Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
N°3/2023
i

Mitentscheiden ist Pflicht

Das Schweizer Opernstudio in Biel, eine Abteilung der HKB, ist ein einmaliges Ausbildungsangebot in der Schweiz. Die Studierenden lernen, zu einer demokratischeren Opernwelt beizutragen.

Text

Kulturjournalistin und Redaktorin am Bieler Tagblatt

Flüchtlingskrise. Umweltzerstörung. Krieg. Die Themen beherrschen die gegenwärtigen politischen Debatten. Sie brennen der Gesellschaft unter den Nägeln. Das zeigt auch der Blick in die aktuelle Literatur oder auf gegenwärtige Kunst. Der deutsch-syrische Aktionskünstlers Manaf Halbouni etwa installierte vor wenigen Jahren mitten auf dem Dresdener Theaterplatz einen alten Mercedes, auf dessen Dach sich Hausrat und Koffer türmten. Als Zeichen des Protests gegen die deutsche Flüchtlingspolitik dienten ihm andernorts mit menschlichen Habseligkeiten vollbeladene Surfbretter. Sie waren auch am Stadttheater Biel zu sehen. Dies im Rahmen einer Produktion des Schweizer Opernstudios, eines in Biel angesiedelten Studienbereichs der HKB. «Oper muss sich mit den Fragen der Zeit beschäftigen», erklärt der Studiengangleiter Mathias Behrends.           Verantwortlich für Konzeption und Realisation dieses Opernabends unter dem Motto now here is home waren nicht nur Manaf Halbouni und Mathias Behrends. Bei der szenischen Umsetzung wirkten auch die angehenden Opernsänger*innen mit. «Eine aktive Auseinandersetzung mit ungewöhnlichen künstlerischen Ideen ist am Schweizer Opernstudio Bestandteil des Einstudierungsprozesses», sagt Studiengangleiter Behrends. Nicht alle Studierenden liessen sich damals bereitwillig darauf ein, Opern aus Frühklassik und Spätromantik mit gegenwärtigen Fragen zu verknüpfen und neue Ideen der Umsetzung zu wagen. Inzwischen hat sich szenische Mitwirkung zu einem fixen Modul im zweijährigen Masterstudiengang entwickelt.Heute ist sogar eine eigenständige künstlerische Arbeit Pflicht. In diesem Kontext bildete die Uraufführung der Oper Barabbas vergangenen April einen Höhepunkt: Sie wurde von der Idee bis zur Umsetzung ausschliesslich von Studierenden verantwortet. Beim verhandelten Sujet ging es notabene um den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine.Das Schweizer Opernstudio ist eine schweizweit einmalige Ausbildungsstätte. Den Unterschied zum Internationalen Opernstudio in Zürich erklärt Mathias Behrends wie folgt: «Ein gewichtiges Unterscheidungskriterium ist die Anbindung unseres Angebots an eine Hochschule. Das Studio in Zürich ist mit dem Opernhaus verknüpft. Dort werden Sänger*innen gezielt für anstehende Produktionen gesucht. Wir rekrutieren dagegen ausgebildete Gesangstalente, die über ein Entwicklungspotenzial verfügen. Das Stimmfach ist nicht das hauptsächliche Auswahlkriterium.» Ziel des Ausbildungsgangs sei es, bei den jungen Opernsängerinnen und -sängern ein zeitgemässes Denken über Oper zu installieren. Als Master in Specialized Music Performance – Oper sollten sie befähigt sein, der Arbeit von Regisseur*innen mit Verständnis, Initiative und Fantasie zu begegnen.Mathias Behrends studierte an der Hochschule Hanns Eisler in Berlin Regie im Musiktheater. Zu seinen Ziehvätern und -müttern gehörte Ruth Berghaus. Die spätere Zusammenarbeit mit ihr wie auch mit dem Intendanten Klaus Zehelein prägten sein Verständnis von zeitgemässem Musiktheater nachhaltig. Die beiden bezeichnet er als «Leitsterne» seiner Arbeit. «Ruth Berghaus hat alles in Frage gestellt: die Welt, die Kunst, die Gesellschaft, sogar ihre eigene Position.» Und von Klaus Zehelein habe er gelernt, auch mal ein ganzes Haus bis hin zu den Ticketverkäuferinnen in einen Diskurs einzubeziehen. «Oper ist immer modernes Regietheater. Monteverdi war zu seiner Zeit unglaublich modern. Auch die Opern von Mozart waren es. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde das Publikum ‹altgierig›. In der bildenden Kunst sind mutige und kritische Positionen breit akzeptiert. Weshalb darf das Musiktheater nicht auch neugierig sein?»Mathias Behrends Anliegen ist es letztlich, seine Studierenden auf aktuelle Fragestellungen, Dialogbereitschaft und Fantasiefähigkeit zu sensibilisieren und dadurch zu mehr gleichberechtigten und demokratisch organisierten Opernhäusern beizutragen – und zwar weltweit. Schliesslich kehren die jungen Sängerinnen und Sänger dorthin zurück, wo sie herkommen, nämlich in alle Kontinente. Bereits im Jahr 2002, als Mathias Behrends die Leitungsstelle antrat, weckte das Schweizer Opernstudio Aufsehen über den Kanton hinaus. Martin Markun galt als Instanz in Sachen zeitgenössisches Musiktheater. Der Regisseur leitete damals nicht nur die in Biel angesiedelte Ausbildungsstätte, sondern auch das Musiktheater der dortigen Orchestergesellschaft. Mathias Behrends Aufgabe bestand darin, das Schweizer Opernstudio an die Strukturen der damals neu erschaffenen HKB anzupassen und den Ausbildungsgang inhaltlich und konzeptionell weiterzuentwickeln. «Mich interessierte neben der eigenen Regiearbeit immer auch die Lehre. Die Aufgabe reizte mich auch, weil die HKB von Anfang an ein unkonventionelles Profil aufwies und als Institution ihre aktuelle Situation stets hinterfragt. Mir ist es wichtig, dass das Schweizer Opernstudio an diesen Diskursen teilhat.»Dass sich die Räumlichkeiten des Schweizer Opernstudios nicht im Zentrum der HKB in Bern, sondern an der geografischen Peripherie befinden, sei Glück und Herausforderung zugleich. «Das Dasein als Insel ermöglicht uns, fokussiert zu arbeiten.» Kooperationen sind gerade deshalb aber von zentraler Bedeutung. Mit den Opernhäusern in Biel und Bern, wo die Studierenden professionelle Bühnenerfahrung sammeln, bestehen sie bereits seit mehreren Jahren. Dazu gesellen sich projektbasierte Zusammenschlüsse. Letztes Jahr etwas mit der Musikhochschule in Zagreb. Im Oktober erfolgt ein Austausch mit einer Musikhochschule in Litauen. «Für Projekte innerhalb der HKB braucht es besonderen Effort, um Brücken zu schlagen.» Mathias Behrends erwähnt als Beispiele die Produktion «Natur & Oper» im unterirdischen Hochregallager in Ostermundigen oder eine andere, die in Zusammenarbeit mit dem Studiengang Jazz erfolgte. Es gehe bei diesen Projekten nicht nur darum, Menschen zusammenzubringen und sich auszutauschen, sondern auch darum, Neues zu wagen.Was die Zukunft des Schweizer Opernstudios angeht, sieht Mathias Behrends viel Entwicklungspotenzial. Er denkt an einen Schwerpunkt für zeitgenössisches Musiktheater. Regieerfahrung soll ebenfalls mehr Gewicht erhalten. Auf breiter Ebene vertiefen möchte er auch ein Thema, das im Vorjahr auf grosses mediales Interesse stiess: Musik von Komponistinnen. Das Schweizer Opernstudio dürfte auch in dieser Hinsicht vorbildlich sein.