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N°3/2023
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Offener, experimentierfreudiger Geist

Gaudenz Badrutt prägt als elektroakustischer Musiker die Kulturszene Biels. Er trägt auch dazu bei, dass die Stadt einen weltweiten Ruf als Brennpunkt für improvisierte und experimentelle Musik geniesst.

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Kulturjournalistin und Redaktorin am Bieler Tagblatt

Seinem Dialekt ist es anzuhören: Gaudenz Badrutt stammt aus dem Bündnerland. Seit 29 Jahren wohnt er aber in Biel. Er kam damals in die Stadt am Jurasüdfuss, um an der damaligen Hochschule für Musik & Theater Klavier zu studieren. Gertrud Schneider und Pierre Sublet wurden seine musikalischen Mentor*innen. Beide engagieren sich für zeitgenössische Musik, was seinen musikalischen Werdegang nachhaltig beeinflussen sollte.Heute prägt er mit seinen elektroakustischen Sounds die einheimische Kulturszene. Er tritt allein oder zusammen mit Gleichgesinnten auch an internationalen Festivals auf, dieses Jahr etwa in Ljubljana, Venedig oder Strassburg. Zusammen mit Christian Müller, Jonas Kocher oder Hans Koch – um nur einige wenige seiner vielen musikalischen Partner*innen zu nennen – macht er die Stadt zu einem Brennpunkt für improvisierte und experimentelle Musik. Weshalb gedeiht diese musikalische Nische in Biel besonders gut? «Die Stadt ist nicht zu gross und sie ist unkompliziert. Vor allem aber ist sie bilingue, sie trägt damit eine Bereitschaft für Offenheit bereits in sich.»Offenheit und Experimentierlust kennzeichnen auch Gaudenz Badrutt. Bereits vor seiner Bieler Zeit hat er damit musikalische Erfahrung gesammelt. «Als Jugendlicher beschäftigte ich mich viel mit elektronischer Musik. Während meiner Zeit an der Kantonsschule in Chur besuchte ich Workshops für Improvisation. Ich begann damals auch, Musik für Theaterproduktionen zu schreiben.» Auf diese Zeit geht die Bekanntschaft mit der Regisseurin und heutigen Schauspielleiterin am Theater St. Gallen Barbara-David Brüesch zurück. «Über 25 Produktionen haben wir seit unserer ersten Begegnung zusammen realisiert.» Das Klavier habe er anfangs in viele Produktionen integriert. Schliesslich hat er seine Ausbildung an der Bieler Hochschule für Musik und Theater, die später in der heutigen HKB aufging, mit einem Konzertdiplom mit Auszeichnung abgeschlossen. Weil er für die Theaterproduktionen oft wochenlang in Deutschland, Österreich und auch in der Schweiz unterwegs gewesen war, sei das Instrument mit der Zeit aber in den Hintergrund gerückt.An den meisten Theaterproduktionen war auch der Klarinettist Christian Müller beteiligt. Die beiden gründeten daneben ihr Duo strøm, das mit «ungefähr 60 Audiokabeln, einem Haufen Stromboxen, dem ehrwürdigen Dr. Sherman, mehreren Doepfer-Oszillatoren und einer Bassklarinette» – so die Beschreibung des Duos auf seiner Website – in den Folgejahren auf grosse, auch internationale Beachtung stiess. Im Jahr 2007 zogen sich die beiden Musiker für ein halbes Jahr auf die Inselgruppe Lofoten am Polarkreis zurück. «Unsere Musik wurde in dieser Zeit noch radikaler. Wir waren ja auf uns alleine gestellt. Wir konnten dort keine kulturellen Veranstaltungen besuchen. Es gab nur die wilde natürliche Umgebung und das kurzgetaktete Wetter. Zuerst verliert man den Boden unter den Füssen. Dafür gewinnt man an Dringlichkeit des Ausdrucks. Der Aufenthalt hat unsere Musik über viele Jahre genährt.» Das Duo strøm wurde im Jahr 2021 mit dem Bieler Kulturpreis ausgezeichnet.Ein zunehmend wichtiger musikalischer Partner wurde der Akkordeonist Jonas Kocher. Die beiden kennen sich schon lange. Der aus Nyon stammende Musiker und Gaudenz Badrutt lebten während der Studienzeit im selben Haus. Zusammen mit befreundeten Musiker*innen experimentieren sie im Bereich der neuen und improvisierten Musik und wecken damit Interesse weit über die Stadt hinaus. «Unsere Gruppe hat ein hohes künstlerisches Niveau und sehr viel Energie.»Das öffentliche Klavierspiel hatte Gaudenz Badrutt inzwischen aufgegeben. «Es war mir zu wenig flexibel. Ich suchte nach einem neuen, freien Weg des musikalischen Ausdrucks.» Zudem sei auch die Tätigkeit fürs Theater mit der Zeit zu einer Routinearbeit verkommen. «Ich wollte vermehrt meine eigene Musik kreieren.» Das Angebot einer Anstellung an der Forschungsabteilung der HKB kam zum richtigen Zeitpunkt. Zunächst, um das junge Familienleben mit der eigenen musikalischen Tätigkeit in Einklang zu bringen. Zudem hatte Gaudenz Badrutt aufgehört, Klavierunterricht zu erteilen. Dass es beim Forschungsprojekt, das er 2020 mit einem Doktorat an der Graduate School of the Arts (heute Studies in the Arts) abschloss, um das Spätwerk des französischen Komponisten Luc Ferrari ging, erwies sich im Nachhinein als Glücksfall für sein eigenes Schaffen.«Die Forschungsarbeit verhalf mir zu mehr Freiheit in meiner künstlerischen Tätigkeit. Der Geist von Luc Ferrari hat sich in meine Musik eingeschlichen.» Der Komponist sei ein sehr offener Geist gewesen. Er habe seine Ziele zwar mit Konsequenz und grosser Ernsthaftigkeit verfolgt. Doch sei er auch ein humorvoller Mensch gewesen, der sich selbst nicht sehr ernst nahm. Der Humor, den er an Ferrari so schätzt, hat sich in den Namen der Ensembles niedergeschlagen, an denen Gaudenz Badrutt beteiligt ist: Baldrian Quartett, Social Insects oder Sauerkraut. Letzteres ist ein Duo mit dem russischen Saxofonisten Ilia Belorukov. «Die Fermentierung als kreativ-destruktives Element ist eine treffende Umschreibung unserer Musik.»Gaudenz Badrutt prägt Biel nicht nur als Musiker, sondern auch als Konzertveranstalter. Das biennale Festival Ear We Are in der Alten Juragarage, in dessen Leitungsteam er seit 2003 mitwirkt, geniesst Weltruf. Viele Jahre hat er im Kulturraum Lokal-int sogenannte Kopfhörerkonzerte organisiert. Vor kurzem hat er sich dem Verein Association Bruit von Jonas Kocher als künstlerischer Co-Leiter angeschlossen. Im September ist im Le Singe ein Festival zu Ehren von Luc Ferrari geplant. Ein Kreis scheint sich damit zu schliessen.In den letzten Jahren trat Gaudenz Badrutt häufiger als Solokünstler in Erscheinung. Sein jüngstes Soloalbum mit dem Titel Ganglions wurde als «elektroakustische Musik ohne akademischen Überbau» gelobt. Der Titel bezeichnet bei Insekten die Knotenpunkte, an denen die Nervenbahnen zusammenlaufen. Ein Sinnbild für seine Musik? «Ich arbeite viel mit internen und externen Feedbacks. Damit betreibe ich eine Form von Klangrecycling.» Gaudenz Badrutt plant derzeit ein neues Soloalbum. «Darin lasse ich alte Klavieraufnahmen von mir einfliessen.» Der Flügel in seinem Atelier in der Kulturfabrik Gurzelen der Stadt Biel steht erst seit Kurzem da. Gaudenz Badrutt scheint auch in diesem Punkt einen bereits gelegten musikalischen Faden wieder aufzugreifen. «Ja, ich nähere mich wieder meinem ursprünglichen Instrument an. Ich übe wieder.» Er habe auf dem Klavier nie frei improvisiert. «Aber in meinem Hinterkopf tut sich was.»