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N°2/2024
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Solidarischer Wettbewerb

Wettbewerb als Konkurrenz im Sinn von concurrere, gemeinsam rennen, hat etwas Gutes. Eine Peer Group formiert sich und verhandelt das beste Vorgehen. Niemand wird ausgeschlossen, wer nicht selbst dabei sein will. In diesem Sinn setzte ich vor über zwanzig Jahren die Plattform kulturfoerderung.ch für das Bundesamt für Kultur und das Migros-Kulturprozent um, die seither Informationen zu Förderstellen bereithält. Damals war kein Thema, dass Kunstschaffende eine Doktorarbeit schreiben und dass Rockbands ihre Tournee von der öffentlichen Hand fördern lassen. Doch genau dies ist jetzt der Fall. Es hat also in der Kultur eine Verschiebung des Wettbewerbs stattgefunden. Weg von der Marktwirtschaft, hin zur Amtswirtschaft. So wie früher Kultur am Kassenerfolg scheiterte, scheitert sie heute am Gesuch. Wie aber können relevante Inhalte durchkommen? Ich kann vorausschicken, dass mir als Nerd die neue wortgewandte Welt eigentlich besser gefällt als die damalige oft machoid-handgreifliche.

Text

Michael Hiltbrunner ist Kurator im Rehmann-Museum in Laufenburg, Kulturanthropologe, Archivar und Kunstforschender.

Ein wichtiges Element der Qualitätssicherung sehe ich bei den Peers, in der Solidarität der Fachkolleg*innen. Zur Anschauung die Subkultur: Da formieren sich Steel-Guitar-Drone-Spielende, Female-Doom-Metal-Bands, Queer-Field-Recordings-Praktizierende etc. Es geht ihnen strikt um Inhalte und Qualität. Die Ausschlussmechanismen sind fair: Wer gewillt ist, genügend Zeit zu investieren und sich zu identifizieren, gehört dazu. Diese Gruppen gibt es auch im Hochschulbetrieb, kleine Zirkel von Angefressenen, die Inhalte teilweise in widerständigen Projekten und Themengruppen vorantreiben. Die akademische Hierarchie bricht aber die Solidarität – nur für wenige winkt die Festanstellung und die Möglichkeit, Forschungsprojekte zu beantragen. Deshalb sind gewisse Peer Groups auch hochschulintern subversiv und verweigern die Gefolgschaft.Bei Gesuchen, Wettbewerben und Preisen geht es um die Bewältigung der Bürokratie und der Rhetorik – wie beschreibe ich mein Projekt so, dass die Jury das Gesuch vorbehaltlos in die Schublade der Zusagen schieben kann? Viel steckt in der Vorbereitung und im Willen der Beteiligten, Wortwahl und Projekte den Anforderungen anzupassen. Bei den Gremien mit den höchstentwickelten Anforderungen kommen manchmal so wenige Gesuche an, dass bestimmte Themen ganz einfach fehlen – fast jedes Gesuch, das solche Kriterien erfüllen würde, würde die Förderung erhalten. Hier kann es um hohe Beträge gehen. Einige von uns sind da besonders kreativ, sie wissen, wann Klimaerwärmung das starke Kriterium ist, wann Citizen Science und wann KI, und sie können es in die richtige Wortform giessen. Kein Wunder, werden die anderen hässig, wenn sie sehen, dass Personen, die nie in der entsprechenden Peer Group ihre Zeit abgesessen haben, die grossen Töpfe kassieren. Aber das ist auch eine Form von Wettbewerb.Wenn wir bei Kunst und Design nonkonformistisch agieren, postmodern argumentieren und marktfreundlich sein wollen, müssen wir mit solchen Vorkommnissen rechnen. Verbindungen eingehen – in den Worten von Kay Tempest das Verbundensein – und Solidarität sehen natürlich anders aus. Aber auch in dem Moment können diese Kriterien greifen: Wer das Geld bekommt, kann die anderen wieder ins Boot holen, die Peers finden wieder zusammen. Wenn eine solche Verbundenheit stark ist, funktioniert dies auch im privaten Wettbewerb. Aber da gibt es auch das Gegenteil: Fachkräfte gehen auf den Markt oder arbeiten selbstständig und verlieren den Anschluss an aktuelle Tendenzen.Es zählt ein zweiter zentraler Faktor: Kultur braucht Humus, es braucht eine unterstützende Haltung der Umgebung, nur so kann ich sinnvoll, d. h. in Verbundenheit und Solidarität kompetitiv agieren. Intrige, Drohung und Bevormundung würden dies sofort blockieren. Ich selbst arbeite seit einem Jahr als Kurator im Rehmann-Museum in Laufenburg (Aargau), mit einem ambitionierten Programm experimenteller und gesellschaftlich relevanter Kunst. Es soll sowohl in der Kunstwelt als auch in der ländlichen Region wahrgenommen werden. Team, Stiftungsrat, Förderkreis und fördernde Institutionen agieren unterstützend und machen das Programm überhaupt möglich.