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N°2/2021
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Künstler*in als Unternehmer*in

Entrepreneurship ist das Schlagwort der Stunde. Wie geht Unternehmer*innentum an der HKB konkret? Vier Beispiele aus dem Netzwerk von Studierenden, Alumni*ae und Forschenden. 

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Claudia Kühne leitet die Synapse HKB und die Studierendenagentur KULT der HKB

Für Künstler*innen ist die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragen oft eine Liebe auf den zweiten Blick: eine zu erlernende, aber lohnenswerte Fremdsprache; etwas unangenehm und bei einigen mit Ängsten besetzt, aber notwendig und letztlich befreiend. Denn diese Sprache eröffnet die Möglichkeit zu einem Dialog mit wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Aktualitäten, die uns permanent umgeben. Die Beherrschung dieser Sprache erlaubt eine professionelle Souveränität, schafft Gestaltungsspielräume, um die verschiedenen Bälle künstlerischer Tätigkeiten erfolgreich in der Luft zu halten. Unternehmer*innentum und Kreativität sind sich gegenseitig bedingende Pole: In der Berufsrealität von Künstler*innen sind unternehmerische Fähigkeiten und Handeln bewusst oder unbewusst Teil des Alltags. Von welchem der verschiedenen Modelle 1 zur Kreativwirtschaft wir auch ausgehen: Gekennzeichnet werden sie durch einen hohen Anteil an Selbstständigen und sehr kleinen Unternehmen 2. Teil davon sind aber auch Vereine und Stiftungen, welche im Rahmen ihres kulturellen Vereins- oder Stiftungszweckes wirtschaftlich tätig sind. Aus ökonomischer Sicht erzeugen Künstler*innen «Produkte» in Form von Gütern, Rechten, Werten, Ideen sowie Dienstleistungen 3. Sie sind damit Teil einer Wertschöpfungskette und eines durch Wettbewerb gezeichneten Marktes. Ob es darum geht, für eigene Produktionen in der freien Szene Fördergelder zu beantragen, sich im Theaterbereich selbstständig zu machen, oder darum, sich von der Konkurrenz abzugrenzen und eine kreative Nische zu finden: Der unscharfen Definition dessen, was als Creative Entrepreneurship bezeichnet wird, steht der individuelle Weg der Kulturschaffenden auf dem Kulturmarkt gegenüber. Anhand der folgenden Stichproben stelle ich Beispiele aus Forschung, Theater, Musik- und Kunstvermittlung vor, die Entrepreneurship als ganzheitlichen Ansatz und als ein Bündel von Kompetenzen betrachten, als interaktives Netzwerk mit der sie umgebenden Gesellschaft, innerhalb dessen es sich künstlerisch zu behaupten gilt. 

SwipeKam – von Musikstudierenden zuden App-Entwickler*innen
Vier Studierende des Fachbereichs Musik (Music in Context/Musikvermittlung) brachen Anfang 2020 zu einer Exkursion nach Berlin auf – und kamen mit einer ersten Geschäftsidee zurück, die sie nicht mehr losliess: Um klassische Konzerte für ein junges Publikum zugänglicher zu machen und zugleich die Kosten eines professionellen Streamings zu verringern, entwickeln sie eine interaktive Live-Streaming-Plattform und eine App, die es Nutzer*innen ermöglicht, die Videoübertragung vom eigenen Gerät aus zu steuern und beispielsweise die Kameraperspektive auszuwählen. Tatsächlich existiert auf dem Markt derzeit noch nichts Vergleichbares. Die Gründung eines Start-up Unternehmens ist bereits in Planung, die Suche nach sogenannten Business-Angels läuft. SwipeKam wurde durch den Verein ArtConnection initiiert und entwickelt, dessen Gründungsmitglieder eben diese vier – teils ehemaligen – Musikstudierenden sind: Melissa da Silva, Fabio da Silva, Johanna Schwarzl und Dan Marginean. Daneben konnten sie weitere Geschäftspartner*innen an Bord holen: Digital Dood aus Rumänien ist verantwortlich für IT-Entwicklung, Studio21 in Bern übernimmt für das Audio das Streaming, Moving Water aus Bern das Video. Im Rahmen der Bachwochen Thun 2021 kommt SwipeKam als digitales Vermittlungstool erstmals zum Einsatz.
swipekam.com  

Emily Magorrian – Bühne als Ort der Verletzlichkeit
Theaterschaffende haben selten nur einen Tätigkeitsbereich, ihre künstlerischen Projekte sind stark individuell geprägt und von einem grossen Idealismus getrieben. In der Arbeit der HKB-Alumna Emily Magorrian zeigen sich diese Züge exemplarisch. Im Fachbereich Theater schloss Emily Magorrian 2017 mit dem Master Expanded Theater ab und gewann während des Studiums mehrere Preise. Als Theaterpädagogin arbeitet sie regelmässig mit dem Schlachthaus Theater Bern, mit der Bühne Aarau als Regisseurin. Ausserdem erhält sie Engagements von der Junge Bühne Bern, Low Tech Magic und Ernestyna Orlowska. Selbstständigkeit bedingt in diesem Beruf geradezu, parallel an mehreren Projekten, in verschiedenen Produktionszyklen für verschiedene Auftraggebende arbeiten zu
können. Ihren thematischen Schwerpunkt setzt die Theaterfrau auf die Wunden der Gesellschaft: «Use the stage to talk about failure and magic – otherwise known as vulnerability. Failure of the body, failure to vote, failure in many ways.» Magorrians Arbeiten – (auto-)biografisches, dokumentarisches Theater – sind oft partizipativ, prozesshaft. Thematisiert wurden die eigene Krebserkrankung, Kinderwunsch und Elternschaft in Zeiten von Corona, aber auch der Umgang mit politischer (Nicht-)Beteiligung, dem eigenen Versagen und dem Überleben in vielen Facetten. Damit trifft sie den Nerv der Zeit und schafft sich ihr eigenes Netzwerk von Produktionspartnerschaften und Publikumssegmenten. emilymagorrian.ch 

Kollektiv Ortie – Médiation künstlerisch et kritisch
Das Kollektiv Ortie mit Sitz in Fribourg wurde im April 2021 als Verein gegründet und ist vorwiegend in der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz – entlang des Röstigrabens – tätig. Die Zweisprachigkeit des Teams ist eine Kernkompetenz, welche sogar zur Entstehung einer eigenen Schreibstrategie mittels einer verspielten und leicht verständlichen Mischsprache führte. Die beiden HKB-Alumnae Fanny Delarze und Esther Tellenbach haben ihre Zusammenarbeit 2018 bereits während ihres Studiums Master Art Education / Kunst- und Kulturvermittlung im Fachbereich Gestaltung und Kunst begonnen und beschäftigen sich seither intensiv mit Entrepreneurship von Kunstvermittler*innen. Den inhaltlichen Schwerpunkt setzt Kollektiv Ortie auf Projekte mit sozialem und politischem Charakter, die partizipative, emanzipatorische und bildende Ansätze aufweisen.
Sie zielen in ihrer Arbeit darauf ab, binäre und diskriminierende Ansichten zu hinterfragen und aufzubrechen. Wichtig ist die Arbeitsweise: Angestrebt werden stets Koproduktionen und Kollaborationen, das gemeinsame Denken für eine bessere Zukunft zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit des Kollektivs.  

Klingendes Museum Bern – Zutaten für ein überraschendes Erfolgsrezept
Seit 2017 gibt es im Zentrum von Bern ein auf Blasinstrumente spezialisiertes Museum, basierend auf der Sammlung Burri. Das Museum wird von einer gemeinnützigen Stiftung geführt, die 2014 ins Leben gerufen wurde. Die Stiftung wird durch private Gelder und Sponsor*innen getragen. Im Stiftungsrat ist die HKB vertreten. Als vor der Eröffnung des Museums ein Aufruf gestartet wurde für Freiwillige, die Betreuung der Ausstellung während der Öffnungszeiten zu übernehmen, hätte niemand zu träumen gewagt, dass das Klingende Museum seit vier Jahren in den Händen von zwanzig meist pensionierten Benevols liegt, welche das Museum betreuen. Das Museum arbeitet eng mit Forschung und Lehre der HKB zusammen, daneben konnte es sich innerhalb von der Museumslandschaft und Tourismus Bern etablieren und führte 2019 noch knapp 125 Führungen durch. Dr. Adrian von Steiger, Geschäftsleiter des Museums, sieht einen Grund für den Erfolg darin, dass die Schweiz die höchste Dichte an Blasmusikverbänden weltweit habe. Von Steiger ist an der HKB tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator des Forschungsfelds Musikinstrumente im Institut Interpretation. Derzeit läuft die Sonderausstellung «Kuriositäten – merkwürdige Blasinstrumente» mit einem aussergewöhnlichen Spezialgast, dem Theremin, welcher coronakonform berührungsfreies Musikmachen ermöglicht.
klingendes-museum-bern.ch