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N°2/2022
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Johanna Heusser

Johanna Heusser studiert an der HKB «Expanded Theater». In ihren Tanzstücken beschäftigt sie sich mit dem Nationalsport Schwingen oder nimmt die Yogaszene und sich selbst aufs Korn.

Text

studierte Kunstgeschichte, Journalismus und deutsche Literatur in Freiburg und Paris. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen in Bern.

Kulturelle Aneignung – der Begriff ist gerade in aller Munde. Darf man eine Rastafrisur tragen, wenn das gar nichts mit der eigenen Kultur zu tun hat? Die Tänzerin, Choreografin und Yogalehrerin Johanna Heusser hat sich in ihrem Stück How to do a downward facing dog? (2020) mit dem Phänomen Yoga auseinandergesetzt. Sie selbst hat mit 16 Jahren damit angefangen und reiste für ihre Ausbildung zu einer zertifizierten Yogalehrerin in den Himalaja. Natürlich versprach auch sie sich spirituelle Erkenntnisse. «Ich bin auf die Welt gekommen mit meinen Erwartungen an die Ausbildung», so die 27-Jährige. Alles sei stark verwestlicht gewesen, unter den zahlreichen Teilnehmenden habe es gerade einmal zwei Inder gegeben. «Yoga ist ein Riesenmarkt, Indien eine Projektionsfläche», stellt sie ernüchtert fest. Das Land müsse als Ort der Erkenntnis hinhalten und werde stark exotisiert. Das harte Training und das ständige Gepushtwerden führte bei Heusser zu einem Bandscheibenvorfall. «Ich habe trotzdem viel gelernt und bereue nichts», so die Künstlerin, die ein Jahr mit dem Tanzen aussetzen musste.

Foto: Janosch Abel

Dr Churz, dr Schlungg und dr Böös
Die Bewegung spielte schon früh eine Rolle im Leben der Tänzerin. Sie ist die Tochter einer Bewegungspädagogin und eines Historikers. «Ich wuchs bei meiner Mutter auf, die Aikido und Selbstverteidigung für Mädchen unterrichtete.» Bereits als Dreijährige begleitete Heusser ihre Mutter und nahm selbst am Unterricht teil. Später entdeckte sie klassisches Ballett, zeitgenössischen Tanz und Hip-Hop für sich. «Am Hip-Hop gefällt mir die Offenheit gegenüber verschiedenen Richtungen und Kulturen», so Heusser. Ihr Interesse für Geschichte habe sie wohl vom Vater geerbt. Heusser hat ein Stück über den archaischsten Nationalsport schlechthin, über das Schwingen, gemacht. In Dr Churz, dr Schlungg und dr Böös (2021) lässt sie das deutschschweizerische Performance-Duo, bestehend aus David Speiser und Dennis Freischlad, miteinander ringen. Dabei wird einerseits die Kraft der Bewegung und der Tradition gefeiert, andererseits auch nach Alternativen zu nationalromantischen Mythen gesucht. Die Choreografin erhielt für ihr Stück ein beachtliches Medienecho und wurde unter anderem ans Schweizer Theatertreffen 2022 eingeladen. «Klar, das ist eine grosse Ehre und gibt meiner Arbeit Sichtbarkeit», so Heusser über die Auszeichnung.

Fragen rund ums Schicksal
Aktuell arbeitet die Choreografin an einem Stück zum Thema Astrologie. Sie selbst, im Zeichen des Löwen geboren, steht dem Thema ambivalent gegenüber. «Es ist anziehend und abstossend zugleich.» So finde sie es irgendwie lächerlich, sei aber trotzdem nicht davor gefeit, im Zug in der Tageszeitung 20 Minuten rasch einen Blick auf ihr Horoskop zu werfen. «Du liest es und es passt, aber wenn du ein anderes Zeichen liest, passt es wohl auch», fasst sie zusammen. Sie glaube, es sei ein grosses Bedürfnis des Menschen, nach Sinnzusammenhängen zu suchen, sich den eigenen Tag zu erklären. Sind wir für unser Schicksal selbst verantwortlich? Das dazu geplante Stück ist eine Kollaboration mit dem Performer Jesse Inman, den Heusser am Schauspielhaus Wien kennenlernte, wo sie im Winter 2022 für das Stück Coma die Choreografie machte. Sie selbst steht auch auf der Bühne, gemeinsam wird nicht nur getanzt, sondern auch gesungen. Elemente des Musicals und der Stand-up-Comedy fliessen in das Stück ein. «Es gibt kitschige Lieder für jedes Sternzeichen und ganz viel Humor», verspricht sie.Heusser hat selbst während zwölf Jahren in einem Mädchenchor gesungen und freut sich nun darauf, ein richtiges Showstück zu realisieren. Obstacles in our sky – auf Deutsch Hürden am Himmel – lautet der Arbeitstitel. Heussers Ironie schliesst Gesellschaftskritisches nicht aus. «Die meist in Frauenzeitschriften veröffentlichten Horoskope prophezeien Geld, Liebe oder Gesundheit, gehen aber auf die eigentlichen Sinnfragen kaum ein», findet sie. Der Mensch lege sich Kategorien zurecht und projiziere diese in den Himmel. Das habe viel mit dem Kapitalismus zu tun, mit dem Wunsch, sich ständig zu verbessern. «Ich schliesse mich mit ein, da ich selbst sehr ehrgeizig bin.» Sie finde aber, man müsse dieses Leistungsstreben hinterfragen, sonst mache es krank. Auch das bereits beim Yoga aufgenommene Thema der kulturellen Aneignung kommt wieder aufs Tapet. Astrologie stammt ursprünglich aus Ägypten und Indien. Die Frage, wie der Westen sie sich unter den Nagel gerissen und kapitalisiert hat, interessiert die Künstlerin. «Als die Briten Indien kolonisierten, verboten sie die Astrologie, weil sie eine spirituelle Praxis war, die sie sich nicht erklären konnten.» Später hätten westliche Intellektuelle die Sternenkunde romantisiert, etwa während einer frühen New-Age-Bewegung in den Zwanzigerjahren.Sei es das Schwingen oder die Astrologie – Heusser wendet sich oft alltäglichen Phänomenen zu, um grössere gesellschaftliche Themen zu verhandeln. Inspiration findet sie dabei auch in ihrer Praxis für Komplementärmedizin, die sie in Basel führt. «Ich arbeite mit Körpertherapie, was meine künstlerische Arbeit bereichert.» Durch die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen verstehe sie, was die Menschen beschäftige. Ihr selbst ist es wichtig, Kunst zu machen, die berührt und die zugänglich ist. Ihr Studium an der HKB schätzt sie sehr. «Ich fühle mich frei, die Kurse zu besuchen, die mich inspirieren und mich auf meinem Weg weiterbringen.» Sie werde dabei unterstützt, ihre eigene Identität zu finden. Wenn sie sich etwas wünschen könnte? «Ich fände es cool, wenn es eine Kantine am Zikadenweg gäbe, für noch mehr Begegnungen.»