Musik und Bewegung im Einklang
Anna Sofia Hostettler hat im Sommer einen Master als Musik- und Bewegungspädagogin erlangt. Ihre Solo-Performance mit dem Titel Verformte Erinnerungen trägt eine eigenwillige künstlerische Handschrift.
Tanz und Musik hatten bei Anna Sofia Hostettler bereits als Kind gleich grossen Stellenwert. Was also tun, wenn man sich für das eine oder andere entscheiden muss? «Nach der Matura dachte ich zunächst an eine Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule, weil Unterrichten mich ebenfalls interessierte. Nachdem ich die Info-Woche zum Studiengang Musik und Bewegung der HKB in Biel besucht hatte, war mir sofort klar, dass ich mit dieser Ausbildung meinen beruflichen Wünschen sehr nahekomme.» Seit diesen Sommer, acht Jahre später nämlich, ist sie frischgebackene Master Pedagogy in Musik und Bewegung (Rhythmik). Ihre Performance, die sie zum Abschluss ihres Studiums präsentierte, lässt den komplexen, drei unterschiedliche Disziplinen umfassenden Titel vergessen. Sie wirkte in sich stimmig und trug eine sehr persönliche Handschrift.Ein eigenes künstlerisches Profil entwickeln: Beim Beschrieb der beiden Master-Studiengänge im Bereich Rhythmik auf der Website der HKB steht dies denn auch an erster Stelle. Der Weg dahin ist lang und führt mitunter über Nebengeleise, wie sich am Beispiel des Ausbildungswegs von Anna Sofia Hostettler aufzeigen lässt. «Ich wollte mein Abschlussprojekt unbedingt im Dachstock der Alten Krone in Biel realisieren», erzählt sie. Die jahrhundertelange, wechselvolle Geschichte des markanten Gebäudes im Zentrum der Bieler Altstadt hatte es ihr angetan. Sie nahm sich im April vergangenen Jahrs eine Woche Zeit für erste Recherchen und setzte sich mit den räumlichen und akustischen Voraussetzungen des Gebälks auseinander. Mit dabei hatte sie ihr Hauptinstrument, eine Harfe. Weil der Klang des Instruments sich im Raum nicht richtig entfalten wollte, begann sie die Holzbalken abzuzeichnen und Assoziationen zum Raum in Worte zu fassen. Sie zerschnitt die Papierfetzen, auf denen die einzelnen Wörter standen und setzt sie neu zusammen, arrangierte die Wortgebilde nach Vokalen und Konsonanten und entwickelte daraus rhythmische Motive, zu denen sie auf der Harfe passende Geräusche und Klänge suchte.Musik- und Bewegungs-Studierende wählen Gesang oder ein Instrument als Schwerpunkt. Parallel dazu entwickeln sie Kompetenzen im Bereich Bewegung und Tanz. In den ersten Ausbildungsjahren stehen grundlegende Techniken im Vordergrund, verbunden mit Unterricht in Anatomie. «Wir lernten unsere Knochen, Sehnen und Muskeln kennen und aus dem Körpergefühl heraus zu improvisieren.» Erst in den beiden Masterstudiengängen mit Schwerpunkt Performance bzw. Tanzvermittlung geht es um Tanz im engeren Sinn. «Neben Tanztechnik lernten wir ganz unterschiedliche Stile kennen. Das reicht vom klassischen Ballett bis hin zu Contemporary Dance und Capoeira.» Letzteres ist ein brasilianischer Kampftanz. Vermittelt wurde er von Joshua Monten, jenem schweizerisch-amerikanische Choreografen, der bekannt ist für Arbeiten, die Grenzen des Tanzes ausloten und Schnittstellen zu anderen künstlerischen Disziplinen suchen. Joshua Monten unterstützt als Mitglied des Dozierendenteams der Masterstudiengänge die choreografischen Arbeiten der Studierenden und lässt sie an seinen vielseitigen Erfahrungen teilhaben. Auch Anna Sofia Hostettler profitierte von seinen Inputs: «Die Zusammenarbeit mit ihm war äusserst bereichernd.»Die Körpersprache, die sie in ihrer Abschlussperformance auf die musikalischen Motive entwickelte, speist sich aus einem breiten Bewegungsvokabular. Dabei griff sie nicht nur auf die im Studium erarbeiteten Techniken und Stile zurück, sondern auch auf eigene Bewegungs- und Tanzerfahrungen. Anna Sofia Hostettler hat zwölf Jahre lang Flamenco getanzt. Auch bildete sie sich in Yoga weiter. In den Bewegungsrecherchen zu ihrer Abschlussperformance sei sie auf das polare Begriffspaar «festhalten-loslassen» gestossen, erzählt sie. Die Körperbewegungen würden dabei oft aus einem Impuls heraus entstehen. «Wenn ich auf dem Dachboden liege und eine Unebenheit spüre, weiche ich ihr nicht aus, sondern versuche sie in meinen Bewegungsablauf zu integrieren.» Mut zu spontaner Kreativität im Umgang mit Klang und Bewegung: Das ist ein zentrales Merkmal des künstlerischen Selbstverständnisses der 25-Jährigen. Angeregt dazu wurde sie unter anderem vom Akkordeonisten und Improvisationskünstler Jonas Kocher, auch er ein musikalischer Gratwanderer und auch er ein Mitglied des fachlich diversen Dozierendenteams.Von der Idee bis zur Umsetzung: Für alle Aspekte ihrer Performance mit dem Titel «Verformte Erinnerungen» war Anna Sofia Hostettler selbst verantwortlich. Natürlich standen ihr mit der Studiengangleiterin Claudia Wagner oder mit Franziska Meyer, die an der HKB unter anderem für Projektentwicklung zuständig ist, erfahrene Coaches zur Seite. Die Studierenden eignen sich in den Fächern Choreografie oder Bühnentechnik entsprechende Kompetenzen an. Ziel des Studiengangs ist es schliesslich, dass die angehenden Musik- und Bewegungskünstler*innen auch in Zukunft eigene Projekte realisieren, in denen gemäss Beschrieb auf der Website «Klang, Körper, Szene und Performance vernetzt sind». Bei Anna Sofia Hostettler kommen noch «Sprache» und «Text» hinzu. Und sie denkt bereits an die Zukunft: «Ich arbeite an einem neuen Soloprogramm.» Daneben pflegt sie ihre weiteren beruflichen Standbeine: Sie tritt als Harfenistin und als Dirigentin der Performancegruppe The Blowing Tamaraoke Orkestar auf. Dirigiertechniken gehören notabene ebenfalls zum Curriculum.Zudem beteiligt sie sich an Projekten in den Bereichen Musik und/oder Bewegung und präsentiert sie an Festivals oder Theatern in Biel und Umgebung. Ein wichtiges berufliches Standbein bildet die Pädagogik. Die Bieler Musik- und Bewegungskünstlerin unterrichtet an einer Primarschule musikalisches Grundwissen. Auch darin versucht sie, Theorie und Praxis, Musik und Bewegung in Einklang zu bringen. Besteht bei dieser Vielfalt von Disziplinen und Tätigkeiten nicht die Gefahr von Verzettelung? «Verzettelung bedeutet für mich, das eine oder andere vernachlässigen. Das ist bei mir nicht der Fall. Wenn ich mich an einem Projekt beteilige oder selber eines entwerfe, dann engagiere ich mich immer hundertprozentig.»