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N°3/2021
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Nicola Pozzani

Duftdesigner in der Haute Parfumerie und Lehrbeauftragter an der HKB: Nicola Pozzani erzählt, wie er Menschen half, die ihren Geruchssinn verloren hatten, und welche Düfte er als besonders angenehm oder als besonders ätzend empfindet. 

Viele an Corona erkrankte Menschen haben ihren Geruchssinn verloren. Der Supergau für jeden Parfumeur, der mit seiner feinen Nase sein Geld verdient. Nicola Pozzani, Duftdesigner und Dozent, bestätigt, dass seine Angst vor der Krankheit gross ist. «Es war ein herausforderndes Jahr für mich», so der 1981 in Verona geborene Italiener. Der unter anderem an der Hochschule der Künste Bern als Dozent engagierte Duftdesigner lebt in London und hat dort einen harten ersten Lockdown erlebt. «Ich wollte meine Kunden treffen und hatte gleichzeitig Angst, mich anzustecken», erklärt er. Auch der Online-Unterricht habe etwas Absurdes an sich gehabt. Wie soll man ohne olfaktorische Erlebnisse Duftdesign unterrichten? In seinen legendären Workshops konnte Pozzani schon vor Corona Menschen helfen, die den Geruchs- und den Geschmackssinn verloren hatten. Die sogenannte Anosmie kann verschiedene Ursachen haben, etwa Verletzungen im Gehirn. «Es war erstaunlich, aber unsere Geruchstrainings führten dazu, dass Studierende, die am Anfang des Kurses nichts mehr riechen konnten, plötzlich Düfte wieder wahrnahmen», so der Parfumeur. Pozzani richtet im November an der HKB die Toolbox Olfactory Art & Design Heute setze man Duftexperten sogar in Spitälern ein, weil man beweisen konnte, dass man den Geruchssinn wie einen Muskel trainieren könne. Pozzani ist als Dozent nebst der HKB auch am London College of Fashion und an der Slade School of Fine Arts UCL tätig. Seinen Unterricht bezeichnet er als experimentell und ein bisschen verrückt. «Ich ermutige die Studierenden, Düfte zu erfahren und zu interpretieren.» Seine Klassen seien sehr heterogen und würden aus den unterschiedlichsten kreativen Menschen bestehen. «Bildende Künstler*innen, Designer*innen und Architekt*innen nehmen an meinen Workshops teil.» Sein Fach sei relativ jung, klar. Aber die Idee, Düfte beispielsweise in Bauten zu integrieren, gebe es schon eine ganze Ewigkeit. «Wenn man an Kirchen und deren Einsatz von Weihrauch denkt, merkt man, wie wichtig der Geruch für die dortige Erfahrung ist», so Pozzani.  

Foto: Caroline Zissernig

Inspiriert von Rimbaud
Der erste Duft, an den er sich erinnern könne, sei jener seiner Mutter. «Sie roch nach einem französischen, orientalischen Parfum. Weich, warm und glamourös.» Pozzani ist der Sohn eines Unternehmers und einer Reisekauffrau. Er habe den Geschäftssinn und die Liebe zu fremden Kulturen wohl von seinen Eltern geerbt, sein eigener Berufswunsch mutete in seiner Familie aber eher exotisch an. In jungen Jahren wollte Pozzani in der Modebranche Fuss fassen. Ein «schöner Zufall» habe ihn schliesslich ins Reich der Düfte geführt. In Mailand entdeckte er an der einzigartigen Università dell’Immagine, die es heute nicht mehr gibt, einen Studiengang, bei dem er sich auf einen der fünf Sinne konzentrieren konnte. Der Parfumeur Jean-Claude Ellena wurde sein Lehrer und Mentor. «Durch diesen Meister aus der Parfumstadt Grasse wurde ich in die Parfumkunst eingeführt.» Ausserdem habe ihn Ellenas Art, zu unterrichten, stark geprägt. In seinem eigenen Unterricht erklärt Pozzani den Studierenden unter anderem, wie aus Rohmaterialien Duftnoten entstehen. Pozzani ist Synästhetiker, bei dem Sinnesreize verknüpft sind. Eine Sinneserfahrung, die bereits die französischen Dichter Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud umtrieb, die Buchstaben mit Farben assoziierten. Erst sechzehnjährig, schrieb Rimbaud das Gedicht Sensation (1870). Der Poet beschreibt in diesem Text einen Spaziergang während einer Sommernacht. Für Pozzani wurde das Gedicht zur Inspiration. «Es gibt zahlreiche Anspielungen auf Düfte darin.» Er selbst liebt Düfte, die überraschend daherkommen. «Sommerabende in Italien riechen besonders gut», verrät er. Als er in Sizilien zu einem Hochzeitsfest langjähriger Freunde eingeladen war, habe es auf der Terrasse etwa nach Orangenblüten und Jasmin gerochen, schwärmt er. Bei seinem ersten Job als Duft-designer sollte Pozzani die Ursprünge des Parfums Aqua di Parma erforschen, das von Louis Vuitton aufgekauft worden war. Dabei tauchte er tief in die Kultur seiner Heimat Italien ein: Wie war die Badekultur in der Antike? Dass sich Parfumeure beim Entwickeln eines Duftes solche Fragen stellen würden, bleibe den Konsument*innen oft verborgen. Doch nicht nur die Duftnoten seien bei einem Parfum wichtig. «Name und Verpackung spielen ebenfalls eine grosse Rolle», so Pozzani. Düfte würden oft viel über die Zeit aussagen, in der sie kreiert wurden. Er selbst trägt ein individuelles Parfum, das aus verschiedenen Duftnoten besteht, die ihm befreundete Parfumeure zusammengestellt haben. In der sogenannten Haute Parfumerie geht es genau darum: für eine Persönlichkeit den perfekten Duft zu finden. Pozzani hat unter anderem für das legendäre Londoner Parfumhaus Floris gearbeitet. Die traditionsreiche Institution besteht bereits seit 1730. Bis zu 5000 Pfund könne ein individuelles Parfum kosten, das mit einem massgeschneiderten Anzug vergleichbar sei. An solchen Aufträgen liebt Pozzani den Kundenkontakt. «Du musst eine Person sehr gut kennenlernen, um herauszufinden, welcher Duft zu ihr passt.» Auch nach Saudi-Arabien hat es den viel reisenden Duftdesigner bereits verschlagen. «Ich habe dort viel über Düfte gelernt.» In der arabischen Kultur hätten Düfte einen hohen Stellenwert. «Während wir in Europa den Wein zelebrieren, der im Christentum eine wichtige Rolle spielt, ist es im arabischen Raum das Parfum, das man verehrt.» Der unangenehmste Duft seines Lebens stach ihm in einer Ledergerberei in Italien in die Nase: «Es roch nach toten Tieren und Chemikalien.»  

Yoga und Natur  
Aktuell arbeitet Pozzani an einem Projekt in Venedig. Viele Städte – zum Beispiel London – hätten ihren einzigartigen Duft verloren. Bei Venedig sei das anders, schwärmt er. Wenn er nach Bern komme, was er seit sieben Jahren jährlich tue, habe er immer wieder dasselbe Dufterlebnis. «Du fühlst dich durch die frische Luft mit Sauerstoff angereichert.» Die Nähe zur Natur und zu den Bergen sei einzigartig. Wohlbefinden ist ein wichtiges Thema in Pozzanis Leben. Während des Lockdowns betätigte er sich als Yogalehrer und gab Online-Unterricht. «So, wie Dufterlebnisse dein Leben bereichern können, kann das auch Yoga tun», glaubt er. Pozzani ist Mitglied der British Society of Perfumers, die seit 1963 den Beruf des Parfumeurs fördert. Der berühmteste Parfumeur der Literaturgeschichte bleibt wohl die Figur des Grenouille aus Patrick Süsskinds Roman Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders. Der Romanheld hat ein besonderes Talent, wenn es um Düfte geht: Er riecht sogar, ob eine Raupe in einem Salatkopf steckt oder nicht. Schliesslich wird er zum Mörder, um den ultimativen Duft zu kreieren, dem alle erliegen. «Wir Parfumeure haben alle einen hoch entwickelten Geruchssinn», sagt Nicola Pozzani auf den Roman angesprochen. «Das ist aber das Einzige, was mich mit dieser abscheulichen Romanfigur verbindet», fügt er lachend an.