Ordnung ist das halbe Leben
Raum und Zeit ordnen unser Leben – Zeit und Raum ordnen die Welt. Oben, unten; links, rechts; hinten, vorn! Vorher, nachher; früher, später! Gäbe es diese Ordnung nicht, gäbe es gar nichts oder eben alles auf einmal. Chaos. Als wir in der Redaktion der HKB-Zeitung zum ersten Mal über das Thema Ordnungssysteme gesprochen haben, assoziierten die meis-ten wohl Regale, Kisten und Kästchen, Materielles. Bei mir löste das Wort völlig andere Bilder und Begriffe aus. Politische Ordnung, ein System der Einschränkung, Grenzen der Freiheit, Konventionen. Und das führt nun dazu, dass ich, quasi als Gast, mit einem Blick von aussen über Ordnung und ihr System schreibe – aus der Perspektive des politischen Journalisten.Unsere Gesellschaft, wir Menschen leben unweigerlich in einem Ordnungssystem, das durch Konventionen und Übereinkünfte definiert wird. Regeln bestimmen unser Zusammenleben und machen es wohl überhaupt erst möglich. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Regeln tendieren aber auch dazu, sich über kurz oder lang auszubreiten, alles regeln zu wollen, vieles zu verriegeln. Sie breiten sich ungefragt immer weiter aus, werden zu einem System der Zwänge, zu einem Monster namens Bürokratie. Davon können wir alle ein Lied singen.Regeln und Konventionen sind dann auch die Basis von Politik. Die politische Ordnung wird aufrechterhalten durch den*die Gesetzgeber*in und die verabschiedeten Gesetze – aber auch hier mit einer Tendenz zu einem starren System, einer Ordnung, die nicht mehr infrage gestellt werden kann und darf. Das kann dann schnell mal in dem Lenin zugeordneten Satz enden: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.»Unser Ordnungssystem ist geprägt von einer binären Ordnung. Mann und Frau; Tag und Nacht, rechts und links. Aber genau hier wird das Problem klar. So einfach ist es nicht, nicht binär, nicht starr, ganz und gar nicht für immer festgelegt. Neben Tag und Nacht gibt es die Dämmerung gleich zweimal am Tag oder das Zwielicht des Nebels. Es gibt mehr als Mann und Frau.Und auch politisch ist rechts und links nicht wirklich eine binäre Ordnung. So viel liegt dazwischen und wird in einer Ordnung, die zur Absolutheit neigt, nicht mehr wahrgenommen. Es wird die Einhaltung der Regeln kontrolliert und bei Nichtbeachtung sanktioniert. Es wird nur binär diskutiert – schwarz oder weiss. Es werden Regeln und Ordnungssysteme immer seltener infrage gestellt und diskutiert. Und dabei ist das Regelwerk doch einfach nur eine Übereinkunft und kann von der Gesellschaft, von jeder Generation neu diskutiert und definiert werden. Dazu sollte dann der Journalismus als vierte Gewalt im Staat seinen Teil beitragen, mit einer überlegten, neutralen Berichterstattung über all die Zwischentöne und über die möglichen Auswirkungen unserer heutigen Ordnung für die zukünftigen Generationen. Das sage ich sehr selbstkritisch und wünsche uns allen mehr Mut zur Unordnung, auch weil es Ordnung nicht gibt ohne ihr Gegenteil.