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N°2/2025
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Loeblager, Künstler*innen, Bern, Burgergemeinde

Mit dem Alten Loeblager verschwindet Kulturraum, weil neuer Wohnraum entsteht. Wie sind die Wohn- und Arbeitsperspektiven der 70 betroffenen Kulturschaffenden? In seiner Masterarbeit untersucht Architekturstudent Alexej Birbaum, der im Alten Loeblager selbst ein Atelier mietet, die Bedeutung des Gebäudes als Raum für Kunst, Kultur und Pionierhandwerk. 

Text

studiert Master Architektur, Holz und Bau an der Berner Fachhochschule. 

 

Mit dem Entwicklungsschwerpunkt (ESP) Ausserholligen wird in Bern das neue Quartier Weyermannshaus West geplant. Auf dem heutigen Industriegebiet der Untermatt soll ein homogenes Quartier mit 800 bis 1000 neuen Wohnungen entstehen. Viele der bestehenden Baustrukturen und Nutzungen werden verschwinden. Das Instrument für die Transformation ist die Überbauungsordnung Weyermannshaus West. Um den Zeitraum von einem Industriegebiet zu einem modernen Wohnquartier zu überbrücken, wurden bestehende Baustrukturen zwischengenutzt. Im Alten Loeblager mieteten sich verschiedenste Kunst- und Kulturschaffende, Pionierhandwerkende sowie Gewerbebetriebe ein. Atelierräume, Gewerberäume und Büros wurden von Nutzenden – wie auch mir selbst – eigenständig eingebaut und angepasst. Diese Zwischennutzung wurde möglich, da es von der Eigentümerin, der Burgergemeinde, erwünscht war. Dass aus der Zwischennutzung aber keine Dauernutzung wird, ist durch die neue Überbauungsordnung klar geworden. Das Alte Loeblager wird im Zuge einer Bauetappe einem Wohnhochaus weichen müssen. Solange jedoch die Überbauungsordnung durch die Volksabstimmung noch nicht angenommen und das neue Projekt nicht fertig geplant ist, ist der Zeitpunkt des Abrisses offen. Bis dahin bietet das Alte Loeblager für mich und die rund 70 weiteren Nutzenden Raum, um verschiedensten Tätigkeiten nachzugehen. Die zentrale städtebauliche Lage und die günstigen Mieten sind Voraussetzung dafür, damit wir Neues erschaffen und experimentieren können. Für mich ist das Alte Loeblager aber mehr als das. Die alte Bausubstanz aus einer massiven Betonskelettstruktur mit markanten Stützen, einer einladenden Fensterfront im Erdgeschoss, flexiblen offenen Grundrissen und der angrenzenden grossen Speditionshalle mit Oberlichtern erlaubt eine dichte Nutzung, die zu vielen Begegnungen führt: Es entstehen so immer wieder kulturelle und soziale Aktivitäten, Initiativen und Veranstaltungen. Ein Ausstellungsraum oder Möglichkeitsräume, die überall in der Baustruktur verteilt sind, helfen uns, Ideen und Projekte umzusetzen. Fast jeden Monat findet der Freipass mit gemeinsamem Abendessen statt. An den Tagen der offenen Tür sind die Ateliers und das Lagerhaus für die Öffentlichkeit zugänglich. 

Eine Identität mit dem Ort
Das Alte Loeblager ist ein Ort der Vielfalt. Für Marcel Schneider von Varia Instruments ist es nicht nur seit rund 14 Jahren sein Arbeitsplatz. Seine Projekte und Kontakte verbinden Marcel mit dem Alten Loeblager und dessen Baustruktur. Heute fertigt er zusammen mit Simon Schär und Benjamin Seiler hochpräzise Mischpulte für die globale Musikbranche an. Dank der Zusammenarbeit mit Gewerbebetrieben im Quartier kann Varia Instruments Maschinen, die für die Herstellung ihrer Mischpulte benötigt werden, mitnutzen.Auch für mich als Architekt, der sich sowohl klassischen architektonischen Fragestellungen als auch Experimenten widmet, ist der Ort für die Umsetzung zentral. Mein Atelier teile ich mit Aviv Szabs, einer ausgebildeten Textildesignerin. In ihrer Kunst verwebt sie persönliche Erfahrungen mit politischen Themen auf interdisziplinäre und partizipatorische Weise, indem sie gefundene Textilobjekte mit dem Medium der Fotografie und der Performance verbindet. Ihre Arbeiten sind auf Ausstellungen und Festivals. Durch das Teilen des Ateliers wird der Austausch untereinander gefördert und der Atelierraum optimal ausgenutzt. Mein Wissen konnte in ihre Ausstellungsplanung einfliessen und ihr Wissen half mir, meine Projekte zu hinterfragen. Während meines Masterstudiums in Architektur kann ich den Mietpreis des Ateliers bezahlbar halten.  

Vielfältige Nutzung weiterführen
Weil der Ort mir so wichtig geworden ist, begann ich mich für dessen Zukunft zu interessieren. Ich meldete das Lagerhaus beim Architekturrundgang Open-House Bern an und entschloss mich, meine Masterthesis dem Alten Loeblager zu widmen. Mein Ziel ist es, herauszufinden, ob und wie eine solche Baustruktur mit deren Nutzung auch in die Zukunft integriert werden kann oder soll. Welche Berechtigung hat ein solcher Ort in einer Stadt wie Bern? Wer das hat Recht, über den Raum und den Boden zu bestimmen? Ob und wie dürfen oder können wir überhaupt als Gemeinschaft und Quartier mehr über den Ort mitbestimmen? Vor Ort leben wir Nutzenden durch den Tag, am Abend und teilweise bis in die Nacht. Wohnraum ist auf dem Industriegebiet nur wenig entstanden. Viele Mieter*innen des Alten Loeblagers sind in der ganzen Stadt und Region verteilt. Ich selbst wohne in einer kleinen Wohngemeinschaft näher beim Zentrum von Bern. Der Raum im Alten Loeblager ist eine Art Erweiterung des eigenen Wohn- und Lebensraumes. In meiner Wohnsituation kann ich dadurch auf kleinem Raum leben. Das Atelier bietet die Möglichkeit, verschiedensten Tätigkeiten nachzugehen, für die meine Wohnung nicht geeignet ist. Im Alten Loeblager kann ich behauen, giessen, zusammensetzen, anmalen und vieles mehr. Es darf dreckig werden und etwas liegen gelassen werden. Der Ort ist nicht so privat wie die eigene Wohnung, spontane Besuche im Atelier sind möglich. Trotzdem hat der Ort etwas Intimes für mich. 

Kann aus einer Zwischennutzung mehr werden?
Wir vom Alten Loeblager fragen uns, ob der Ort nicht als ein Raum für Kunst, Kultur, Pionierhandwerk und Kleingewerbe erhalten bleiben kann. Warum wird er nicht vermehrt und offiziell zu einem Treffpunkt für das Quartier und auch die Stadt? Ist Gemeinschaft in einer solchen Baustruktur möglich? Wir haben noch mehr Energie in neue Projekte wie die Transformbar, ein Quartierznacht oder auch die Einsprache gegen die Überbauungsordnung eingesetzt. Unser Ziel ist es, so die Vernetzung und Gemeinschaft zu stärken. Auch die Menschen aus dem Quartier würden eine Anknüpfung an das bestehende Quartier bevorzugen. Wir sind der Meinung, dass das Alte Loeblager ein Ort sein könnte, in einem bestehenden Quartier neue Kontakte zu knüpfen. Die Eigentümerschaft (Burgergemeinde von Bern), die Stadt und wir als Gesellschaft sind gefragt, den Weg zu wählen, wie und ob es mit dem Alten Loeblager als Ort der kreativen Vielfalt weitergehen darf. Wir Nutzenden vor Ort haben Wünsche und Bedürfnisse formuliert und gehen gerne unseren Tätigkeiten auch in Zukunft weiter nach.