Lucie Kolb
Lucie Kolb (35) ist Künstlerin, Theoretikerin und Autorin. An der HKB hat sie das Projekt wir publizieren geleitet und gemeinsam mit Studierenden Publikationen aus subkulturellen Zusammenhängen studiert. Aktuell schreibt sie an ihrem Theorieroman zur «letzten kritischen Kunstinstitution».
Womit hast du dich in deiner Doktorarbeit befasst?
Ich habe mich mit drei Magazinen befasst: Mit dem Magazin The Fox, das Art & Language in den Siebzigerjahren herausgaben, mit dem Magazin A.N.Y.P. aus Deutschland, das in den 1990er-Jahren als Kunstmagazin nicht mehr nur über Kunst schreiben wollte und unter anderem Kritik an der Gentechnologie äusserte, und mit dem seit 2008 in digitaler Form erscheinenden e-flux Journal aus New York. Ich lese die Magazine als eine Vorgeschichte künstlerischer Forschung.
Du schreibst aktuell an einem Theorieroman mit dem Titel Die letzte kritische Kunstinstitution. Wie kam es zu diesem Projekt?
Seit dem Abschluss meiner Doktorarbeit 2017 arbeite ich an der HGK an einem kollaborativen künstlerischen Forschungsprojekt zum Erbe der Institutionskritik. Darin geht es um Künstler*innen, die die Rolle und Aufgabe von Kunstinstitutionen befragen und Wege suchen, sie zu verändern. In diesem Rahmen entsteht das Buch, mit dem ich nach einer Form des Schreibens suche, die über das Kommentieren und Analysieren hinausgeht und eine spekulative Funktion hat.
Welche Institution ist gemeint mit der letzten kritischen Kunstinstitution?
Das verrate ich nicht. Mein Buch ist noch am Entstehen. Aber wie gesagt, es handelt sich um eine Fiktion.
Beim Stichwort «Institutionskritik» denke ich spontan an die Berner Kunsthalle. Es wurde dort doch in regelmässigen Abständen die Rolle des Ausstellungsortes innerhalb der eigenen Ausstellungen hinterfragt …
Es gibt dort tatsächlich viele interessante Ansätze. Ich konnte im Rahmen der Reihe Archivgespräche eine Ausstellung der Zürcher Schule F+F ausgraben. Die Schule entwarf in den Siebzigerjahren neue Modelle der Kunstausbildung, die ein Verhältnis von Schule und Ausstellungsbetrieb erprobten, das nicht auf dem Modell des Wettbewerbs beruhte.
Ab den Sechzigerjahren kamen viele sogenannte Selbstpublikationen heraus. Du hast eine grosse Auswahl davon in einer Ausstellung in der Kunsthalle präsentiert. Was macht den Reiz dieser Schriften aus?
Nicht ich allein, die Ausstellung entstand im Kontext des Projekts wir publizieren, einer Kooperation zwischen der HKB und der HfK Bremen. In den Sechzigerjahren gab es eine regelrechte Explosion an Alternativ- und Subkulturen, die eigene Publikationen hervorbrachten. Ich finde es wichtig, mit Studierenden, die mit Social Media aufgewachsen sind, diese Publikationen anzuschauen, deren Texte mit Schreibmaschine oder von Hand geschrieben sind, die dann ausgeschnitten und zusammengeklebt wurden, bevor das Ganze gedruckt oder kopiert wurde. Es ist faszinierend, wie vielfältig die Layouts gestaltet wurden und wie viele «Nachbarschaften» durch diese Kleb- und Bastelästhetik entstanden. Da findet man nebst Kunstkritik etwa eine Yoga-Anleitung neben einem Bericht über eine Heavy-Metal-Sammlung.
Du hast an der HKB, am Y Institut, ein Seminar zum Selbstpublizieren angeboten. Wie ist das bei den Studierenden angekommen?
Es war interessant, wie engagiert die Studierenden über die Grenzen ihrer Disziplinen hinaus waren. Sie machten schliesslich selbst ein Magazin …
… das auch in Papierform erschien. Haben Printmedien doch noch nicht ganz ausgedient?
Ich glaube, dass Papier nie ganz unwichtig werden wird. Die Tatsache, dass ein Magazin in Papierform ein Objekt ist, das man sich zuschicken lassen muss oder das man irgendwo abholen muss, schafft andere Gemeinschaften als ein Online-Magazin. Es gibt sehr viele Messen für Künstler*innenpublikationen. Das beweist doch: Das Gedruckte hat immer noch Bedeutung.
Du setzt dich mit paratextuellen Phänomenen auseinander. Was genau ist darunter zu verstehen?
Paratext ist ein Begriff aus der Literaturwissenschaft. Darunter versteht man alles, was nicht Teil des eigentlichen Textes ist. Das kann der Umschlag des Buches sein oder das Vorwort. Es handelt sich um Texte, die sich an der Schwelle zum Werk befinden, die unseren Blick lenken.
Gibt es eigentlich Tage, an denen du nicht schreibst?
Nein, die gibt es nicht (lacht). Allerdings schreibe ich im Moment wenig am Buch, sondern vor allem an einem Forschungsantrag zur Produktion und Zirkulation von Gegenwissen in Alternativmedien im deutschsprachigen Raum. Das Projekt soll 2022 an der HKB starten.
Was bedeutet es für dich, eine Autorin zu sein, die ihren Namen unter einen Text setzt und sich somit ein Stück weit exponiert?
Man übernimmt Verantwortung und wird ansprechbar. Das Schöne daran ist, dass ein Dialog entsteht und ein Austausch stattfinden kann. Bei Brand New Life arbeiten wir allerdings auch mit Pseudonymen. Die meisten Schreibenden betreiben Kunstkritik nicht als Hauptberuf und haben verschiedene Hüte an. Da kann es von Vorteil sein, anonym zu bleiben.