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N°3/2023
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Mathieu Corajod

Komponist, Regisseur, Choreograf und Musikwissenschaftler. Der ehemalige HKB-Student Mathieu Corajod engagiert sich in kollektiven, interdisziplinären Projekten und schreibt zurzeit an seiner Dissertation über den Schweizer Komponisten und Sprachwissenschaftler Hans Wüthrich.

Text

Musikwissenschaftler und Assistent Kommunikation – Gare du Nord Basel

Laquelle se passe ailleurs lautet der Titel des interdisziplinären Projekts von Mathieu Corajod (Uraufführung am 8. Juni 2023 im Gare du Nord). Es wurde von Ircam/Les Spectacles vivants-Centre Pompidou, Le Pôle Création Chorégraphique de la Fondation Royaumont und Gare du Nord Basel koproduziert und am Festival ManiFeste im grossen Saal des Centre Pompidou in Paris aufgeführt. Nun ist es am 9. September in der Dampfzentrale Bern im Rahmen des Musikfestivals Bern zu sehen.

Foto: Tim Rod

Das hybride Musiktheaterstück mit Text von Dominique Quélen versucht, mit einem Bekenntnis zur Integration von Technologie sowohl in die Handlung als auch in das künstlerische Material die verschiedenen künstlerischen Disziplinen auf der Bühne zu verschmelzen. Diese Interdisziplinarität und das kollektive Schaffen – ein Markenzeichen der Kompositionsabteilung der HKB, hier absolvierte Corajod einen Bachelor in Komposition und einen Master in Komposition und Theorie mit Schwerpunkt Musiktheater – sind die Grundprinzipien dieses ersten Projekts der Compagnie Mixt Forma. Seinen eigenen kreativen Weg zu gehen und, wie er sagt, seine «eigene Utopie entwickeln und verwirklichen zu können», waren für Corajod die Motivation zur Gründung seiner eigenen Produktionsstruktur. Zur Compagnie Mixt Forma gehören ausserdem die ehemaligen HKB-Studierenden Chloé Bieri (Sängerin, Performerin und Komponistin) und Stanislas Pili (Perkussionist, Performer und Komponist), sowie die Tänzer*innen Marie Albert und Pierre Lison und der Schauspieler Antonin Noël.In dieser «poetisch-futuristischen Expedition» verbinden sich Musik, Text, Tanz und Schauspiel organisch mit der Elektronik. Corajod arbeitet mit spezialisierten Künstler*innen zusammen, die aus ihren Fachgebieten unterschiedliche Sichtweisen einbringen und so eine gewisse Horizontalität in der kreativen Arbeit erreichen. Nicht nur in der Arbeit mit anderen Künstler*innen sieht er sich selbst als spartenübergreifenden Komponisten: «Es ist für Komponist*innen nicht selbstverständlich, dass sie auch inszenieren und ein Bewusstsein für die Bühne entwickeln. Da hat mir die Ausbildung an der HKB das richtige Rüstzeug gegeben, um bei der Konzeption eines Projekts auch an die Bühne zu denken.» So ist Corajod in seiner ersten Oper Rendez-vous près du feu (Opéra National de Lorraine, Festival Musica 2022) nicht nur Komponist, sondern auch Regisseur. Noch nie hat er für ein Bühnenwerk nur komponiert – das wäre eine grosse Herausforderung für ihn, gesteht er –, denn er war immer massgeblich an der Inszenierung beteiligt.Interdisziplinarität ist auch ein Schlüsselwort bei Achsen (2021), in diesem Fall in Form der Begegnung von Tanz und Musik. Bei diesem «Instrumentaltanz für Flöte und Sopransaxofon», der vom Duo Alto in Auftrag gegeben wurde, arbeitete Corajod während des Entstehungsprozesses allerdings nicht mit den Interpretinnen zusammen, sondern nur mit Pierre Lison. Gemeinsam mit dem Tänzer erarbeitete er eine detaillierte Partitur sowohl für die Musik als auch für die Bewegungen, die die Flötistin Anat Nazarathy und die Saxofonistin Noa Mick während der Aufführung ausführen sollten.Eine hierarchiefreie Erfahrung machte Corajod als Teil des Kollektivs CUE (Creative/Union/Experience). Im Rahmen des kollektiven Kompositionsprogramms Merge Up! des italienischen Divertimento Ensembles traf sich Corajod eineinhalb Jahre lang wöchentlich mit den Komponist*innen Giulia Lorusso und Giovanni Montiani, um gemeinsam das Werk Invitation to how it’s done (2022) zu entwickeln. In diesem Stück setzt Corajod einige der Kenntnisse um, die er während seines Studiums am IRCAM des Centre Pompidou erworben hat.Die Zeit am IRCAM sieht Corajod als natürlichen Schritt nach seinem Studium an der HKB. Dort beschäftigte er sich intensiv mit den Themen der Elektronik, die er bereits an der HKB im Nebenfach Sound Arts studiert hatte, und mit dem Tanz. Das Jahr am IRCAM ermöglichte es ihm Synergien mit anderen Komponist*innen und Künstler*innen aus anderen Disziplinen zu schaffen. Ein wesentlicher Bestandteil von Corajods Karriere ist die Forschung und das Interesse am Verständnis der Theorie hinter dem künstlerischen und kompositorischen Prozess. Seine musikwissenschaftliche Ausbildung hat ihn befähigt, Musik kritisch zu betrachten und in ihrem historischen Kontext zu verstehen. «In diesem Sinne hat das Spiel mit dem Kontext in meiner eigenen Arbeit eine grössere Rolle gespielt, zum Beispiel durch ironische Reflexionen über meine Umgebung in meinen Werken», so Corajod. Zurzeit ist er Doktorand an der Universität Genf im Rahmen des vom SNF finanzierten HKB-Forschungsprojekts Schreiben mit Stimmen.Über den Schweizer Komponisten, Sprachwissenschaftler und Pionier des Musiktheaters Hans Wüthrich gibt es noch keine gründliche wissenschaftliche Arbeit, und Corajod macht sich daran, diese Forschungslücke zu schliessen. So konzentriert er sich nicht nur auf seinen Forschungsschwerpunkt – den Gebrauch der Sprache in Wüthrichs Werken –, sondern bemüht sich auch, möglichst viele Informationen über Wüthrich zu sammeln, indem er dazu beiträgt, seinen Nachlass in der Akademie der Künste in Berlin zu sortieren und Interviews mit verschiedenen Akteur*innen aus seinem Umfeld führt.