trend. Hast du das Gefühl, Trends beeinflussen Künstler*innen in ihrer Arbeit, ihrem Denken, ihrer Reflektion? Wie beeinflussen sie dich und dein Schaffen und was beobachtest du bei anderen?
Trends beeinflussen uns alle. Obwohl ich selbst glaube, schon immer eher trendresistent gewesen zu sein. Bereits in meiner Jugend haben mich Trends selten bis nie interessiert, weil ich fand, dass dadurch eine Spaltung stattfindet: Die einen sind das, die anderen das. Das fand ich blöd. Auch in der Kunst hat es mich schon immer genervt, dass es Trends gibt, denn eigentlich habe ich angefangen, Kunst zu machen, weil mir das der einzige Bereich in der Gesellschaft schien, der noch frei ist. Oder: frei sein kann. Künstler*innen, die diese Freiheit ausgelebt haben, haben mich fasziniert. Je mehr ich dann aber selbst in diese Welt hineingewachsen bin, desto mehr wurden meine Ideale erschüttert – durch mein Studium zum Beispiel –, weil ich erkannt habe, wie sehr die sogenannte Freiheit unter anderem durch Trends beeinflusst wird. 

Durch Erwartungen, die du seitens der Hochschule gespürt hast, oder eher darin, was du bei anderen beobachtet hast?
Eher darin, was ich bei anderen beobachtet habe, beispielsweise wie Dozent*innen kopiert wurden: Der macht gerade das, und das ist gerade trendy und cool, also mache ich das auch. Ich dachte immer: Mensch, Leute, ihr seid doch alle Individuen, warum macht ihr denn nicht euer eigenes Ding? Und dann dachte ich: O.k., das gehört zum Lernprozess dazu, man guckt sich was ab, kopiert, um dann irgendwann zu spüren: Was darin ist eigentlich meins? Ich konnte das während des Studiums noch tolerieren, aber später habe ich mich schon gewundert, dass das bei manchen quasi zur Methode geworden ist. Manche Trends haben so dominiert, dass es mich sprachlos gemacht hat und ich dachte: Es geht ja gar nicht mehr um die Arbeit. Es geht nur noch darum: Passe ich hier in eine Kategorie. Oder: Mit welchem Trend kann ich am besten erfolgreich werden? 

Ist das auch in die Bewertungen eingeflossen?
Zum Teil schon, ja. Ich selbst bin nie in einer festen Klasse geblieben, habe die Klassen gewechselt, auch die Hochschulen, weil ich immer gemerkt habe: Ich fahre hier fest, komme nicht weiter. Natürlich gab es immer auch Mentor*innen, die sehr freigeistig waren und gesagt haben: Mach, was aus dir herauskommt. Aber andere hatten auch eindeutig die Meinung: Das ist gerade im Trend, mach da mal weiter, damit hast du Chancen. 

Und später, bei Ausstellungen, an denen du teilgenommen hast, spielten da Trends in den Erwartungen der Kurator*innen oder des Publikums eine Rolle? Werden Künstler*innen, die sich in ihren Arbeiten an Trends orientieren, bevorzugt?
Ich denke schon, dass sie mehr Chancen haben, weil Trends häufig bestimmen, was gefragt ist, und deshalb auch oft, was gezeigt wird. Aber es steht und fällt letzten Endes mit den Kurator*innen und deren Einstellung. Da findet man sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Zum Glück gibt es ja keine Trends, die dann jahrelang dominieren – weil Trends schnelllebig sind, sind sie schnell auch wieder vorbei.  

Ist es deiner Meinung nach so, dass wir gegenüber solchen Tendenzen zunehmend unkritischer werden? Dass wir sie gar nicht mehr als solche identifizieren?
Ja, wahrscheinlich, aber das kann man nicht pauschalisieren. Es gibt ja auch sehr viele Leute, die einfach ihr Ding machen, sogar resistent sind. Das ist wohl typabhängig. Andere wiederum sind von Natur aus Trendgänger*innen und lassen sich dementsprechend stark davon beeinflussen. Bei wieder anderen passt es auch einfach gerade in die Arbeit. Dann ist es wiederum nachvollziehbar und gut, es entstehen starke Arbeiten daraus und es entwickeln sich spannende Dinge. Wenn es authentisch ist, kann ich es gut annehmen. Und das spürt man ja sofort. Wenn es authentisch ist, ist es egal, ob ein Trend bedient wird oder nicht. Wenn es nur gemacht ist, weil es gerade in ist, ist es nicht authentisch, und auch das spürt man. 

Könnte man sagen, jemand der einen neuen Trend künstlerisch zuerst aufgreift und umsetzt, der hat gewonnen?
Der hat vielleicht Glück gehabt, ja. 

Welche Rolle spielt aus deiner Sicht das Publikum in diesem Gefüge? Wird Kunst inzwischen nur noch fürs Publikum gemacht, weil es anders nicht mehr geht? Oder ist Kunst auf ihre Art trotzdem frei?
Zu Beginn war die Kunst ja gar nicht so frei. Eine gewisse Freiheit kam vielleicht hinzu, als die Verknüpfung mit den Auftragsarbeiten aufgehört hat und die Kunst einfach nur Kunst sein konnte. Aber ich bin keine Galeristin, ehrlich gesagt habe ich da zu wenig Einblick, inwiefern die Nachfrage das Angebot steuert. In den Bereichen, in denen ich mich bewege, werden die Sachen umgesetzt und anschliessend dem Publikum präsentiert. Ich frage mich nicht, was das Publikum sehen will. 

Da fällt mir Wolfgang Beltracchi ein. Er hat ja schon einen gewissen Mechanismus bedient, den der Nachfrage.
Ja, das ist ein gutes Beispiel. Er hat die Trends und sein Talent zu seinen Gunsten genutzt, und zwar authentisch. Und nebenbei alle Trendsetter*innen, Galerien, Auktionshäuser usw. vorgeführt. 

Wird die Kunst zunehmend uninspirierter und unkritischer, während gleichzeitig Extreme zelebriert werden? Was sind deine Beobachtungen?
Mir kommt die Kunst oft irgendwie leer und seelenlos vor. Es wird so viel aus dem Kopf geboren, und manchmal muss man erst einmal ein Konzept lesen, bevor man die Arbeit versteht. Nicht alles muss handwerklich gut gemacht sein, aber ich möchte etwas spüren, die Kunst soll etwas mit mir machen, mich bewegen und berühren. Das passiert leider sehr oft nicht mehr. Und das ermüdet mich. Ich schaue mir deshalb inzwischen weniger Kunst an, da mir die Tiefe fehlt. 

Hat denn Kunst noch die Aufgabe, ein Spiegel der Zeit zu sein? Heisst das, wir haben unsere Tiefe, vielleicht sogar unsere Seele verloren?
Kommt mir manchmal so vor, ja. 

Brauchen wir hier eine Trendwende?
Das wäre mein tiefster Wunsch. Ich habe das Gefühl, dann würde sich etwas erfüllen, warum ich überhaupt mit der Kunst begonnen habe.  

Kannst du das weiter ausführen? 
Ich habe ja mit der Kunst begonnen, weil ich a) fand, das ist der freieste Bereich in der Gesellschaft, und b), da kann etwas Tiefes ausgedrückt werden. Etwas, wofür im normalen Alltag kein Raum mehr ist. Das betrifft aus meiner Sicht alle Bereiche der Kunst und Kultur. Es ist ihre Aufgabe, uns innerlich zu bereichern, Kontraste zu schaffen. Das kann durch das Vorhalten des Spiegels geschehen, aber Tiefe bedeutet für mich auch: Eine zusätzliche Ebene muss geschaffen werden. Mein Grossvater erzählt oft, wie er im Schützengraben lag und nicht mehr wusste, wie lange er noch leben würde; er hat dann seine Lieblingsgedichte rezitiert, das hat ihn am Leben gehalten, seine Seele gerettet. Manche denken ja: Kunst ist unnütz, braucht man echt nicht. Solch ein Bericht zeigt mir aber: Doch, wir brauchen Kunst, weil sie die Seele nährt. Nur den Spiegel vorhalten reicht aber nicht. Kunst sollte die Möglichkeit zur Transformation beinhalten, etwas, das uns in der Tiefe berührt. Das muss nicht zwangsläufig schön oder angenehm sein, aber es sollte etwas auslösen. 

Veränderung zum Beispiel. 
Ja. Kunst sollte uns nähren wie Essen und Trinken.  

Das erinnert mich an verschiedene Künstler*innen und Autor*innen, die bereits um die Jahrhundertwende, um 1900, kritisiert haben, dass wir unsere Seelenqualität immer mehr verlieren und zu Maschinen werden. Wenn man sein Seelenleben verliert, kann man sich auch dem Geistigen nicht öffnen, und jegliche Form von nährenden Inhalten gar nicht mehr empfangen.
Und das muss den Menschen in einer Übersetzung dargeboten werden, die sie annehmen können. Joseph Beuys hat das klasse gemacht zu seiner Zeit. Er hat zeitgenössische Kunst und die damals aktuelle politische Lage auf magische Art und mit viel Tiefe in eine ihm ganz eigene Sprache übersetzt. Das haben zwar vielleicht nicht alle verstanden, aber es hat viele Menschen so stark berührt, dass er heute immer noch viel betrachtet und diskutiert wird. 

Angenommen, ein*e Künstler*in hat diese Qualität – kann das Publikum das überhaupt noch wahrnehmen? Durch die ganzen digitalen Trends hat sich das Rezeptionsverhalten ja schon sehr stark verändert. Wird man als Künstler*in noch gesehen, wenn man da nicht mitmacht?
Das geht schon noch. Es gibt immer noch Künstler*innen, die die digitalen Medien nicht nutzen, aber trotzdem bekannt sind. Aber Social Media und die Digitalisierung sind natürlich auch eine Chance. Die Frage ist nur: Wie kann ich sie so nutzen, dass ich als Künstlerin noch genügend Zeit und Ruhe habe, mich auf die Arbeit zu konzentrieren? Wenn ich alle Möglichkeiten nutzen würde, die ich in diesem Bereich habe, würde mich das so von mir selbst wegbringen, dass ich es nicht mehr schaffen würde, künstlerisch tätig zu sein. Aber das ist auch typabhängig! Ich kenne Künstler*innen, die all diese Sachen ausgiebig und gern nutzen und trotzdem noch gute Kunst machen. Die Frage ist immer, wie man damit umgeht. 

Genau, es ist ja auch praktisch keine Objektivität mehr möglich. Jegliche Form von Berichterstattung folgt den Trends, ist quasi Agendasetting, das wiederum Trendsetting ist. Ein Kreislauf.
Ja, da sehen wir manchmal Extreme, die dann schon wieder stimmig sind; manches ist eklig, perfide und sexistisch. Aber das ist auch ein Teil der Welt, wie sie sich uns momentan zeigt.  

Wie könnte man also genau diese Mechanismen auf eine heilsame Art nutzen – ist das aus deiner Sicht möglich? Kann man das, was uns ablenkt, sowohl für das Publikum als auch für den*die Künstler*in nutzen, um uns wieder zu fokussieren? 
Um das zu beantworten, stelle ich mir persönlich immer die Frage: Gibt mir das, was ich gerade tue, Kraft für meine Arbeit oder nicht? Lange habe ich mich zum Beispiel gegen eine Website gewehrt, aber dann habe ich gemerkt: Doch, ich brauche eine Website, das gibt meiner Arbeit Kraft. Und dann muss ich mich da halt dransetzen und mich damit länger beschäftigen, als mir lieb ist, aber im Endeffekt ist es gut für meine Arbeit, und damit auch für mich. Facebook habe ich bisher abgelehnt, und dabei wird es auch bleiben. Aber all die Möglichkeiten, die Social Media uns bietet, sind nicht zu unterschätzen. Früher musstest du Briefe an Galerien schreiben oder hinfahren, heute kannst du einfach einen Link verschicken oder dich auf Zoom treffen.  

Du bietest inzwischen Online-Kurse an und arbeitest an Schulen mit Kindern und Jugendlichen, gibt dir das auch Kraft? Oder tust du das, weil du Geld verdienen musst?
Klar habe ich damit angefangen, um Geld zu verdienen. Aber ich merkte schnell, wie das eine das andere bedingt. Vor allem durch die (vorher Offline- und jetzt) Online-Kurse, die sich an Erwachsene richten, tauche ich wieder in Themen ein, die mir schon früher wichtig waren und mir Kraft gegeben haben. Oder ich entdecke Neues, was mich bereichert. Auch bei den Kindern staune ich immer, wie easy und unkonventionell sie Aufgaben einfach umsetzen, das
inspiriert mich und hilft mir, authentisch zu bleiben.