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N°1/2021
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Mask Have

Die Maske als zukunftsweisendes (gesundheits-)modisches Massenphänomen

Text

ist Modedesignerin, hat ein eigenes Modelabel, ist an der ZHdK im Bereich Trends & Identity für Designforschung tätig und forscht seit 2020 an der HKB im SNF-Projekt Sterbesettings – Eine interdisziplinäre Perspektive.

«Ein neuartiges Coronavirus breitet sich in China aus – und springt von Mensch zu Mensch» lautete die Headline der NZZ im Januar 2020. Bebildert war der Artikel mit einer Frau mit Steppmantel und Leopardenschal. Ihre Hände schützte sie mit Handschuhen, ihre Haare mit einer Basecap, ihr Gesicht verbarg sie mit einer medizinischen Mund-Nasen-Maske. Kurz darauf schwappte die Masken-Welle nach Europa und breitete sich samt Virus pandemisch aus. Laien und Designer*innen reagierten und entwarfen Masken in vielfältigen Formaten, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der physische Nutzen medizinisch bewiesen war. Grund dafür war die medialisierte Maskenknappheit, doch die modische Aneignung schien individuell wie gesellschaftlich weitere Funktionen zu haben. 

Die ungreifbare Pandemie wurde Material und der unsichtbare Virus bekam ein modisches Gesicht. Dinge können für Menschen lebensnotwendig sein, denn sie bieten neben physischem auch psychischen und sozialen Schutz, indem sie uns in sich wandelnden Lebensumständen begleiten. Sie ermöglichen, Angst zu kompensieren, spenden Sicherheit und helfen uns, unsere Identitäten neu zu justieren. Sie können, wie die Mund-Nasen-Maske explizit zeigt, potenziell Aerosole aufhalten, versprechen, das Risiko der Eigeninfektion zu reduzieren, und kommunizieren als «community mask», dass wir uns auch um unsere Mitmenschen sorgen. Mode hat damit vielfältige Eigenschaften, sie schützt, verspricht und spricht zu uns. Namhafte Lifestyle-Brands reagierten, kooperierten mit Virologen, produzierten antivirale Twinsets aus Maske und Mütze und innovierten den Markt mit futuristischen Corona-Killer-Masks. Heute, ein Jahr später, können wir sagen, dass die Maske wie eine Sporthose zu jeder Kollektion dazugehört, nicht weil sie als medizinische Gesichtsuniform verpflichtend ist, nicht weil sie symbolisch für ein pandemisches Ereignis steht, sondern weil sie als modisches Wahr- und Warnzeichen für Gesundheit, Krankheit und Tod steht. So wird das Gesundheitsaccessoire zum «Must Have», das sich hybridisieren und in seiner Funktion vom Gesichts- zum Körperkleid weiter ausdehnen und mutieren wird. Und damit sind wir voll im Thema: Mode macht Körper, Körper machen Mode und Mode macht Gesundheitspolitik. Sie materialisiert auf hautsinnliche Weise sozioökonomischen und soziokulturellen Wandel  – kurz Trends. 

Epidemien und Pandemien sind zeitliche und örtliche Häufungen eines Erregers innerhalb menschlicher Populationen, die wir als Infektionskrankheiten fassen können. Die Art und Weise, wie sie sich verbreiten, ist virologisch, aber auch soziologisch von Bedeutung, wie Malcom Gladwell mit seiner Tipping-Point-Theorie zeigt: Die Ausbreitung eines Virus illustriert, wie kleine, unscheinbare Nischenphänomene (Mikrotrends) in der Lage sind, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Veränderung herbeizuführen. Gesundheitslatschen von Birkenstock können von Mensch zu Mensch springen und sich epidemisch verbreiten, wenn die Botschaft des Phänomens («Lebe gesund und sei öko») auf einen fruchtbaren Nährboden trifft. Megatrends wie Gesundheit und Nachhaltigkeit sind das Fundament, auf dem verschiedene Modetrends gedeihen – und das nicht erst seit Covid-19. Gesundheit, Synonym für ein gutes Leben, hat sich tief in unser Selbstverständnis und unsere Kultur gepflanzt und nährt seit geraumer Zeit sämtliche Bereiche des Lebens. Die Pandemie stört die Wertvorstellungen gesundheitsbewusster Menschen, die sich in gesundheitsfördernden Lebenswelten bewegen und die Expansion von Lebenszeit als neues Normal einfordern. Sie wirkt, so ist anzunehmen, wie ein Dünger auf dem Feld der Gesundheit, und dieses wird zukünftig wichtiger denn je. Health- und Moodtracker, Sportivity, Detoxing, Mind-Sport, Yoga, Well-Being, Spiritual Self, all das ist Ausdruck des Trends Healthy Living, der unter dem Begriff Holistic Health über die letzten Jahre seine Wirkung entfaltet. Im Zentrum steht der ganzheitliche Anspruch, «ausgebrannte» Körper und Seelen, «erschöpfte» Umwelten und «ausgelaugte» Ökonomien möglichst lange am Leben zu halten – sie zu reanimieren und zu rehabilitieren. Die Mode, die durch unfaire und gesundheitsschädigende Billigtextilproduktion in der Kritik steht, scheint besonders betroffen. So ist zu beobachten, dass ihr durch Gesundheits- und Nachhaltigkeitsappelle langsam der Atem ausbleibt. Unternehmen wie H&M oder Zara reagieren, versuchen sich mit Detox Fashion zu regenerieren, indem sie den chemikalienverseuchten Kleidern den Kampf erklären. Organic, Sustainable und Karma Fashion verfolgen vergleichbare Ziele, setzen auf gesündere Rohstoffe, bessere Arbeit und Achtsamkeit. 

Ein Ausweg scheint aber auch die Gesundheit selbst zu bieten, wie Fitness Fashion und Athleisure zeigen. Diese Mode befruchtet das Gefühl, lebenslang fit sein zu müssen, und formt unseren Gesundheitskörper mit. Mode implementiert physiotherapeutische Konzepte, integriert Produkte wie Kinesio-Tapes und versucht mit sportmedizinischer und körperformender Shapewear weiter attraktiv zu bleiben. Healing Fashion ist die neuste aller Modemutationen, die durch Selbst-heilungsbotschaften weitere Begehrlichkeiten schafft. Diese Mode fusioniert nicht mit der Schul-, sondern mit der Komplementärmedizin, wie sich an Kollektionen von Victoria Beckhams «Kristall-Alchemie» und «Color Magic» von Viktor & Rolf identifizieren lässt. Sie ebnen den Weg zur Spiritual Fashion und zeigen auf, wie energetische Kleidung zur zweiten Haut wird. Textile Oberflächen integrieren heilende Kristalle und Metalle, durchlaufen Rosenquarz-Filterprozesse und werden mit ayurvedischen Färbemitteln auf den Markt gebracht. Designer*innen wie Marie Lea Lund richten ihre Materialien nach den Chakren, Energielinien und Druckpunkten ihrer Träger*innen aus, und Modemagazine empfehlen, uns unserem Horoskop entsprechend zu kleiden. Somit wird das Tragen von Mode nun zur ganzheitlichen Medizin, hilft präventiv und kurativ, Körper und Geist zu optimieren und emotionale Schmerzen zu lindern. Mode bietet seit jeher Resilienz in Krisensituationen, da sie uns hilft, die veränderte Lebenswelt zu begreifen. 

Den Unterschied macht das Narrativ, das nicht mehr Glamour, Ökologie oder Retro ins Zentrum setzt, sondern Schul-, Komplementärmedizin und Virologie. Die Mund-Nasen-Maske ist daher nicht nur ikonischer Platzhalter für den Kampf gegen feindliche Viren, sondern gleichsam gegen jegliche Krankheiten und den damit verbundenen Tod. Sie läutet eine neue Ära der Self-Care-Mode ein, die sich zum Ziel setzt, angegriffene und verletzte Identitäten wieder zu reanimieren. Sie wird zur medikalisierten Schutzmontur und zur therapeutischen Schmusedecke einer durch Todesangst erschütterten Gesundheitsgesellschaft, die ihre Sterblichkeit aus dem Gesichtsfeld rückt. Die Maske kann damit als ein lebensverlängerndes Accessoire und als starkes Signal für einen gedeihenden Markt von Life-prolonging Fashion gedeutet werden.