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N°3/2021
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«Man muss sich eine Nische schaffen.»

Vom Geigenunterricht bis zur musikalischen Beschäftigung mit Insekten – Komponist und Klangkünstler Robin Meier widmet sich intensiv der lebendigen Welt einfacher Tiere, ihrer Organisation, ihren Klängen und Schwingungen. Robin Meier, der ab Herbst 2021 zum Dozierendenteam Sound Arts des Fachbereichs Musik der HKB stösst, gibt Auskunft über seine künstlerische niche construction. 

interview

Du arbeitest mit natürlicher und künstlicher Intelligenz, mit maschinellen Umgebungen und Tieren. Das sind Themen, die uns ständig umgeben, trotzdem ist das doch ein sehr spezieller Ansatz. Wo liegt hier dein Interesse als Komponist?
Mein Ausgangspunkt war die Musik, ich habe mit Geige angefangen und mich später auf elektroakustische Komposition spezialisiert, weil mich die Technologie faszinierte. Es war schon früh so, dass mich diese beiden Welten interessierten. Richtig reingerutscht bin ich dann aber während des Studiums, als ich programmiert und mit Synthesizern gearbeitet habe. Man kommt dann schnell in sehr rigide Abläufe und Verfahren rein, wenn man Code schreiben muss, im Vergleich etwa zur musikalischen Improvisation. Diese Spannung zwischen einem technologisch vermittelten, sehr formalisierten und einem intuitiven Ansatz, den ich letztlich auch der Welt gegenüber habe, war von Anfang an ein wichtiger Treiber für mich.  

Wie kann man das überbrücken?
Einen konkreten ersten Ansatz dazu erhielt ich durch Frédéric Voisin, einen Forscher am Centre International de Recherche Musicale in Nizza in den späten 1990er-Jahren, der sich für künstliche neuronale Netzwerke interessierte. Das war damals ein etwas obskures Überbleibsel aus der Kybernetik der 1960er-Jahre und noch kein grosses Thema. Es offenbarte aber einen ganz anderen Zugang zur Technologie, es war kein Code-Schreiben Zeile für Zeile, sondern viel diffuser, mit überraschenden, lernenden Systemen. Aus diesem alternativen Zugang zur Informatik kam dann das Interesse für Tiere, denn ein Leitgedanke sind hier biologische Modelle, etwa Ameisenkolonien, neuronale Synapsen und Ähnliches mehr. 

Bist du mit dieser Beschäftigung nun selbst in einer obskuren Nische gelandet oder hat das auch Mainstream-Aspekte? Einerseits sind da etwa Insekten, andererseits aber alltägliche Technologie.  
Das war sicher lange eine Nische und keine Mode, die Thematik von lernenden Systemen etwa kam erst so um 2010 auf. Aber die Arbeit, die ich mache, mit hybriden Setups, wie mit Lebewesen, die dann auf Technologie und Menschen treffen, wird immer aktueller. Das Interesse für Biologie und Technologie steigt und hat auch gewisse philosophische und ästhetische Wurzeln, wenn wir etwa an den Film Existenz (1999) von David Cronenberg denken, an Fragen der Biopolitik – Stichwort Michel Foucault – oder aktuell den Umgang mit Covid und Impfungen.  

Was waren die Überraschungen, als du in dieses Feld vorgestossen bist? 
Lebewesen haben ihren eigenen Willen. Das ist eine ständige Verhandlung, und das ist spannend. Man denkt, man könne planen, strukturieren, quantifizieren, aber am Ende kommt ein kleines Virus, ein Erdrutsch oder ein grosser Regen und vieles fliegt über den Haufen. Dieses Verhandeln mit der Umwelt ist ein Thema, das mich beschäftigt. 

Wie ist das Verhältnis von Dressur und Verhandlung, wie viel Offenheit ist gegenüber den Lebewesen vorhanden?
Es geht nicht darum, einen Flohzirkus zu dressieren, ganz im Gegenteil. Es geht mehr um Kommunikation, weniger um Kontrolle. Um Kollaboration. Es geht um Verständnis von Sprachen, etwa derjenigen der Pheromonspuren bei Ameisen oder des Flügelschlags bei Moskitos. Sich da hineinzudenken und die Perspektive eines Insekts in Betracht zu ziehen, ist bereits eine wichtige Übung, um sich selbst in der Welt orientieren zu können.  

Wie funktioniert denn so eine Arbeit ganz konkret?  
Bei Synchronicity (2018) etwa frage ich mich, wie aus Chaos Ordnung entstehen kann. Ein typisches System der Selbstorganisation ist Synchronisation. Das sieht man in vielen Bereichen der Natur, von der Bewegung von Asteroiden über das Schritttempo von zwei diskutierenden Personen bis zum Verhalten von Ameisen. Dahinter sind ähnliche mathematische Regeln. Ich will hier verschiedenste Sachen miteinander kommunizieren lassen durch das Prinzip der Synchronisierung. Da sind etwa am Anfang dieser Rauminstallation zwei elektromagnetische Pendel, die man beliebig anschlagen kann und die sich später im selben Rhythmus finden. Dann gibt es Glühwürmchen, die synchron blinken, was als Phänomen dokumentiert, aber wissenschaftlich lange umstritten war. In der Installation gibt es Glühwürmchen, es gibt LEDs, die im Rhythmus des Pendels blinken, es gibt malaysische Heuschrecken, die untereinander zirpen, es gibt weitere Maschinen und Bildschirme, und alles kommuniziert und synchronisiert miteinander, ohne dass man es genau kontrollieren kann. Es ist lebendig, es gibt Wellen und Patterns, man spürt eine Organisation, aber es schwankt ständig wie das Scharf- und Unscharfstellen bei einer Kamera. Und da liegen die Überraschungen. Man gibt einen Input und beobachtet und nimmt teil an diesem Synchronisierungsprozess. 

Das erinnert durchaus an den Komponisten John Cage, der sich als wertender Autor in den Hintergrund stellte, indem er gewisse zufällige Gegebenheiten oder Systeme integrierte. Man muss etwa Partituren nach gewissen Regeln zuerst herstellen, bevor man die Musik interpretieren kann. Siehst du dich in dieser Tradition?
Ja, in der Nachkriegsavantgarde fühle ich mich schon bei Cage am nächsten, er ist eine Inspiration und hat eine Denkweise, die mich sehr anspricht, besonders seine Loslösung von Kontrolle und Egozentrismus im Schaffensprozess. 

Wie sehen nun deine Pläne aus?
Ich versuche weiter, mit verschiedenen Tieren, Pflanzen und Landschaften zu kommunizieren. Mit einem Forscher bin ich gerade in Diskussion zum Thema «Tiere und / in Virtual Reality». Das ist wahrnehmungspsychologisch sehr interessant: Wie nehmen Tiere wahr, wie kann man sie in eine Umgebung integrieren und was können wir daraus lernen? Aber dann beschäftigen mich natürlich immer noch die Musik und die Menschen. Alle diese Recherchen und Experimente sind für mich musikalische und kompositorische Projekte. 

Dann muss man die von dir beschriebene Arbeit vielleicht auch gar nicht als Nische betrachten? Sie hat eine sehr konkrete Anbindung an unsere reale Welt.
Klar. Man muss sich zwar eine Nische schaffen, um seinen Platz in der Welt zu finden und um diesen verhandeln zu können. Eine Nische ist für mich das Resultat dieser Verhandlung, dieses Duetts mit der Welt. Es ist der Platz im Ökosystem. Und das ist auch professionell-künstlerisch nicht anders. Ich habe halt mit Geige angefangen und bin jetzt bei Heuschrecken und Glühwürmchen.