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N°4/2021
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Perlenkettenbrief Vol. 5

Gesendet: Sonntag, 24. Oktober 2021 um 12:15 Uhr

Text

Der Name ist der Redaktion bekannt 

Liebe:r HKB-ler:in 

An meine Vorgänger:in: Vielen Dank für deine Erzählung! 
Ich wünschte, ein Foto dieses Marmortisches sehen zu können.
Gerne erzähle ich ein kleines Erlebnis aus meinem Leben: 

Vor ein paar Tagen fuhr ich mit meiner Mutter mit dem Zug von Zürich nach Chur, um meine Grossmutter zu besuchen. Doppelstöcker, voller Menschen, wie immer in diesem Zug. Wir sassen im unteren Stock, gleich neben den Toiletten. Eine Gruppe Jugendliche füllte den Wagen. Sie starrten alle in ihre Handys, bis eine Frau sie aufforderte die Handys wegzulegen und stattdessen «Werwölfle» zu spielen. Am liebsten hätte ich mitgespielt, aber das wäre mir dann doch etwas seltsam vorgekommen. Plötzlich wurde die ausgelassene Stimmung im Wagen unterbrochen: Geschrei ertönte aus den Toiletten – ein Kind hat sich eingesperrt.
«Mama, d Tür geiht nid uf!»
«Ganz ruhig, versuechs nomol.»
«Nei, es geiht nid!»
So ging das ein paar Mal hin und her, bis das Geschrei des Kindes immer lauter und panischer wurde und man dessen Worte nicht mehr verstehen konnte. Es war wirklich laut, der ganze Wagen hat etwas beklemmt zu den Toiletten gestarrt. Eine Frau vis-à-vis von uns eilte zu der Mutter, um ihr Tipps zu geben, denn ihre eigenen Kinder hätten sich auch schon oft eingesperrt. Meine Mutter schaute zu mir mit diesem Blick, den ich bestens kenne und auf den meistens die Worte folgen: «Ich bin scho u huara froh, bisch du nümm so kli». Sie behielt die Worte dieses Mal für sich.Mich schauderte es etwas, denn diese Situation erinnerte mich stark an die HKB. Dort, an der F11, gibt es diese eine Toilette, die erste in der ganzen Reihe, deren Schloss sich nie beim ersten Versuch öffnen lässt. Bis jetzt vertraute ich immer darauf, dass es beim zweiten Versuch, mit etwas Schwung klappt. Aber es gab auch schon Male, bei denen ich wirklich mehrere Male den Hebel hin und her schieben musste, bis sich die Tür endlich öffnen liess. In diesen Momenten fühle ich mich wohl ein bisschen so, wie dieses panische Kind: eingesperrt auf dem WC, mit der Angst, nie mehr rauszukommen. Und trotzdem gehe ich immer wieder auf diese Toilette. Wahrscheinlich suche ich diesen Adrenalin-Kick im HKB-Alltag. 

Aber es ist schon spannend, was würde passieren, wenn sich tatsächlich mal jemand einsperrt und nicht mehr herauskommt? Könnte man dann auch einfach schreien, bis der Hausdienst kommt? Oder würde man freundlich alle Mit-Toilettenbenützer:innen aus der Kabine heraus grüssen und sie bitten, einem zu helfen? Man könnte natürlich auch einfach abwarten, den ganzen Tag auf der HKB-Toilette verbringen und den Geschichten lauschen, die auf der Toilette erzählt werden.  

Das gäbe wohl sogar genügend Stoff für eine interessante, künstlerisch-gestalterische Arbeit. Das Kind auf der Zug-Toilette wurde dann kurz vor Landquart befreit. Die Frau mit den guten Ratschlägen musste einsehen, dass ihre Tipps nicht weiterhelfen und ist dann den Zugbegleiterin holen gegangen. Mit ihrem magischem Schlüssel konnte sie das Kind heldenhaft befreien. Ich überlege mir das nächste Mal wohl aber trotzdem zweimal, ob ich wirklich diese erste Toilette oder doch nicht lieber die zweite benutzen möchte. 

Die Toilettengeschichte hätte eigentlich Potential, um noch weiter über die HKB nachzudenken. Weshalb gibt es nur zwei Toiletten-Anlagen an der F11? Sind eigentlich nicht mal genderneutrale Toiletten zur Sprache gestanden? Was ist da der Stand der Dinge? 

Nun ist es aber Sonntagmorgen und der Brunch wartet auf mich. Ich bin gespannt, von deiner Geschichte zu lesen, liebe:r Nachfolger:in!
Beste Grüsse