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N°1/2022
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Out of the kitchen into the world

Daniel Spoerri, Peter Kubelka, Dieter Roth, Martha Rosler, Rosemarie Trockel und Rirkrit Tiravanija: Die Küche und das Kochen sind von Kunstschaffenden international aufgegriffen. An der Städelschule in Frankfurt am Main wurde vor gut vierzig Jahren eine Küche installiert, in der als Teil künstlerischerAusbildung gekocht wird.

Text

(*1976) ist Autorin, Kunstvermittlerin und Dozentin in Basel. Sie arbeitet in einer «kitchen», auf deren Herd immer mehrere Töpfe stehen, um projektbezogen aus Prozessen in der Gegenwart auf Archivbestände und Geschichte reagieren zu können.

Die 1960er- und 1970er-Jahre waren Zeiten sozialer, politischer Krisen und Phasen der Hochkonjunktur in Architektur, Kunst, Mode und Design. Zeitgenössische Künstler*innen experimentierten und arbeiteten unkonventionell mit Materialien und Technologien, Lebensmitteln wie Schokolade, Zitronen und Kartoffeln, Kunststoffen, Film, Video, Performance, Licht, Sound und Bytes. Seitdem gibt es Forschung zum Alterungsverhalten von Materialien, bei deren Entwicklung und industrieller Herstellung Langlebigkeit kein Kriterium war sowie zu nachwachsenden Rohstoffen aus künstlerischer und konservatorischer Perspektive. Studiengänge zur Kunsttechnologie und zur Konservierung moderner Materialien und Medien wurden ab den 1980er-Jahren im europäischen Kontext an Kunstakademien und Technischen Hochschulen eingeführt.Beim internationalen Online-Symposium «Contemporary Art Revisited: 20 Years Later» anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Studienbereichs Konservierung und Restaurierung  an der HKB im Januar 2022 (siehe Seite 29) wurde jüngst die Wichtigkeit von Dokumentation als Strategie langfristiger Erhaltung herausgestellt und betont, wie wesentlich fundierte Kenntnisse über Herstellungsprozesse, Arbeitsweisen und die Berücksichtigung künstlerischer Konzepte sind.1   Eine wiederkehrende Anforderung dieser Arbeit besteht darin, Beobachtungen und Messungen zu machen, zu analysieren und zu kontextualisieren – Untersuchungen in Laboren, Media-Labs und die daraus hervorgehenden Befunde in Verhältnisse zu «Küchenwissen» im allumfassenden Sinn zu setzen –, Grundwissen über Konsistenzen, Verarbeitungsweisen, Schmelzpunkte, chemische Verbindungen, Substanzen und Garzeiten und Methoden, Vorratshaltung und Bezugsquellen mit einem Bewusstsein für die Endlichkeit von Ressourcen.

Lehrangebot: Kochen
An der Frankfurter Städelschule gehört Kochen zum Lehrangebot. Es ist curricular verankert und der Kurs wird von Studierenden aus mehr als fünfzig Nationen besucht. Sir Peter Cook hat die hauseigene Mensa entworfen, an deren Stirnseite sich als Erinnerung an zahlreiche Veranstaltungen ein Wandgemälde von Raymond Pettibon befindet. Sie wird von Studierenden betrieben. Sie kaufen ein und übernehmen die Zubereitung dessen, was auf die Tische der Mitarbeitenden kommt. Im Westend von Frankfurt am Main führen ehemalige Studierende als Kooperative ein Restaurant. Die Anfänge dieser andauernden Entwicklung sind experimentell und liegen in den 1960er-Jahren. Sie wurden durch die Person, die Haltung und das allumfassende künstlerische Engagement von Peter Kubelka (geb. 1937, Wien) ausgelöst, dem österreichischen Filmemacher und Künstler, der seit den 1950er-Jahre für seine Vorträge bekannt ist, in denen er auch kocht und musiziert. Sie regten und regen dazu an, sich im Elementarsten mit regionaler Kultur, Eigenschaften und Zuständen verderblicher Materialien sowie Relationen zwischen Kunstschaffen, Nahrungsmittelanbau, Produktion und Vertriebswegen, Konsum, Wirtschaft, Nachfrage und Öffentlichkeit zu beschäftigen. Kubelka wurde 1978 an die Städelschule zum Unterrichten berufen. 1980 etablierte er die «Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung». Für die Veranstaltung «Bewirtung für Menschen und Tiere» (1983) brachte Kubelka einen Elefanten mit. Im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks für das Kunstforum International (59, 2002) und zuletzt im Feature «Die Küche des Künstlers. Wie Peter Kubelka das Kochen nach Frankfurt brachte» (Deutschlandfunk, 16. September 2016)2 bemerkte er: «Ich wollte keine Kochklasse für zukünftige Köche machen, sondern ich wollte Kunststudenten zum Kochen bringen. (…) Das Kochen funktioniert nach Prinzipien, die allen anderen mitteilenden Kunstsparten eigen sind, nämlich dem Nebeneinanderstellen von Elementen, die ursprünglich in der Natur nicht beieinander sind. Die man zusammenstellt. Bewusst!» Als Bedingung für die Übernahme einer Professur, die er bis 2000 innehatte, forderte er, in eine Profiküche, eine voll ausgestattete Küche mit Herd, Kühlschrank und Stapelgeschirr, auf dem aktuellen Stand der Technik zu investieren.: «Es gab eine Person, der ich da das meiste verdanke, das war der damalige Direktor Reimer Jochims, der mich unterstützt hat. Also, dem habe ich das erklärt. (…) Es ging darum, zum Bespiel ein Maleratelier umzuwandeln in eine Küche. (…) Um Geld aufzutreiben, hatte der Jochims mir gesagt, wir laden wichtige Leute ein, und ich habe gesagt: Gut, das machen wir.»


Budgetierung und Investition: 100  000 DM für eine Küche
Kubelka leistete Überzeugungsarbeit gegen Widerstände von Studierenden und Professor*innen, stellte sich dem Streit über den Sinn, in eine Küche zu investieren, während die für die 1950er-Jahre typische Küchenzeile aus Serienproduktion durch die Wohnküche als «heart of the home», als sozialer Treffpunkt abgelöst wurde.3 In einer Gegenwart, in der Daniel Spoerri in Europa und Allen Ruppersberg mit Al’s Café in Los Angeles, Caroline Gooden und Gordon Matta-Clark mit Food in New York Restaurants und Bars eröffneten.4 Zeiten, in denen Künstler*innen wie Dieter Roth das Prozesshafte über die Materialien und ihren kontrollierten Verfall kompromisslos zum zentralen Thema ihrer Arbeit machten, Beuys agierte, Konrad Fischer mit der Aktion «Kaffee und Kuchen» (1967) Kaffeekränzchen persiflierte, Guiseppe Pennone und Sigmar Polke Kartoffeln arrangierten und Martha Rosler in der Videoarbeit «Semiotics of the Kitchen» (1975)5 offenlegte, welche systemischen und gesellschaftsstrukturierenden Rollenzuschreibungen in der Küche angelegt sind, und damit die Frage aufbrachte, ob das so bleiben muss.6Die Investition in die Profiküche in Höhe von 100 000 DM (Deutsche Mark) wurde vom damaligen Kämmerer der Stadt Frankfurt bewilligt. Im Archiv der Städelschule ist umfassendes Material gelagert, das die Geschichte des Kurses, den «Gasthaus»-Symposia und weitere Facetten dokumentiert. Zuletzt wurde diese von Daniel Birnbaum aktualisiert, der während seiner Zeit als Rektor (2000–2010) mit Thomas Bayrle einen Künstler ins Kollegium holte, der Kurse von Peter Kubelka besucht hatte, und mit Martha Rosler eine Position engagierter Kunst, die aus weiblicher Perspektive die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit auf den Prüfstand stellt.7

«Gastronomisches Tagebuch»
Der als Schweizer Künstler, Autor, Tänzer und Regisseur bekannte Daniel Spoerri (geb. 1930, Rumänien) schenkte der Graphischen Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern 1996 sein gesamtes Künstlerarchiv.8 Es umfasst – neben den künstlerischen Arbeiten, der Korrespondenz, der Dokumentation von Aktionen – seine Kunstsammlung, eine Bibliothek sowie auch Unterlagen zu Editionen und literarischen Werken wie «Gastromisches Tagebuch. Itinerarium für zwei Personen auf einer ägäischen Insel nebst Anekdoten und anderem Kram sowie einer Abhandlung über die Bulette», das 1970 in der deutschen Erstausgabe erschien. Im Herbst 1961 eröffnete Spoerri im Eingangsraum der Galerie Koepcke in Kopenhagen einen Krämerladen mit improvisiertem Sortiment, das vom Galeristen, von seiner Frau und dem Künstler selbst verkauft wurde. Als «Le Chef Daniel» kreierte Spoerri im selbst gegründeten Restaurant de la Galerie J. in der Pariser Rue de Montfaucon vom 2. bis 13. März 1967 jeden Abend ein Menü, das von Kunstkritiker*innen serviert wurde.Kurz vor Ostern 1967 ist er zusammen mit seiner damaligen Partnerin Kichika nach Symi aufgebrochen, einer kleinen Insel in der Ägais, die damals noch in sich selbst, in ihren sozialen und religiösen Überlieferungen ruhte und von wenigen Menschen bevölkert wurde. Dort hat er vom 27. April bis Ende Mai gekocht und gelebt und ein «Gastronomisches Tagebuch» geführt, das die Faszination für archaische Lebensformen, Nahrungsmittel wie Innereien und die Intensität dokumentiert, die im Kochen als Leben in einer kleinen Gemeinschaft und der umgebenden Natur liegt. Den auf Erfahrungen auf der Insel zurückgehenden Plan, ein auf Innereien spezialisiertes Restaurant im nordamerikanischen Omaha zu gründen, verfolgte er nicht weiter. 

Restaurant Spoerri und Eat Art Gallery in Düsseldorf
Am 17. Juni 1968 eröffnete Spoerri zusammen mit Carlo Schröter als Geschäftsführer am Burgplatz 19 in der Altstadt von Düsseldorf das Restaurant Spoerri als Künstler*innen-Restaurant, in dem er selbst kochte. Fester Bestandteil des Menüs waren die Omelette mit gerösteten Termiten, das Seehund-Ragout mit grünem Algenreis und das Elefantenrüssel-Steak. Tische konnten gebucht und die Assemblage der Reste des Nachtessens als Arbeit von Spoerri für einen Festpreis erworben werden. Mit der Eröffnung der Eat Art Gallery über dem Restaurant am 18. September 1970 institutionalisierte Spoerri kulinarische Projekte, Objekte und essbare Editionen. Der damalige Restaurator am Museum, Ludwig, Wolfgang Hahn, nahm intensiven Anteil an seinem Schaffen und realisierte gemeinsam mit Spoerri das Auftragswerk «Hahn’s Abendmahl». Die Gäste, das Geschirr und die rituelle Dramaturgie des Abends am 23. Mai 1964 in der Kölner Wohnung von Hahn zielten von Beginn auf die Entstehung des Kunstwerks, eines Fallenbilds in den Massen 200 × 200 × 38 cm auf einem Holzbrett, ab, das seitdem samt der Korrespondenz, dem Einkaufszettel und Fotografien zur Sammlung Hahn gehört und im mumok in Wien aufbewahrt wird. In «Hahn’s Abendmahl» verdichtet sich eine personengebundene Geschichte, eine Intimität zwischen Künstler und einer kleinen Gemeinschaft.9

«Out of the Kitchen …»
Rosemarie Trockel (geb. 1952, Schwerte, Deutschland) studierte zunächst Biologie, Mathematik und Anthropologie in Köln, bevor sie in die Klasse von Werner Schriefers an der Werkkunstschule wechselte, wo sie 1978 abschloss. 1980 lernte sie die Architektin und Städteplanerin Monika Sprüth, ihre spätere Galeristin, kennen, mit der sie bis heute zusammenarbeitet. Zeitgleich mit Künstler*innen wie Jenny Holzer, Cindy Sherman und Barbara Kruger entwickelte Trockel unter dem Diktum «Jedes Tier ist eine Künstlerin» eine kollaborative Arbeitsweise, bei der «women crafts», Materialkulturen und Fertigkeiten, die im Handwerklichen liegen, immer wieder aufgegriffen und weiterbearbeitet werden. Fundament und Bezugsgrösse sind die Einschätzung, dass «das Frau-Sein vom Künstlerin-Sein nicht zu trennen ist».10 In Trockels Œuvre kommen Küche und Kochen nicht im deskriptiven oder wörtlichen Sinn vor. Sie nähert sich dem Feld über Interieur, Ausstattung und die Rollen von Hausfrau und Mutter als ein Typus des Frau-Seins, der nicht alternativlos ist. Vorstellungen von Prokreation und klischierter Selbstaufgabe erweitert sie um Bilder des kreativen Umgangs mit dem Druck und der Erwartung, fruchtbar zu sein und zu gebären:  «Out of the Kitchen into the Fire», so der Titel eines Videos, das Rosemarie Trockel als Teil einer Installation gleichen Titels zusammen mit einem von ihr entworfenen Hühnerstall und der Serie «Negatives Eiweiss» 1993 erstmals in der Galerie Hufkens in Brüssel präsentierte. Protagonistin des Videos ist eine nackte Frau, die unter hühnerähnlichen Geräuschen ein mit Tinte gefülltes Ei legt, das auf dem Boden zerplatzt und auf dem Boden eine Malerei, ein Splashing, hinterlässt.11 Eier und die Hitze von Herdplatten werden in der Werkgruppe «Herde», die emaillierte Herdplattenobjekte, Zeichnungen, Fotos, Videos und Editionen umfasst, zu tanzenden Rotationskörpern und der visuellen Entsprechung von Bässen und Diskolichtern.12Eine historische Illustration hat Trockel so verändert, dass ein Lehrer und eine Gruppe Jungen, mit der er durch die Landschaft zieht, statt Schulranzen Herde oder Plattenherde mit sich führen. Die Erotik des Kochens wird als Muster vorgeführt und der geschlechterspezifischen Zuordnung von Aufgaben der Boden entzogen.

Artists’ Recipes: «Man kann keine Steine essen»
Seit 2015 gibt es eine wachsende Zahl an Kochbüchern mit Rezepten von Künstler*innen. Acht Jahre nachdem der Koch und Gastronom Ferran Adrià (geb. 1962, Katalonien) von Roger Buergel und Ruth Noack zur Teilnahme an der documenta XXII eingeladen wurde. Der Trend ist als  ein Ausdruck des wachsenden Bewusstseins für Zusammenhänge zwischen Lebensführung und der Endlichkeit von Ressourcen im globalen Massstab nach der zeitweiligen Propagierung eines «culinary turn» (2017) im Prozess der Wiederentdeckung und Rekontextualisierung von Künstler*innen wie Georgia O’Keeffe angekommen.Kochbücher mit Rezepten, die von Künstler*innen gesammelt und erprobt wurden, sind zu einem eigenen Genre an der Schwelle zum Künstler*inbuch geworden. Ein bis zur Gestaltung mit offener japanischer Bindung hin konsequentes Beispiel ist das Kochbuch «Man kann keine Steine essen» von Shinroku Shimokawa (geb. 1979, Tokio), der nach einem Studium der Bildhauerei in Tokio und an der Akademie der Bildenden Künste seit 2015 in Stuttgart arbeitet. Er ist zugleich Autor der Rezepte, erläuternder Texte zu den japanischen Basiszutaten, der Fotografien und des Nachworts: «Die Analogie zwischen meiner Kunst und dem Kochen liegt in der Beobachtung des Materials. (…) Es gibt viel Schönes in der japanischen Kultur. Nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, sehe ich jetzt manche Dinge etwas anders. Die Esskultur in Japan hat in den letzten Jahren viel gelitten. Viele Leute konsumieren passiv und unbewusst. (…) Hier in Deutschland muss ich viele Sachen selbst herstellen. (….) Die Mühe des Selbermachens hat mir eine alte Welt ganz neu gezeigt.»13

Ökologie, Ökonomie und Gender
Gilbert und George (Gilbert Prousch, geb. 1943, St. Martin in Thurn, und George Passmore, geb. 1942, Pymouth), die in einem Townhouse in der Fournier Street in East London leben, sind dafür bekannt, dass sie nie kochen und immer auswärts essen gehen. Diese Distanz vom Selberkochen ist Teil ihrer künstlerischen Arbeit, ihres Habitus als «human sculptures».14 Die Fokussierung auf männliches Kunstschaffen ist in Auflösung begriffen. Gesellschaftliche Rollenzuschreibungen haben sich zu verflüssigen begonnen und Debatten über Diversität zeitigen einen Druck, mit dem strukturelle Veränderungen hin auf eine pluralere Gesellschaft beschleunigt werden. Aus dieser Perspektive heraus stellen sich Fragen, wie eine Kunsthochschule als Zwitter zwischen Ökonomie und Ökologie in einem demokratischen System und seinen Budgets für Bildung und Kultur weiterentwickelt werden könnte, neu und anders. Küche und Kochen sind in Ergänzung dessen, dass sie Orte und Verarbeitungsweisen bezeichnen, Metaphern für Finanzierungsmodelle menschlicher Existenz, die auf Produktion und Konsum ausgelegt sind. Dieses Modell hilft wegen fast unvermeidlicher Überproduktion nicht weiter.Es braucht etwas anderes: Die engagierte Suche und Recherche danach, wie das Feuer anders entfacht und zum Garen von etwas genutzt wird, das länger anhält als Fastfood für den Markt. Der Bestand, die Kultivierung von Anbauflächen, Learning und Un-Learning, gemeinsames Lernen und die Weitergabe von Fähigkeiten und Teilhabe gewinnen aus dieser Perspektive an Bedeutung. Die Lehrenden als Einzelne und Kollektive und das Lehrangebot in seinen Nahtstellen für Kooperationen, Verbreiterung von Wissen und Quellen entscheiden über die Zukunftsfähigkeit ebenso wie eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie Zugänge zu einer Hochschule nicht zuvorderst und ausschliesslich über das Kapital geregelt werden, das weitervererbt wird. Derartige Prozesse haben gerade erst angefangen.