Johanna Schwarzl
Die Flötistin Johanna Schwarzl hat 2019 an der HKB ihren zweiten Masterstudiengang in Specialized Music Performance abgeschlossen, mit der Vertiefung Music in Context, die sich mit künstlerischer Musikvermittlung befasst. Heute spielt sie im Berner Symphonieorchester und unterrichtet an der ZHdK.
Neben deiner Arbeit als Orchestermusikerin und Dozentin setzt du Projekte der künstlerischen Musikvermittlung um. Was machst du zurzeit in diesem Bereich?
Ab nächster Saison gibt es bei Bühnen Bern eine fixe Konzertreihe für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Seit zwei Jahren konzipiere ich diese und vereinzelt haben auch schon Konzerte stattgefunden. Zu diesem Auftrag bin ich gekommen, weil ich für meinen Abschluss an der HKB den Tschumi-Preis erhalten habe – dazu gehörte die Möglichkeit, ein Matineekonzert mit dem Berner Symphonieorchester frei zu gestalten. Ich habe dafür verschiedene Musikvermittlungsformate vorgeschlagen. Das Projekt für Menschen mit Demenz wurde ausgewählt und die erste Ausgabe war ein Erfolg. Es folgten Wiederholungen und letztes Jahr der Entscheid, das Format auszubauen.
Was ist an diesen Konzerten besonders?
Es sind Kammermusikkonzerte, die aber Volksmusikanteile mit Liedern zum Mitsingen und viele Anmoderationen beinhalten. So werden diese Konzerte zu interaktiven Veranstaltungen, die das Publikum einbeziehen und zum Mitmachen anregen. Inzwischen zieht das Format ein durchmischtes Publikum an, denn es eignet sich auch für Kinder. Möglicherweise erweitern wir es deshalb zu einem generationenübergreifenden Format, das Interaktionen zwischen Kindern und Menschen mit Demenz fördert.

Auf was hast du bei der Konzeption geachtet?
Bei Musikvermittlungsprojekten steht das Publikum auf andere Weise im Zentrum als bei normalen Konzerten: Es ist wichtig, dass es emotional involviert wird und die Inhalte versteht. Bei diesem Projekt haben wir mit dem Alzheimer Forum Schweiz zusammengearbeitet, um herauszufinden, was funktioniert. Wie muss zum Beispiel eine Moderation gestaltet sein, um das Publikum abzuholen? Mir ist es wichtig, nicht einfach ein beliebiges Format mit dem Vermerk «für Demenz» zu labeln – sondern eine Veranstaltung zu konzipieren, die für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen einen wirklichen Mehrwert bietet.
Was motiviert dich dazu, neben deinem beruflichen Alltag solche Projekte zu realisieren?
Einerseits ist es der kreative Aspekt. Damit will ich nicht sagen, dass man im Orchester nicht kreativ tätig ist – aber man bewegt sich in einem klar vorgesteckten Rahmen und hat Parameter, die man erfüllen muss. Für klassische Musiker*innen ist der Weg zu einer festen Orchesterstelle unglaublich schwierig. Hat man diesen Schritt jedoch gemacht, spielt man oft jahrelang im Orchester und die Entwicklungsmöglichkeiten sind begrenzt. Deshalb machen viele Orchestermusiker*innen nebenberuflich andere Projekte – nicht weil sie viel Zeit haben, sondern weil sie sich weiterentwickeln möchten. Ein weiterer Grund ist, dass ich nicht aus einer musikalischen Familie komme und die klassische Musik noch immer als eine etwas abgekapselte Welt sehe. Hier Zugänge zu schaffen, finde ich eine interessante und relevante Herausforderung. Die Frage, wo unser Platz als klassische*r Künstler*in – neben dem Spielen auf hohem Niveau – ist, sollten wir uns stellen. Vieles, was für uns selbstverständlich ist, ist es für den grössten Teil der Gesellschaft nicht. Ausserdem ist unklar, wie sich in Zukunft die Publikumszahlen entwickeln und wie viel Geld in Kulturbetriebe fliessen wird.
Wie hat sich dieser Aspekt der Zugänglichkeit in den letzten Jahren entwickelt?
Die grossen Häuser haben inzwischen alle verschiedenste Musikvermittlungsformate und noch viel mehr in diesem Bereich machen Festivals. Es gibt auf jeden Fall eine Entwicklung, vor allem auf Managementebene, die enorm wichtig ist, wenn man von der Kulturförderung abhängig ist. Auch die Förderung stellt die Vermittlung immer mehr ins Zentrum oder macht sie sogar zur Bedingung für Geldvergaben. Am wenigsten angekommen ist die Wichtigkeit dieses Aspekts bisher bei den Musiker*innen selber, glaube ich. Aber auch das könnte sich ändern.
Welche Rolle auf deinem beruflichen Lebensweg hat der Master in künstlerischer Musikvermittlung an der HKB gespielt?
Es war definitiv eine Horizonterweiterung, weil ich Künstler*innen kennengelernt habe, die einen Weg abseits der normalen Pfade gegangen sind und ihre eigenen Ideen und Formate umgesetzt haben. Das kannte ich zuvor nicht – als ich in Stuttgart, Paris und Basel studiert habe, bin ich eher klassischen Laufbahnen begegnet und der Fokus lag darauf, an Wettbewerben teilzunehmen und irgendwo eine Orchesterstelle zu bekommen. Mir fehlte dabei etwas die Relevanz. Die Möglichkeit, an eigenen Projekten mit einem Mehrwert für die Gesellschaft zu arbeiten und dabei Unterstützung zu erhalten, hat mich am Master an der HKB sehr gereizt.
Gibt es ein bestimmtes Projekt, das du in Zukunft realisieren möchtest?
Ich würde gern das erste Festival realisieren, an dem nur Projekte gezeigt werden, die auf einer künstlerischen Verschmelzung von Amateur- und Profi-Musiker*innen basieren. Uns klassischen Profi-Musiker*innen werden gewisse Dinge abtrainiert: Wir haben ein Ideal im Ohr, auf das wir hinarbeiten, um auf unserem Instrument exzellent zu werden – was auch Sinn macht. Dabei verlieren wir aber oft einen gewissen menschlichen Aspekt. Wenn wir aber mit Amateur*innen arbeiten, die mit einer ganz anderen Verletzlichkeit auf der Bühne stehen, weil sie diese Abgeklärtheit nicht haben, dann entsteht meistens etwas sehr Authentisches und Herzerwärmendes.