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N°3/2021
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«Nur machen, was mich interessiert.»

Mit einem Verlag in der Nische: Hartmut Abendschein, Verleger der edition taberna kritika, Autor und Lehrbeauftragter der HKB im schriftlichen Interview.

Interview

Leiter Redaktion HKB-Zeitung

Was fällt dir zum Begriff Nische ein? 
Ich meine, mich zu erinnern, dass wir den Begriff schon in den frühen 90ern gebraucht haben. Damals machte ich meine Ausbildung zum Buchhändler. Das Wort Nischenliteratur wurde auf Buchbestände bzw. das Sortiment bezogen und enthielt durchaus auch noch einen architektonischen Aspekt. Diese Bücher standen in weniger erreichbaren Ecken oder an Orten, die die Kundschaft nicht gerade als Erste entdeckt hätte. Reparaturanleitungen für Motorräder, Schachbücher, DIN-Normen, Eisenbahnliteratur etc., kurz: special interest oder nerd culture, wie man heute sagt. Das war Kassengift. Geringe Lagerumschlaggeschwindigkeit, schlechtere Margen, doch die Vorhaltung wurde als spezieller Kundenservice gesehen. Ein allgemeines Vollsortiment, das etwas auf sich hält, will das ganze Spektrum anbieten, auch wenn etwas nur selten verkauft wird. Die positive Signalsetzung durch die zitatweise Präsenz von Nischenliteratur war unwidersprochen, aber wurde doch auch etwas belächelt. 

30 Jahre und ein paar Perspektivenwechsel später habe ich einen eigenen Verlag für – wenn man so will – literarische Nischen und beschäftige mich auch als Autor damit. Nischen sind für mich heute von der Öffentlichkeit wenig(er) wahrgenommene, unterbelichtete, aber hartnäckig existierende Teile literarischen Schaffens. Experimentelle Arbeiten, gattungshybride Positionen, schwierige Prosa – die Textsegmente an den Rändern der Normalverteilung. Das interessierte Publikum ist überschaubar. Aber man munkelt, dort entsteht Innovation. Produktionsästhetische Forschung, aber auch subversive Auseinandersetzung mit den Marktmechanismen stehen im Vordergrund. Das hat mich immer mehr interessiert als auf Ähnlichkeit und Formenrepertoires ausgerichtete Saisonware oder als grossmeisterliches Kunsthandwerk Gepriesenes, vulgo: Bestsellerliste und bekömmlicher Kanon. 

Wie bist du dazu gekommen, einen Kleinstverlag zu gründen?
Es kam aus dem eigenen Schreiben heraus. Um 2002 hatte ich ansatzweise eine für mich zulängliche Schreibform gefunden. Ich entwickelte und pflegte ein literarisches Weblog, das auch heute noch aktiv ist. Da das damals noch nicht viele gemacht haben und das im Literaturbetrieb erst mal als obskur galt, schlossen sich einige Kolleg*innen zusammen und wir betrieben eine Plattform für poetische Weblogs (litblogs.net). Auch das war ein Nischenprojekt: Man war da eher unter sich, aber mit einer offiziellen Herausgeberschaft und später dann mit systematischem Archivierungsauftrag, obwohl alles sehr dezentral organisiert war und sozusagen aggregiert wurde. Jedenfalls sammelte ich 2006 in diesem Zusammenhang Erfahrungen in der Herausgabe zweier Bücher, und auch diese Seite hat mich gereizt, sodass ich 2008 die edition taberna kritika (etkbooks) gründete. Es war damals schon ziemlich klar, dass das ein dezidierter Nischenverlag werden sollte und weniger etwas, das sich hauptsächlich im Buchhandel abspielt. Ich wollte schliesslich nur machen, was mich interessierte. Und das relativ kompromisslos. Diese Unabhängigkeit kann ich mir glücklicherweise leisten, weil ich noch eine Teilzeitstelle an der Uni (UB Fachreferat) habe, sonst ginge das natürlich finanziell nicht.  

Was ist deine Verlagsstrategie? Was publizierst du wie? Verfolgst du explizit eine Nischenpolitik?
Die Hauptreihe der Edition charakterisiere ich als «Exempelsammlung». Jeder Titel, der hinzukommt, muss sich in Ansatz, Schreibweise, qua Material etc. von der Backlist unterscheiden. Im Idealfall soll also keine Position mehrfach vertreten sein. Durch dieses Differenzkonzept (statt einer sonst üblichen Homogenisierung des Profils durch epigonale oder leicht variierende Wiederholung) erhält jeder einzelne Titel im Kontext dieser Bibliografie nochmals eine spezifische Bedeutung als Koordinate. Jeder Text sollte also eine eigene Nische innerhalb des Programms besetzen. Kann man solche Nischen planen? Mithilfe einiger Tools habe ich versucht, das etwas zu systematisieren und transparent zu machen. So benutze ich – bibliothekarische Berufskrankheit! – kontrolliertes Erschliessungsvokabular in der Form von Schlagwörtern und Deskriptoren (GND) oder arbeite mit einer wissenschaftlichen Klassifikation (DDC), um die Ausdifferenzierungsbreite besser abbilden zu können. Andererseits kann ich so den Autor*innen vermitteln: Wenn keine zwei bis drei neuen Schlagwörter zum Index dazukommen oder keine tiefere Klassenebene beansprucht wird, dann ist die Position grundsätzlich besetzt. Das hört sich hart an, ist aber nachvollziehbar und gerecht. 

In anderen Reihen, zum Beispiel der anonymen Edition aaaa press (aaaa.etkbooks.com), ist dieser Differenzansatz ähnlich spürbar. Die Reihe liegt als Open-Access-Publikation mit Print-on-Demand-Option vor. Weil die Objekte dort hauptsächlich konzeptueller Natur sind (auch so eine Nische), komme ich mit herkömmlichen Hilfsmitteln nicht weiter und verwende eine eigens entwickelte Facettenklassifikation. Dieses Projekt hat eine bestimmte Laufzeit und kommt irgendwann nächstes Jahr zum Abschluss. Gesamthaft ist der Korpus von dann 100 Titeln auch ein wenig als provokante Allegorie gedacht: Sie setzt erstmals eine Foucault’sche Denkfigur um, die die Frage formuliert, was passieren würde, wenn Literatur- und Kunstmarkt nicht über (Autor*innen-)Namen oder Labelprovenienz strukturiert werden könnten, weil diese Informationen schlichtweg zurückgehalten werden. Die Rezeption müsste sich den Artefakten ohne Paratexte nähern, was heute praktisch nicht mehr denkbar ist. 

Man sagt: Nischen bedienen. Ist das nicht sehr defensiv, im Sinne von: Mehr können wir ja nicht tun? Was bringt eine Kunst, die nur Nischen bedient?
Wenn es bei einer schlichten Bedienung bliebe, also der Erfüllung einer Erwartungshaltung, dann wäre das in der Tat nicht besonders offensiv. Und im Ergebnis vermutlich ähnlich originell wie das Funktionieren des Populärsegments, nur eben im kleineren Massstab. Ein normaler (Buch-)Verlag kann halt das tun, was er üblicherweise macht. Er unterstützt Produktion, Herstellung und Vertrieb von Werken und versucht nach Kräften zu vermitteln. Und er sorgt dafür, dass das eigene Profil einigermassen stimmig ist und über diese Stimmigkeit eine weitere Wirkkraft entfaltet wird. Ich mache zusätzlich regelmässig kleine Ausstellungen in meinem Kunstraum, wenn es dem Material entspricht. Visuell orientierte, aber auch konzeptuelle Literatur funktioniert bspw. weniger im Wasserglaslesungskontext. Ein anderer Ansatz ist es, zu versuchen, genau diese Erwartungshaltung zu unterlaufen. Das kann gerade in Nischen probiert werden. Ich versuche das mit meinen genannten Mitteln und in dieser Edition umzusetzen. Gibt es einen künstlerischen Mehrwert? Ich hoffe doch, dass die Edition zur Schärfung einer kritischen Urteilsbildung beitragen kann, indem sie aufzeigt, was man sich als mögliche Literatur vorstellen oder was als solche verhandelt werden kann.  

Stichwort Koexistenz: Wie lassen sich Nischen parallel unterhalten?
Nischen existieren nebeneinander. Oftmals haben sie wenig oder nichts miteinander zu tun, da Abgrenzung ja eine gewisse Profilschärfung bedeutet, was wiederum vorteilhaft für die Aussenwahrnehmung ist. Social-Media-Bubbles oder Communitys sind da strukturell ähnlich. Substanzielles Wachstum ist erwünscht, aber nicht um jeden Preis. Aus diesem Grund ist eine friedliche Koexistenz schon eine ziemlich gute Sache.  

Interessiert dich der Mainstream?
Im Job Nr. 1: naturgemäss ja. Von mir wird erwartet, dass ich einen guten Überblick über eine allgemeine Literaturproduktion habe. Das meint den Mainstream, aber natürlich auch diverse Nischen. Manche Nischen können auch erst durch diesen Überblick als solche erkannt bzw. identifiziert und dann verfolgt werden. Trends gibt es also auch in Subsystemen. Das finde ich ausserordentlich interessant. Zweitberuflich aber eher weniger. Grösstenteils beschäftige ich mich mit dem Feld, das auch für den Verlag relevant ist. Daneben lese ich aber, worauf ich Lust habe oder was mir in die Hand fällt, ohne mich an irgendeinem imaginären Kanon abzuarbeiten.  

Was passiert, wenn die Nische populär wird?
So etwas kann man im Buchmarkt beispielsweise schön im Bereich der zeitgenössischen Mundartliteratur oder der aus dem Poetry Slam erwachsenen Spoken-Word-Ecke beobachten. Erstaunlicherweise gibt es da ja eine grössere Schnittstelle. Spezialverlage mit einem gewissen Community-Hintergrund bauen allmählich einen spezifischen Katalog auf, und ab einem gewissen Punkt wird die Sache grösser und bekannter. Danach sind die Feuilletons voll damit und man erfindet ein seriöses oder klangvolles Label dafür. Ein paar Jahre später gibt es dann ein so bezeichnetes Regal in der Buchhandlung, das immer breiter wird. Vielleicht sind die kleinen Verlage in der Zwischenzeit grösser geworden, aber andere – gestandenere Verlage – wollen da natürlich auch drinstehen und werden auch ein paar Titel lancieren. (Oder gleich Autorschaften aus anderen Verlagen akquirieren, aber das ist im Musikbereich möglicherweise drastischer.) Das geht dann so lange weiter, wie die Energie der Verlage reicht und das – mittlerweile grössere, aber dennoch überschaubare – Publikum mitzieht. Dieses Regal wird also sicher eine Weile bleiben. Irgendwann aber, beim nächsten grossen Ding, wandern die Werke wieder zurück ins zeitgenössische Autor*innen-Alphabet, oder in die Lyrikabteilung (Grossnische), denn ich glaube, dass längerfristig weiterhin mehr in die Arbeit an Autorschaftsinszenierungen investiert wird. Auch ein Grund, warum etkbooks wohl eher in der Nische bleiben wird.