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N°2/2023
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Noémie Fatio

Eine Graphic Novel, die das Thema Mutterschaft kritisch beleuchtet: Realisieren tut dieses spezielle Projekt HKB-Absolventin Noémie Fatio, finanziell ermöglicht mit einem Förderbeitrag des Comic-Stipendiums Fumetto.

Text

Hat Kunstgeschichte, Literatur und Journalismus studiert. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen in Bern.

Ein Haus mit einem Gesicht, das ein- und ausatmet, wobei Rauch aus dem Kamin strömt. Dieses bewegte Bild begrüsst einen auf der Website von Noémie Fatio. Die 24-jährige Absolventin des Studiengangs Visuelle Kommunikation an der HKB ist Illustratorin, Comiczeichnerin und Grafik-Designerin. Nun hat sie das mit 12 500 Franken dotierte Comic-Stipendium Fumetto gewonnen. Ihre Graphic Novel MA konnte die Jury begeistern und soll nun mit Unterstützung des Fördergeldes realisiert werden. «Ihre eigenwillige und reflektierte Bildsprache macht Lust auf mehr», begründet die Jury ihr Urteil. Mit einem soliden und erfrischenden Zeichenstil schaffe Fatio es, das Thema Mutterschaft kritisch unter die Lupe zu nehmen und das noch heute vorhandene heteronormative Elternmodell zu reflektieren und zu hinterfragen.

Foto: Tim Rod

Fatio selbst hat die Erfahrung der Mutterschaft bisher nicht gemacht. Was hat sie daran fasziniert? «Wirst du als Female geboren, wirst du rasch mit dem Thema konfrontiert.» Rollenzuschreibungen fänden schon in einem sehr jungen Alter statt, etwa indem man Mädchen zum Puppenspiel animiere und ihnen somit die Care-Arbeit zuschreibe, findet sie. In Fatios Geschichte gibt es als Mutterfigur eine Tigerin. Als «Tigermum» werden gemeinhin Mütter, die viel fordern, bezeichnet. Somit werden in der MA auch Erziehungsmodelle kritisch beleuchtet. Fatio zeichnet oft Tiere, denen sie menschliche Züge und Charaktereigenschaften verleiht. «Es erlaubt mir, eine gewisse Distanz zu meinen Figuren herzustellen und ihnen spezifische Charaktereigenschaften zuzuschreiben.» Ihre Graphic Novel (eingedeutscht: Comicroman) versteht sie als Satire, die auch aufzeigt, wie man sich von belastenden Erwartungen befreit.Das Zeichnen begleitet Fatio, die zweisprachig in Biel aufgewachsen ist, seit ihrer Kindheit. «Ich habe jeweils ganze Skizzenbücher mit gezeichneten Geschichten gefüllt», so die Illustratorin. Dass sie sich für Outsider begeisterte, fiel ihr erst später auf. So zeichnete sie etwa einen Elefanten im Zoo, der von den anderen Tieren nicht akzeptiert wird. «Es hatte nichts mit einer persönlichen Erfahrung zu tun, aber ich habe wohl mit diesem Elefanten mitgefühlt.»  Als sie sich schliesslich an der Schule für Gestaltung in Biel einschrieb, wollte sie etwas Greifbares und Technisches erlernen, sich auf Produktedesign spezialisieren.Später an der HKB, wo Fatio von 2018 bis 2022 studierte und einen Bachelor in Visueller Kommunikation erlangte, wurde ihr klar: «Ich möchte zeichnen.» Sie könne sich zeichnerisch einfach am besten ausdrücken. Alles sei offen, nicht einmal die Schwerkraft beschränke einen beim Zeichnen. Dinge miteinander zu kombinieren, die nicht unbedingt zueinander gehören, machen Fatios Stil ebenso aus wie die Tatsache, dass sie leblosen Gegenständen wie Tassen oder Büchern Gesichter verpasst. Zurzeit absolviert die Illustratorin ein dreimonatiges Praktikum in Brüssel, beruflich hat sie sich selbstständig gemacht. So erhielt sie schon diverse Illustrationsaufträge für Plakate, Albumcovers, Flyers oder Postkarten. Eine Carte Blanche bekam sie etwa bei einem Auftrag für das Gärbi Breihaus in Biel. Der Eventort vereint Kultur und Kulinarik. Fatio versinnbildlichte das mit einem ellenlangen Dackel, der in ein Weinglas gefallen ist.«Ich habe gerade erst gestartet», so Fatio über ihr Studio. In Brüssel ist sie im Mekka der Comic-Kunst angelangt. So stammte etwa Hergé (1907–1983), der Schöpfer von Tim & Struppi, der mit seiner Ligne claire viele Zeichner*innen bis heute prägt, aus Belgien. Von den zeitgenössischen Zeichnern fällt Fatio spontan der belgische Comic-Autor Olivier Schrauwen ein. Diesem gelang mit Mein Junge eine eigentümliche Geschichte rund um einen Vater und seinen kleinwüchsigen Sohn. Schrauwen hat an der renommierten Schule École supérieure des Arts Saint Luc in Brüssel studiert. Auch Fatio hat an dieser Schule ein Semester absolviert und dabei Illustration studiert. «Man wurde gepusht, narrativ zu arbeiten, eine Message rüberzubringen», so Fatio. Brüssel sei eine spannende Stadt, in der sehr viele Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Szenen lebten.Auch das Studium in Bern hat Fatio genossen. «Der Studiengang Visuelle Kommunikation hat mir gut gefallen.» Man habe seinen Stundenplan individuell zusammenstellen können und wurde dazu angeregt, viel zu experimentieren, die eigene künstlerische Praxis zu verfolgen. «Speziell die Dozentin Caroline Schreiber liess es im Rahmen eines Moduls zu, dass wir unsere eigene Bildsprache entwickeln konnten.» Fatio liebt es, sich in eine Zeichnung zu vertiefen, Menschen und Dinge ganz präzise darzustellen. «Ich bin ein Detailfreak.» In ihrer Freizeit liest Fatio gerne feministische Literatur. Autorinnen wie Virginia Woolf oder Virginie Despentes faszinieren sie. Und natürlich mag sie auch Graphic Novels. Zum Beispiel Hort der Zeichnerin Marie Pohl, die unter dem Künstlernamen Marijpol bekannt ist. In Hort teilen sich drei ungewöhnliche Frauen eine Wohngemeinschaft: eine Bodybuilderin, eine Frau mit einem Schlangenarm und eine Riesin. Die Freundinnen lernen drei verlassene Kinder aus der Nachbarschaft kennen und nähern sich ihnen mit zwiespältigen Gefühlen. «Sehr cool», fasst Fatio zusammen.