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N°4/2023
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Raphael Nussbaumer

Raphael Nussbaumer ist siebzehnjährig und studiert seit Herbst 2023 bei Philip Draganov an der HKB im Bachelor Violine. In den letzten Jahren konnte er sich über viele Wettbewerbserfolge freuen. Im Gespräch erzählt er, was das Musikmachen und das Musikersein für ihn bedeuten, was ihn an Heavy Metal fasziniert und weshalb eine gute Interpretation wie Schoggi sein sollte.

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Studiert Gesang an der Hochschule der Künste Bern

Ganz früher hätte er gerne Waldhorn gespielt oder Cello. Auf die Frage, welches Instrument er heute wählen würde, wenn es nicht die Geige wäre, meint Nussbaumer lachend: «Vielleicht werden mich manche Leute jetzt nicht verstehen, aber so ein wenig Bratsche wäre schon nicht schlecht.» Im Streichquartett fehle diese so oft – warum also nicht einmal die Geige weglassen und selbst die Bratsche in die Hand nehmen?
Die Antwort kommt allerdings eher zögerlich, hat er doch das Instrument, das am besten passt und ihm am nächsten liegt, eigentlich schon lange gefunden. Die Geige wurde Nussbaumer im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt, als ihm sein Götti, der Geigenbauer ist, bereits zur Taufe ein winziges 1/32-Instrument schenkte. Auch sein Grossvater, sein Vater und seine Schwester spielen Geige und schon von klein auf war Musik ein fester Bestandteil seines Lebens. Mit vier Jahren bekam er erstmals Geigenunterricht und bereits zwei Jahre später wurde er in die Klasse von Philip Draganov aufgenommen, der auch heute noch sein Lehrer ist.

Foto: Alexander Anderfuhren

Das Gegenteil gemacht
«Ich möchte aber nicht nur Geiger sein», sagt er, «ich möchte Musiker sein.» Das heisst, es soll nicht immer nur die Geige im Mittelpunkt stehen: «Musiker sein bedeutet nicht nur, allein im Kämmerchen zu üben, sondern auch, in die Musikbibliothek zu gehen, andere Konzerte zu besuchen und sich mit der Musik auseinanderzusetzen.»
Beim Lernen eines neuen Stückes hat er früher einfach sofort drauflos gespielt, ohne sich vorher genauer mit dem Notentext zu befassen. Sogar die musikalischen Bezeichnungen habe er ausser Acht gelassen oder gar nicht wirklich gewusst, was sie bedeuten. «Ich habe manchmal das komplette Gegenteil gemacht von dem, was eigentlich dastand.» Mittlerweile setzt er sich auch theoretisch mit seinem Repertoire auseinander. «Jedes Stück hat seine eigene Struktur – aber innerhalb dieser Struktur kann man spielen.» Damit das jedoch möglich wird, muss man das Stück und dessen Architektur erst kennenlernen und sich mit ihr beschäftigen, entdecken und verstehen, wie die Musik aufgebaut ist und welche Intentionen vielleicht dahinterstecken mögen. Auch Kenntnisse über die musikhistorische Einordnung sowie die biografischen Hintergründe der Komponierenden gehören dazu. Die Interpretation solle am Ende eben nicht bloss eine Tannenbaumkugel sein, die ein schönes, reich geschmücktes Äusseres zeigt, innendrin aber hohl ist. «Es muss schon eine Schoggikugel sein», meint Nussbaumer. Gefüllt mit eigenen musikalischen Ideen und einem persönlichen Ausdruck, ebenso wie mit dem Wissen über die unterschiedlichen Aspekte eines Stückes und einem Bewusstsein für dessen Vielschichtigkeit. Er versuche immer, eine Geschichte zu erzählen, jedoch solle dies nie auf Kosten der eigentlichen Aussage des Stückes geschehen. «Ich stehe hinter der Musik.» Die Musik sei es, um die es gehe und die es ausmache, und nicht die ausführende Person. Mit seinen persönlichen musikalischen Geschichten will er die originalen Strukturen der geschriebenen Musik nicht überdecken, sondern sich vielmehr in sie hineinversetzen. Auch bei Wettbewerben will Nussbaumer beim Spielen immer, so gut es geht, bei der Musik sein. «Dass es ein Wettbewerb ist, ist dann natürlich schon ein Hintergedanke, aber ich versuche, so zu spielen, als wäre es ein Konzert.» Extra besser spielen zu wollen oder mehr an technische Perfektion zu denken, helfe nichts. Wichtig sei die gute Vorbereitung, die schon Wochen, Monate und Jahre vorher beginnt – eigentlich das ganze Leben – und dann einfach hinzugehen, Spass zu haben und das Beste zu geben, was in dem Moment möglich ist. «Man kann nichts verlieren, man kann nur profitieren. Ein Preis ist zwar ein cooler Side-Effect und nice to have – aber ich denke, der eigene Fortschritt und die persönliche Entwicklung sind wesentlich wichtiger, als einen ersten oder überhaupt einen Preis zu gewinnen.»

Ausgleich ist wichtig
Übe-Stunden gehören dazu und sind unerlässlich, um die gute Vorbereitung zu gewährleisten. Genauso fundamental ist aber, neben dem Musikmachen auch einen Ausgleich zu haben. Schon in jungen Jahren sei das sehr wichtig gewesen und Nussbaumer findet, diese Balance sei gut gelungen. «Ich konnte trotzdem Kind sein.» Um den Kopf zu lüften und sich aus der doch eher unnatürlichen Haltung des Geigenspiels zu lösen, geht Nussbaumer heute gerne ins Fitnessstudio, spielt Basketball oder geht wandern.
Trotz der intensiven professionellen Auseinandersetzung mit Musik hat diese aber immer noch ihren festen Platz in Nussbaumers Freizeit. Die Frage, ob er denn selbst überhaupt noch Musik höre, bejaht er enthusiastisch. Auch klassische Musik, aber längst nicht nur: «Von Jazz bis Extreme Technical Death Metal höre ich alles – ausser Schlager und Deutschrap.» Während des Lockdowns hat er das Metal-Genre für sich entdeckt und seither auch Konzerte besucht, von deren Atmosphäre er begeistert erzählt. «Im ersten Moment denkt man, Klassik und Metal seien ganz verschiedene Welten. Aber eigentlich gibt es viele gegenseitige Einflüsse.» Insbesondere die dänische Metal-Band Volbeat hat es ihm angetan. Deren Frontman, Michael Poulsen, bezeichnet er als sein Idol. Die Offenheit und die Lockerheit der Metal- und Rock-Künstler*innen schätzt Nussbaumer sehr. Das fehle manchmal ein wenig in der klassischen Szene, findet er, und ist etwas, von dem er sich für die Zukunft mehr wünschen würde.Was seine eigene berufliche Zukunft angeht, will Nussbaumer sich nicht genauer festlegen. Ob solistisch, kammermusikalisch oder im Orchester – in allen Formationen fühlt er sich wohl und hat Freude am Zusammenspiel. «Musik ist immer ein Miteinander – auch wenn man eine Bach-Solosonate spielt, ist man bei dem Publikum und bei dem Komponisten.» Gibt es einen Traum, den er gerne verwirklichen würde? «Strauss’ Alpensinfonie in der Carnegie Hall», sagt Nussbaumer. Dort würde er gerne spielen, und zwar nicht einmal, sondern mehrmals. «Dann bist du auf dem guten Weg.»2021 stand Raphael Nussbaumer im Halbfinale des Menuhin-Wettbewerbs, ein Jahr später belegte er als jüngster Teilnehmer den vierten Platz beim Fritz-Kreisler-Wettbewerb in Wien und jüngst durfte er im Herbst 2023 beim Internationalen Tibor-Varga-Wettbewerb den 2. Preis entgegennehmen.