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N°3/2023
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Kunst, Raum und Öffentlichkeit(en)

Die Robert Walser-Sculpture vonThomas Hirschhorn hat 2019 grosse Aufmerksamkeit auf Biel und zeitgenössisches Kunstschaffen vor Ort gelenkt. Was bleibt? Eine Recherche zum Nicht-Exklusiven.

Der Platz vor dem Bahnhof, die Place de la Gare, war im Sommer 2019 ein Ort, wie es ihn in Biel vorher weder als dreidimensionale Form noch als soziales Gefüge gab. Von Juni bis September 2019 erfüllte die Robert Walser-Sculpture die Funktion einer selbst organisierten, temporären Stadt, gemeinschaftlich gebaut aus Karton, braunem Plastikband und Europaletten. Unter dem Motto «Be a Hero! Be an Outsider! Be Robert Walser» konnte sich eine Auswahl aus dem breiten Spektrum an Menschen, die diese zweisprachige Stadt ausmachen, einbringen: Bieler Schulen, die Gassenarbeit Bienne, Obdachlose. Sie konnten an zentraler Lage sichtbar werden, täglich zwischen 10 und 22 Uhr Programm machen, aufeinandertreffen. Hirschhorn selbst lud, ausgehend von einer engen Zusammenarbeit mit dem Robert Walser-Zentrum, internationale Fachkolleg*innen aus Kunst und Kultur ein.
Hirschhorns Robert Walser-Sculpture setzte in der 13. Ausgabe die Tradition der Schweizerischen Plastikausstellung fort, die seit 1954 in einem Abstand von vier Jahren in Biel stattfindet. Biel ist Sitz der Stiftung, die die Organisation verantwortet.1 Sie gab im April 2016 grünes Licht für das «Präsenz- und Produktionsprojekt» einer «kritischen Skulptur», das die Berner Kuratorin Kathleen Bühler zusammen mit Hirschhorn eingegeben hatte. Bei der ersten Pressekonferenz im Juni 2016 präsentierte der Künstler seine Ideen, ohne konkrete Orte zu nennen, und definierte vier Ziele: «Robert Walser ehren, ihn neu denken, Ereignisse mit der Bieler Bevölkerung schaffen sowie eine neue Form von Skulptur im öffentlichen Raum propagieren.»2 Im Juli 2016 fand ein erstes von insgesamt zwölf Fieldworks in Biel statt, einem für Hirschhorns Arbeitsweise typischen Format, bei dem kulturanthropologische Methoden angewendet werden, um Kulturen und soziale Gruppen systematisch zu untersuchen.3 Zu Beginn ging es darum, Kontakte zu lokalen Akteur*innen, Institutionen, Mitarbeiter*innen aus der städtischen Verwaltung aufzubauen, um seine Idee vorzustellen und zu besprechen, ob und unter welchen Bedingungen sie sich einbringen können und wollen.4

Dokumentation als Umgebungswissen
Hirschhorn baute eine projekteigene Website auf, mit der der vielstimmige politische Prozess begleitet wurde. Sie wird seit Ausstellungsende nicht mehr aktualisiert, als Online-Archiv besteht sie weiter.5 Unter dem Titel Thomas Hirschhorn mit Bielerinnen, Bielern und anderen. Avec des Biennoises, des Biennois et d’Autres. With People from Biel/Bienne an Others erschien 2020 die offizielle, von Kathleen Bühler und der Stiftung SPA herausgegebene Dokumentation. Materialien aus dem Prozess wie Pressemitteilungen, Mindmaps, Budgetkalkulationen, Zeitpläne und tagebuchartige Aufzeichnungen von Hirschhorn und Bühler, der Auf- und Abbaubericht des Produktionsleiters, Interviews mit Beteiligten als Beitrag des Robert Walser-Zentrums werden chronologisch ausgebreitet, ergänzt um zwei fachwissenschaftliche Beiträge.6 Den grössten Teil nehmen Schwarz-Weiss-Fotografien von Enrique Muñoz García ein, der nicht nur das Projekt vom Aufbau bis zum Abbau begleitet, sondern auch die Mitwirkenden im Work-in-Progress-Video Die Welt in Biel (2014) zum Thema einer eigenen künstlerischen Arbeit gemacht hat. Die Videoporträts konnten vor Ort auf einem Monitor angeschaut werden, Prints waren an Innen- und Aussenwänden plakatiert.7Auf das Inhaltsverzeichnis folgt eine Liste mit den Namen aller Mitwirkenden. Ein verlässliches Verzeichnis aller Quellen, die zum Archiv dieser Ausgabe der Schweizerischen Plastikausstellung gehören, ist es nicht. Was beispielsweise nicht vorkommt, sind vollständige Berichte aus lokalen und internationalen Medien, Reste und Spuren von Alltagspraktiken, die wesentlich dafür wären, anderes Wissen aufzubauen als dasjenige, welches darauf zielt, ein möglichst eindeutiges Bild einer Künstlerpersönlichkeit zu zeichnen. Für dieses Wissen hat die deutsche Kunsthistorikerin Beate Söntgen den Begriff Umgebungswissen vorgeschlagen: «Eingebettet in Zeugnisse, die ein Bündel von Praktiken und Gebrauchsanweisungen dokumentieren, erscheint ein künstlerisches Werk selbst als ein komplexes Zusammenspiel von menschlichen – und nicht menschlichen Agenten –, ein Zusammenspiel von Materialien, Werkzeugen, Vor-Bildern, diskursiven Zusammenhängen, Wissen und Institutionen nicht allein der Person, die das Werk dann in ihrem Namen her- und ausstellt.»8 Insbesondere im Fall des Hirschhorn-Projekts wäre es massgeblich, dass dieses Umgebungswissen gesammelt und erschlossen wird: Es sind Quellen dessen, was Biel sozial-, kultur- und wirtschaftsgeschichtlich ausmacht; Informationen über das Verhältnis zwischen Kunst und Öffentlichkeiten und Materialien, an denen die Arbeitsweise und das Schaffen Hirschhorns exemplarisch fassbar wird: der Humus, der sein Projekt in ein Verhältnis zu investigativen, kritischen Arbeiten von Christoph Schlingensief, Milo Rau und Hito Steyerl bringt.

Sammeln in konzentrischen Kreisen: Selbstanspruch
Als selbst postulierter «Fan von Robert Walser» hat Hirschhorn im Kontext der Arbeit an der Robert Walser-Sculpture den Begriff des «nicht exklusiven Publikums» geschaffen und in einem Interview in der HKB-Zeitung 2/2018 erläutert: «Ich habe ihn geprägt, um zu klären, für wen ich arbeiten will und in welche Richtung ich meine Kunst setzen will. Das nicht-exklusive Publikum ist nie ein Zielpublikum, es ist eine Dynamik, es ist ein Versprechen, es ist eine Bewegung, es ist ein Schwung, denn der/die andere bin ich, er/sie kann mein/e Nach-bar/in sein, es kann ein/e Fremde/r sein, jemand, der mir Angst macht, den ich nicht kenne und auch nicht verstehe. (…) Ich mache keinen Unterschied zwischen Arbeiten im öffentlichen Raum, in der kommerziellen Galerie, auf der Kunstmesse, im Museum, in der Kunsthalle, im alternativen Kunstraum.»9
In seinem Dankesschreiben reflektiert er die Erfahrungen aus seinem Verständnis von Kunst als Widerstand während der 86 Tage Laufzeit: «Wir hatten dort auch – es war wie ein Zeichen der Gnade – unseren Tomczack, den Riesen aus Walsers Spaziergang: Er heisst Malick. Tomczack war jeden Tag an der Robert Walser-Sculpture zugegen und forderte unseren Widerstand heraus. Ich mochte seine fordernde, einmalige Anwesenheit, die einen aus der Fassung brachte und ach so passend war. (…) Die Robert Walser-Sculpture hätte ohne das Wohlwollen, die Intelligenz und die Grosszügigkeit, ohne die Kreativität und den Stolz so vieler Bieler*innen niemals Gestalt annehmen können.»10

Aktuelle Einschätzungen aus Biel
In der Planung von Fieldwork 2 (20. – 26.11.2016) werden «Haus am Gern, Barbara, Ruedi» erstmals erwähnt. Bei einem Essen, das sie im Offspace espace libre 2017 organisiert hatten, lernten sich Hirschhorn und der Produktionsleiter der Robert Walser-Sculpture kennen.11 Die Vornamen der beiden Künstler*innen, Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner, die seit 1998 unter dem Label Haus am Gern12 zusammenarbeiten, finden sich auf fast allen Plänen für Treffen bei weiteren Fieldworks wieder: «Die Robert Walser-Sculpture ist immer noch präsent, sei es am Standort, sei es als Teil eines Lebensabschnitts derjenigen, die sie erlebt haben. Da, wo sich 2019 während dreier Monate die Skulptur ereignete und vollzogen wurde, besteht heute für diejenigen, die Teil davon waren, eine spürbare Lücke. Der Ort, den sie intensiv mitgelebt haben, ist verschwunden, aber immer noch aktiv in den Köpfen – das ist das Hier und Jetzt des Platzes.» Auf die Frage nach der Relevanz angesprochen, formulieren Meyer Cesta und Steiner folgende Einschätzung: «Die Robert Walser-Sculpture wird für Aktionen im öffentlichen Raum in Biel/Bienne immer eine Referenz sein. Sie ist so vielschichtig, dass sie durch eine banale Aufzählung von Adjektiven auf eine Banalität reduziert würde.»Haus am Gern hat immer wieder an Wettbewerben für «Kunst im öffentlichen Raum» teilgenommen und seinen Beitrag realisieren können, wie beispielsweise Mosaike an den Eingangswänden der Wohnsiedlung Hornbach in Zürich. Als Motive wählten sie Speisereste als zeitgenössische Interpretation der Tradition, die opulente Geste römischer Gastmähler in Mosaiken zu verewigen, bei denen die Reste vom Fest möglichst täuschend echt dargestellt wurden.13 «Wir stellen mit unseren Arbeiten im öffentlichen Raum Fragen in Form von ‹Fallen›, die freiwillig oder unfreiwillig Partizipierende zu sich selber herausfordern. Klingt etwas esoterisch, ist aber ganz irdisch einfach. Wir aktivieren den öffentlichen Raum aus Interesse an den Menschen. In und für Biel kommt das in der Arbeit TEXAS auf der Esplanade und der dazugehörigen Website zum Ausdruck.»14Auf die Frage danach, in welchem Bezug er zur Robert Walser-Sculpture steht, antwortet Chri Frautschi, Betreiber des Project Space Lokal-int, welcher sich seit 2010 in der Nähe des Bahnhofs befindet: «Ich wurde von Thomas Hirschhorn engagiert, um die täglichen Robert Walser-Sculpture-Vernissagen zu organisieren. Durch diese lange Präsenz vor Ort erhielt ich einen Einblick in den Alltag und die Prozesse des sozialen Experiments. Die Sculpture funktionierte als Medium, das unterschiedlichste soziale Realitäten zusammenbrachte. Ausserdem bot der Ort ein umfangreiches niederschwelliges Bildungsangebot. Zahlreiche Philosoph*innen, Schriftsteller*innen, Historiker*innen teilten ihr Wissen und ihre Expertise über Robert Walser. In Erinnerung bleibt mir dieses fast schon utopisch anmutende Bild: Auf der Holztreppe sitzen Rentner*innen, Drogenabhängige, Schüler*innen, Künstler*innen, Alkoholkranke, Student*innen, Dozent*innen, Obdachlose, Flüchtlinge, Kulturaffine, Gutbetuchte, Armutsbetroffene, Intellektuelle, Bildungsferne und lauschen gemeinsam den Worten von Lukas Bärfuss.»Seine Antwort auf die Frage, ob die Robert Walser-Sculpture die Kunstschaffenden der Stadt beeinflusst habe, fällt nüchtern aus: «Eher nicht. Den Kunstschaffenden ging es wie den restlichen Teilen der Bevölkerung: Manche konnten mit dem Ort etwas anfangen und besuchten ihn. Andere nicht. Kunst im öffentlichen Raum spricht idealerweise diverse Gesellschaftsschichten an, da der Ort ja naturgemäss auch von unterschiedlichsten sozialen Schichten genutzt wird. Die Robert Walser-Sculpture hat in diesem Sinne funktioniert. Ein schönes Beispiel ist auch die Metalltreppe am Kongresshausturm von Lang/Baumann. Ein Eyecatcher, der wohl bei den meisten Passant*innen einen Eindruck hinterlässt und auf unterschiedlichste Weise gelesen und interpretiert werden kann.» Frautschi beschreibt den öffentlichen Raum als ambivalent: «Gewisse Manifestationen von Interessengruppen im öffentlichen Raum – und das müssen nicht primär Kunstschaffende sein – sehe ich zum Teil durchaus kritisch respektive empfinde ich als übergriffig und nahe der Machtdemonstration.»

Reflexion teilnehmender Beobachtung und Kritik
Die Autorin und Kulturredakteurin bei Radio SRF2 Kultur Alice Henkes hat während der Planungsphase für das Bieler Tagblatt gearbeitet: «Ich habe die Robert Walser-Sculpture recht intensiv begleitet. Grundsätzlich haben mir die Idee dieser Arbeit und ihr partizipativer Charakter sehr gefallen.» Die Frage, wie es mit den Menschen weitergehe, die am Projekt mitgearbeitet haben, stellte sie Thomas Hirschhorn während eines Interviews für einen Fokus-Beitrag in der Oktoberausgabe des Kunstbulletin 2019 und gewann den Eindruck, dass sie ihn recht wenig interessierte.15 «In Gesprächen hat mir Thomas Hirschhorn damals gesagt, er sei Künstler und könne keine Sozialarbeit leisten – was ich bis zu einem gewissen Punkt verstehe. Allerdings sehe ich auch, dass er Randständige, die recht hoffnungslos dahinleben, in ein Projekt eingebunden hat, ihnen damit eine Möglichkeit gegeben hat, aus ihrem unbefriedigenden Dasein auszubrechen – und damit wohl auch bei einigen die Hoffnung geweckt hat, über die Teilnahme an dieser Arbeit in ein neues Leben finden zu können. Das hat sich nicht für alle erfüllt.»
Manche dieser Personen sehe man wieder alkoholisiert vor dem Bahnhof sitzen – wie bereits vor der Robert Walser-Sculpture, sagt die Kulturjournalistin: «Natürlich kann ein Künstler allein das nicht leisten, randständigen Menschen dabei helfen, neue Perspektiven zu entwickeln.» Hier müssten soziale Einrichtungen übernehmen. Im Bericht zum Fieldwork 4 weist Hirschhorn darauf hin, dass er gleich zu Beginn seiner Recherchen in Biel Kontakt zur Strassensozialarbeit aufgenommen hat. Das hängt eng mit seinem Anspruch zusammen, eine Skulptur für ein nicht exklusives Publikum zu machen. In Gesprächen mit dem Sozialamt erfuhr er, dass es verwaltungstechnisch nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich ist, diese Menschen zu bezahlen, und dass diese Menschen das Geld nicht behalten dürfen. Hirschhorn hielt an seinem Anspruch fest, sie für ihre Arbeit bezahlen zu wollen.
Alice Henkes weist darauf hin, dass zu klären wäre, ob und in welcher Form Hirschhorns Arbeit mit Randständigen von der Stadt Biel unterstützt wurde. «Diese Form künstlerischer Arbeit ist vielen nach wie vor fremd. Soziale Einrichtungen sind zu wenig darauf vorbereitet, mit Kulturschaffenden zusammenzuarbeiten. Ich habe den Eindruck, dass nur wenig von dieser Arbeit in Biel weiterlebt. Für die Robert Walser-Sculpture bedeutet das, es bräuchte mehr Engagement, um die Erinnerung daran, die Auseinandersetzung damit wachzuhalten.»

Nachleben, Historisierung und Public Matters
Vier Jahre sind seit Hirschhorns Projekt vergangen. Die Eingabefrist für die Ausschreibung zur 14. Ausgabe der Schweizerischen Plastikausstellung im Jahr 2024, siebzig Jahre nach der Gründung, ist abgelaufen.16 Im gleichen Jahr startete am Institut Kunstgeschichte der Universität Bern das SNF-finanzierte Forschungsprojekt Öffentlichkeiten der Kunst. Die Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung (SPA) mit dem Argument, «dass sich die Spezifik der Bieler Ausstellungen über den Wandel ihres Verständnisses von Öffentlichkeiten fassen lässt».17 Unter der Leitung von Peter J. Schneemann, Professor für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart an der Universität Bern, stellt sich das Team aus insgesamt vier Mitarbeitenden der Aufgabe, die Geschichte und das Archiv der SPA aufzuarbeiten, und bereitet den Launch eines digitalen Bürger*innenarchivs vor. In Zusammenarbeit mit den Digital Humanities wurde von Yvonne Schweizer, wie Schneemann hervorhebt, eine «ausgesprochen innovative Datenbank aufgebaut, die von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, Künstlern und Künstlerinnen, Nachlassinstitutionen etc. im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses Spuren der Geschichte dieser Ausstellung sammelt.»18Zu Institutionen mit vergleichbaren Profilen und deren Archiven, wie den Skulptur Projekten in Münster und der documenta in Kassel, pflegt das Team intensive Kontakte: «Beide stehen für einen innovativen Umgang mit ihrem reichen Bestand.» Die Robert Walser-Sculpture hat in der Forschung «einen sehr grossen Stellenwert». Mit dem Künstler führte das Team viele Diskussionen, die Doktorandin, Seraina Peer, arbeitet mit ihm zusammen: «Hirschhorn schreibt sich sehr bewusst in die Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung ein, die als einer der wichtigsten und historisch gewachsenen Orte für die Skulptur im öffentlichen Raum in der Schweiz zu bezeichnen ist. Sein Engagement und seine Strategien bilden für meine Kolleginnen und mich so etwas wie den entscheidenden Anstoss für unser Forschungsvorhaben», so formuliert es das Forschungsteam des SNF-Projekts.Im Herbstsemester 2022 veranstaltete das Projektteam eine Vorlesungsreihe am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern. Hirschhorn sprach über die Robert Walser-Sculpture. Kommenden Herbst wird ein gemeinsam mit Maren Polte, Studiengangsleiterin der HKB, konzipiertes Kolloquium zum Thema Aktuelle Öffentlichkeiten. Diskurse zum Stadtraum als Verhandlungsort für Positionen zeitgenössischer Kunst im Quartierzentrum Tscharnergut in Bern stattfinden. Schneemann: «Mit Blick auf die nächste Ausgabe der Schweizerischen Plastikausstellung planen wir unter der Leitung von Direktorin Bernadette Walter 2024 eine Ausstellung im Neuen Museum Biel. Auch werden wir Aspekte der Aktualisierung und der Partizipation entwickeln können. Nicht zuletzt geht es um die enorme Relevanz, die die SPA für die aktuellen Debatten um das Potenzial von Kultur immer wieder neu beweist.»

«Öffentliche Sammlungen» und das Recht auf öffentlichen Raum
In Städten wie Biel und Münster hat sich über die Schweizerische Plastikausstellung und die Skulptur Projekte Münster ein Bestand an aussenraumtauglichen Werken aufgebaut. Qua Finanzierung durch eine Mischung aus öffentlichen und privaten Mitteln können sie als «öffentliche Sammlungen»19 bezeichnet werden. Die Themen, die Öffentlichkeiten gegenwärtig umtreiben, sind andere geworden: Auswirkungen des Klimawandels, chronische und neue Kriege sowie die digitale Transformation aller Lebensbereiche. Parkanlagen und Grünräume spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sie gehören zu dem Raumangebot, in das zur ersten documenta aus Fördermitteln für die Bundesgartenschau investiert wurde. Darin liegt ein Argument, dieses Verhältnis auch bei künftigen Ausgaben von Grossausstellungen und Ausschreibungen für Kunstprojekte zu berücksichtigen.Wie die Weichen in Biel gestellt werden, wie stark Wissen und Forschung über die Konzepte vorausgehender Ausgaben der Schweizerischen Plastikausstellung berücksichtigt werden, wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren zeigen. Im Diskurs wird sich durch die Besetzung der neu geschaffenen Professur für Kunst in Raum und Zeit an der ETH Zürich mit Rosa Barba eine Verschiebung auf den Faktor Zeit ergeben können.20 Ihre Haltung, Time as Perspective, Zeit als Perspektive zu verstehen, ermöglicht, sich mit öffentlichem Raum unabhängig von Besitzansprüchen beschäftigen zu können.21 Dadurch werden das latente Gerüst an Vorschriften, Regeln fassbar, treten Monumente in den Hintergrund. Es kristallisiert sich heraus, wo die Aushandlungsräume des Zulässigen, des Nicht-Exklusiven als Utopie und Handlungsimpuls, das demokratische Moment, liegen und wie viel Eigenleben darin mitgedacht ist. Zum Prozess gehören dornige Fragen: «How do we deal with the cultural authority and the powers we depend on? How can we live (self-)critically instead of just performing it?»22