Myriam de Wurstemberger
Myriam de Wurstemberger hat an der HKB den Bachelor Fine Arts absolviert. Ihre Arbeit Safe Space – ein Ganzkörperanzug, der aus Nadeln besteht – wurde von der Berner Design Stiftung unterstützt und im Rahmen der Ausstellung Bestform ausgestellt.
Ganze 24 000 goldene Messingnadeln hat Myriam de Wurstemberger auf einem Ganzkörperanzug durchgestochen und fixiert. Wie ein goldenes Fell wirken die Nadeln, die sich bewegen, wenn man sich das Objekt überstülpt. Das hat die Künstlerin im Rahmen einer Performance gemacht und kam sich vor wie in einer piksenden Ritterrüstung. Während sie sich in dieser zweiten Haut bewegte, forschte sie darüber nach, welche Auswirkung die physische Abgrenzung auf sie hat. Der Titel Safe Space kam ihr in den Sinn, weil sie sich mit dem Anzug zu schützen und zu verbergen versuchte und gleichzeitig gesehen werden wollte.Kritiker*innen ist der Safe Space – ein Raum, in dem Minderheiten zusammenkommen können, ohne marginalisiert zu werden – ein Dorn im Auge. Sie sehen darin den Unwillen, andere Meinungen auszuhalten, deuten das Untereinander-bleiben-Wollen als Opferhaltung. De Wurstemberger möchte durch einen emotionalen und sinnlichen Zugang greifbare Kunst machen, die eine Brücke baut von persönlicher Erfahrung zu gesellschaftlich relevanten Themen.
Am Anfang stand ein Fluch
Das Video, das im Werkprozess entstanden ist, konnte sie gemeinsam mit dem Objekt selbst im Kornhausforum im vergangenen März, während der Ausstellung Bestform, präsentieren. Die Berner Design Stiftung hat ihre Arbeit mit 8000 Franken unterstützt. Die Reaktionen auf die stachelige Haut seien sehr positiv ausgefallen, so die Künstlerin. Sie war etwa als Referentin an einer Veranstaltung der Berner Fachhochschule zum Thema Safe Space im Kornhausforum eingeladen. Statt eines ausschliesslich politischen Textes hatte sich de Wurstemberger für einen persönlichen Approach entschieden.De Wurstemberger begann ihr Referat mit der Geschichte eines Fluches. «Wann wurde ich eigentlich mit dem Fluch der Nadeln belegt?», fragte sie sich selbst und die Zuhörenden. Tatsächlich hatte ihr bereits verstorbener Vater einst gesagt: «Du bist wie der Kaktus, den ich zu deiner Geburt deiner Mutter geschenkt habe: aussen stachelig, innen weich.» De Wurstembergers Fazit: «Es wurde mir in die Wiege gelegt.» Mit spitzen Gegenständen hatte die Künstlerin bereits für eine vorangehende Arbeit experimentiert. Die Arbeit Du sollst lieben von 2011 besteht aus Boxhandschuhen, die de Wurstemberger von innen und aussen mit Reissnägeln bestückt hat. «Es geht um Beziehung, Anziehung, Liebe und Wut», so die Künstlerin.
Häkeln und Makramee
Vor ihrem Studium an der HKB schloss Myriam de Wurstemberger eine Lehre zur Damenschneiderin ab. Ihrem künstlerischen Schaffen liege das Schneiderhandwerk zugrunde. Ihr präzises Arbeiten, das auf Ausdauer beruhende Handarbeiten, weist tatsächlich einige Parallelen zur Haute Couture auf, ihr Schutzanzug könnte auch an einer avantgardistischen Fashion-Show bestehen. Ein auffallender Aspekt der Arbeiten sind insbesondere traditionelle Techniken zur Verarbeitung von Textilien, wie das Weben, Sticken, Stricken und Häkeln. Oft werde etwas erst durch eine gewisse Menge interessant, so die Künstlerin, die viele kleine Kokons häkelte und diese zu einer Installation zusammenfügte. Auch Makramee ist eine Technik, die sie beherrscht. «Nicht zuletzt ist die textile Handarbeit für mich auch thematisch relevant als Stigma der typischen Hausfrauentätigkeit.»Für die Arbeit Verstrickung, für die sie ein 30 Kilo schweres Objekt aus Wolle strickte, liess sie sich von einem Schreiner extragrosse Nadeln herstellen. Es war ihre Grossmutter, die ihr das Stricken beibrachte. Die aus Deutschland stammende Mutter war eine alleinerziehende Schauspielerin und Feministin. «Sie arbeitete bei der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann und zog uns vier Kinder auf», so de Wurstemberger. Sie habe vieles gekonnt, aber Stricken gehörte nicht dazu. Eine stark Suchende sei ihre Mutter gewesen, die es als Feministin in den 1980er-Jahren nicht immer einfach hatte. «Vier Kinder zu haben, galt als wenig progressiv.» Der als Bühnenbildner tätige Vater war nach Griechenland ausgewandert und spielte vielleicht gerade wegen seiner Abwesenheit im Leben der Künstlerin eine bedeutende Rolle.
Von der Raupe zum Schmetterling
Ihre Ausbildung im Bachelor Fine Arts an der HKB empfand die Künstlerin als wichtigen Moment in ihrer künstlerischen Entwicklung. «Sie ermöglichte mir eine intensive Auseinandersetzung mit meiner Kunst und der Kunst im Allgemeinen.» Als eine Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling beschreibt sie ihre Erfahrung. De Wurstemberger konnte auch viele Kontakte knüpfen, etwa zu Schauspieler*innen, mit denen sie bis heute befreundet ist. Als Bühnenbildnerin arbeitete sie für verschiedene Produktionen der freien Szene.Aktuell beschäftigt sich de Wurstemberger mit dem menschlichen Gehirn. «Die Neurobiologie und Phänomene wie der Placebo-Effekt interessieren mich.» Wie sich diese Faszination auf ihre Kunst auswirken wird, ist noch offen. Eines ist sicher: Die nächste Werkreihe wird wieder mit Nadeln zu tun haben. Dieses Mal werden sie auf grossflächige Tücher appliziert. Ihr künstlerisches Know-how gibt de Wurstemberger gerne weiter. So ist sie etwa an der Heilpädagogischen Schule in Döttigen engagiert, wo sie in einem Workshop mit Kindern mit Beeinträchtigung arbeitet. Die Künstlerin stellt Material zur Verfügung und gibt Anregungen. Aktuelles Thema: Wer oder was ist für dich ein Held bzw. eine Heldin?