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N°4/2021
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Matthieu Mazué

Diesen Herbst wurde das Matthieu Mazué Trio mit dem ZKB-Jazzpreis 2021 ausgezeichnet. Bei unserem Treffen spielte Matthieu Mazué, der Pianist der Gruppe, ein Stück namens Black Cloud und erzählte, wie er über den Rock ’n’ Roll zum Jazz fand.   

Er fühle sich in Bern pudelwohl, verrät der 1995 in der Bourgogne geborene Musiker Matthieu Mazué. Er lebe in einer Wohngemeinschaft am Loryplatz, zusammen mit einer Schlagzeugerin und einem Neurowissenschaftler. An der Hochschule der Künste in Bern, wo er studiert hat, traf er nicht nur gute Freunde, sondern auch zwei Musiker, den Drummer Michael Cina und den Bassisten Xaver Rüegg, die nun gemeinsam mit ihm die Formation Matthieu Mazué Trio bilden. 

Das Spiel seiner beiden Mitstreiter habe ihn sofort fasziniert. «Wir kennen uns seit zwei Jahren», so der Musiker. Die erste gemeinsame Tournee musste coronabedingt abgesagt werden. «Es ist wichtig für eine junge Band, viel aufzutreten. Wir sind jetzt umso motivierter.» Nun wurde das Trio im vergangenen Oktober mit dem mit 15 000 Franken dotierten ZKB-Jazzpreis 2021 im legendären Zürcher Jazzclub Moods ausgezeichnet. Das sei in vielerlei Hinsicht grossartig gewesen. «Allein schon die Nomination bereitete uns eine Riesenfreude», so Mazué. Endlich konnte nach der coronabedingten Durststrecke wieder gespielt werden. «Und dann auch noch im Moods, in Zürich, einer Stadt, die ich liebe.» 

Foto: Paul Le Brun

Interplay und Improvisation
Das Trio trage auf energievolle Weise komplexe Kompositionen vor, die sowohl Raum für spannendes Interplay als auch mitreissende Improvisation bieten, befand die Jury. Die Mehrheit der Stücke, die das Trio während des Wettbewerbs präsentierte, stammt aus dem Album Cortex. Der Name spielt auf jenen Teil im Hirn an, der zuständig ist für die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen. Mazué schreibt die Partituren, die von den drei Musikern bei jedem Auftritt neu interpretiert werden. Künstliche Intelligenz und der Platz, den Maschinen in unserer Gesellschaft einnehmen, faszinieren den Komponisten, der auch Ingenieurwesen studiert hat. «Unser Sound hat etwas Industrielles und Rohes», so Mazué. Auf dem CD-Cover sieht man denn auch den Ausschnitt einer Maschine, die der Bassist Xaver Rüegg in Istanbul fotografiert hat. Es ist ein Gerät, das man zum Herstellen von Schellentamburinen benutzt. Erkennen kann man das kaum, was zum abstrakten Sound des Trios passt. «Wenn ich komponiere, denke ich an unsere heutige Welt», so Mazué. Oft habe er anfangs einen Titel im Kopf. Im Moment fasziniere ihn der Begriff «Cosmic Forces», den der Komponist und Saxofonist Anthony Braxton geprägt habe. Es gehe darum, etwas nicht Vorhersehbares zu schaffen, ein Stück, das noch nicht existiere. Mazué zückt ein Notizheft und zeigt, wie er das Interview mit Braxton, das am Fernsehen übertragen wurde, mitgeschrieben hat. «Man darf keine Angst vor dem Unbekannten haben», zitiert er den Musiker.

Schwarze Wolken
Im Anschluss ans Gespräch setzt sich Mazué ans Piano in seinem Proberaum im Sulgenrain und spielt spontan ein Stück. Es heisst Black Cloud, und tatsächlich kann man die Wolken vor seinem inneren Auge aufziehen sehen, als die langsam sich dramatisch aufbauenden Klänge den Raum erfüllen. Der Titel des Stücks ist ihm zugefallen. Auf der Strasse fand er einen gleichnamigen, apokalyptischen Comic über ein Volk, das in der Zukunft lebt. Der Comic sei nichts Besonderes gewesen, doch der Titel habe ihn zum Komponieren angeregt. Auch Stücke wie Cyborg oder Data Are About to Collapse klingen ein wenig nach Science-Fiction. Dabei galt Mazués erste Liebe klassischem Rock ’n’ Roll aus den Siebzigerjahren. «Ich habe als Teenager Deep Purple und Led Zeppelin verehrt.» Gemeinsam mit seinem Bruder, der auch Musiker ist, hatte Mazué eine Band. Im Alter von sieben Jahren begann er, Klavier zu spielen. «Ich improvisierte schon damals viel.» Die Eltern hätten den drei Kindern den Zugang zu Musik und Sport ermöglichen wollen, weil sie das selbst nicht gehabt hätten, so Mazué. Als Gymnasiast besuchte er das Konservatorium in Dijon, später zog er nach Strassburg um, wo er Ingenieurwesen und Musik studierte. Sein dortiger Lehrer Eric Watson half ihm, an sich und seine Musik zu glauben.Nach dem Bachelor in Ingenieurwesen entschied sich Mazué schliesslich ganz für die Musik und für Bern, um an der Hochschule der Künste zu studieren. «Ich hatte die Musik von Django Bates entdeckt. Und als ich realisierte, dass er in Bern lehrt, war der Umzug beschlossene Sache.» Django Bates, britischer Komponist, Pianist und Dozent, war dann auch tatsächlich Mazués Klavierlehrer im ersten Semester des Studiums. «Ich liebe es, mit welcher Einfachheit er die Musik von Charlie Parker reinterpretiert hat. Er verfügt über eine Kreativität ohne Grenzen», schwärmt Mazué über seinen einstigen Lehrer. Mittlerweile verfügt Mazué über einen Master in Performance Jazz und wird im Sommer 2022 einen weiteren in Composition Jazz absolvieren.

Konservativer Hörer
Mazué schätzt das hiesige kulturelle Angebot. «Gestern war ich im Progr an einem Konzert mit gerade einmal fünf Besuchern», erzählt er. Gespielt habe der Saxofonist Matthias Kohler in seinem Proberaum. Ob Jazz populär sei, beantwortet Mazué nur zögerlich. Er spreche lieber von «improvisierter Musik» und er glaube, dass diese nie aussterben werde. Die zeitgenössische Musik sei in ständigem Wandel. «Es ist die Spontanität, die diese Musik am Leben erhält.» Er sei optimistisch und glaube, das Publikum sei oft neugieriger, als man gemeinhin annehme. Er selbst bezeichnet sich als konservativen Hörer. «Streaming-dienste sind nicht mein Ding.» Mazué kauft lieber CDs oder Vinylplatten, denn Streaming sei sowohl schlecht für die Kunst wie auch für das Publikum. «Man zappt von einem Stück zum nächsten, ohne richtig zuzuhören.»Er selbst wird im Dezember eine Partitur des Soundkünstlers Christian Marclay spielen (siehe Agenda). «Es ist ein Stück für zehn Personen, das auf dem Zufall basiert», verrät Mazué. Auf den rund zweihundert Seiten der Partitur sei jeweils ein Foto mit den Händen eines Pianisten platziert. Alle Mitwirkenden müssten sich vorstellen, was dieser gerade spiele. Dabei gebe es keine vorgegebene Reihenfolge und auch keine festgelegte Zeitdauer. «Es wird ein grosser Klangdschungel», freut sich Mazué.