Forschung als Hochleistungssport
Thomas Gartmann fiebert mit, wenn sich HKB-Forschende beim Schweizerischen Nationalfonds bewerben. In der HKB-Zeitung reflektiert der Leiter Forschung über die Leistung der HKB, sowie Bedeutung und Auswirkung von Erfolg und Misserfolg.
Ostern. Es ist wieder so weit: Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) hat über unsere jüngsten sieben Forschungsanträge entschieden, die wir vor einem halben Jahr ins Rennen geschickt hatten. Unterstützt werden diesmal nur zwei Projekte, die Teamleistung ist mit 29% Erfolgsquote also nicht ganz befriedigend, wenn der Schweizer Durchschnitt knapp 40% beträgt. Immerhin sind die meisten der Ablehnungen im dritten Fünftel rangiert, also rund um die Mitte oder eben leider knapp unter der Funding Line, und geben so berechtigte Hoffnungen bei einem zweiten Versuch.Vor allem aber: Das intensive Coaching durch die Institute, Peers und den Forschungsrat hat sich bei den beiden ausgewählten Projekten gelohnt: knapp 1,3 neue Forschungsmillionen, vier Jahre lang fünf neue Arbeitsstellen sowie zusätzliche Mittel der Berner Fachhochschule (BFH) und vom Bund, der Drittmittelerfolge belohnt und die Zusammenarbeit von Lehre und Forschung finanziell fördert, wenn auch erst im übernächsten Jahr. Letzten Herbst waren vier von elf Anträgen (36%) erfolgreich, zwei weitere befanden sich im dritten «Topf», der in früheren Jahren noch berücksichtigt werden konnte; nun aber wird hier gelost, bei uns leider beide Mal mit negativem Ausgang. Vor einem Jahr waren fünf von elf Anträgen siegreich, also 45% Erfolgsquote. Wir befinden uns somit etwa im Schweizer Mittel, einmal etwas darunter, einmal etwas darüber, gleichauf mit den ETHs und den Universitäten.
Vertrauensbeweis und Planungssicherheit
Doch was bedeutet ein Erfolg: Können sich die Gewinner*innen nun vier Jahre lang ungestört ihrer Forschung widmen? Im Prinzip ja, und damit erhalten sie auch Planungssicherheit, ein zusätzliches Pensum, eine neue Sprosse für ihre akademische Karriereleiter und eine grössere Startchance beim nächsten Antragslauf. Für einige ist es zudem mit einem Gehaltsklassenanstieg verbunden und mit einem Schritt zur Festanstellung. Für alle jedoch ist es ein Vertrauensbeweis, der das Selbstwertgefühl steigert, ungläubiges Staunen, Freude, ja Euphorie auslöst – aber auch neue Verantwortung und neue Herausforderungen bedeutet.Nun kann man selbst Wettbewerbe veranstalten, für Stellen, später für Tagungsbeiträge. Oder man muss bei gekürzten Forschungsmitteln nochmals ran, Ergänzungsgesuche stellen bei Stiftungen. Wenn man unter den über 16 000 die richtigen findet, ist es fast reine Fleissarbeit, denn hier beträgt die Erfolgsquote oft über 50%, dafür sind die Beiträge klein, oft nur einige Tausend Franken. Für Grossbeiträge, wie die Gebert Rüf Stiftung sie verteilt, sind die Gewinnchancen dann beträchtlich kleiner: gerade mal noch 5%. Aber auch dies hatten wir schon geschafft, als Ersatz etwa nach einer SNF-Ablehnung.
Absage und Karriereknick
Mit allen Betroffenen hatte ich mitgefiebert, doch was bedeutet nun für sie eine Absage? Man hat ja sein Bestes gegeben, viel Herzblut und viele Monate Arbeits- und Lebenszeit. Ein Misserfolg irritiert, lässt einen an sich zweifeln, er bewirkt Trauer, Unverständnis, Wut. Er bremst den Tatendrang, führt manchmal auch zu einem Karriereknick. Gemeinsam analysieren wir ausführlich die Verfügungen und Gutachten. Der SNF ist sehr transparent, das hilft. Ich versuche, die Kolleg*innen aufzumuntern, alles einzuordnen. Viele Rückmeldungen sind ja sehr positiv, viele kritische Argumente treffen zu, wohlwollende Anregungen sind durchaus nachvollziehbar, weitere Rückmeldungen der anonymen Preisrichter*innen sind eben anderen Perspektiven verpflichtet, oder wir sind gerade an eine Spezialistin geraten, welche die Nennung einiger Aufsätze vermisst, oder an jemanden mit tüchtigen Vorurteilen gegenüber bestimmten Methoden. Bösartigkeit ist selten und rasch erkennbar.Gemeinsam überlegen wir dann, wie wir die Feedbacks fruchtbar nutzen und das Projekt weiterentwickeln können. Bei einer Neueingabe erhöhen sich die Chancen auf 60%. Und schon oft sind wir beim zweiten Anlauf erfolgreich gewesen. Auch jetzt gerade wieder. Rekordhalter im Sprint ist dabei ein Kollege aus Mailand, der es geschafft hatte, einige Unklarheiten, Missverständnisse und Fehlüberlegungen innert einiger Tage zu beheben und das Gesuch erfolgreich nochmals neu einzugeben. Seither hat der SNF aber die Frist zwischen Bekanntgabe der Resultate und einer Neueinreichung verkürzt, weshalb man hierfür erneut ein halbes Jahr warten muss. Viele verlieren dabei die Geduld oder haben nicht mehr die Mittel, es erneut zu versuchen.Besonders traurig ist es, wenn dann jemand nach Jahren enger Zusammenarbeit die HKB und die Schweiz wieder verlassen muss. Es gibt auch Gesuchsteller*innen, die wieder in die Arbeitslosigkeit zurückfallen oder ins Prekariat. Und für einzelne Doktoratskandidat*innen heisst dies, dass sie den Traum einer Dissertation vertagen oder gar aufgeben müssen. All dies passierte leider auch diese Ostern.
Besser scheitern?
Selbst bin ich auch schon zweimal hintereinander gescheitert: Zuerst meinten die Gutachten, man solle sich doch nicht nur auf die Schweiz fokussieren, sondern auch einen Ländervergleich anstreben. Das fand ich dann eine gute Idee, und weil nun als Doktorandin eine Bosnierin vorgesehen war, entschlossen wir uns zu einem Vergleich mit den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens und schnürten eine Kooperation mit mehreren Kolleginnen auf dem Westbalkan. Diesmal wurde nun allerdings (unter anderem) kritisiert, dass wir zu wenig abgeklärt hätten, ob die entsprechenden Archive die Kriege unversehrt überstanden hätten. Die Doktoratskandidatin gewann dann gerade noch einige Musikwettbewerbe, die ihr zu einer künstlerischen Karriere verhalfen, sodass ich wieder mit leeren Händen dastand.Aber viele der Vorarbeiten konnte ich erfolgreich in den nächsten Antrag integrieren und die vorgesehenen Partnerinnen dann im neuen Projekt zu einem Symposium und für einen Sammelband einladen. Um die Wartezeit zu überbrücken, liessen wir in einem Vorprojekt die wichtigsten Archivalien digitalisieren. Deren Finanzierung bedeutete wiederum ein Dutzend Gesuche bei Stiftungen im In- und Ausland, bei Kantonen und einer Institution, die ihren Namen zu Recht trägt, weil sie einen Aspekt solcher Wettbewerbe im Namen trägt: die Loterie Romande. Und nach dem Zielband dieses nun erfolgreichen Ausdauerlaufs durfte ich dann für eine der Doktoratsstellen wieder einen Wettbewerb ausschreiben.Sinnigerweise hatte ich einmal BFH-intern ein Projekt «Hochleistungsteams in Musik und Wirtschaft» eingegeben. Auch hier ging es indirekt um Wettbewerb, Ringen um Aufmerksamkeit, um Durchsetzungsstärke bei der Interpretation in einem Ensemble, was sich durchaus quantitativ wie qualitativ bei Proben beobachten liess. Die notwendigen Forschungsgelder erhielten wir relativ einfach, die Zustimmungsquote bei diesem Call betrug über 50%. Einen erneuten Wettbewerb gab es dann bei der Einreichung der zu dritt erstellten Publikation: Im Call einer deutschen Zeitschrift erhielten wir in der Peer Review viele kritische Anmerkungen, die es brav abzuarbeiten galt. Bei der Neueinreichung wurden dann aber ganz andere Beanstandungen vorgebracht: Offenbar hatte man die Gutachter*innen ausgewechselt. Meinen Kolleg*innen wurde es da zu blöd und sie resignierten. Ich fand aber unsere Erkenntnisse nach wie vor interessant, die Publikation hatte durch die erste Ablehnung und die damit verbundenen Verbesserungen gewonnen und so reichte ich den Aufsatz in einer internationalen Zeitschrift in Zagreb ein, wo er alsbald akzeptiert und publiziert wurde. Ich stellte ihn dann auf die Plattform Academia.Edu, wo er immerhin einige Dutzend Leser*innen fand (auch hier ein Kampf um die Aufmerksamkeit; die Plattform rankt mich aufgrund der Zugriffe in die Top 4%) – und so meldete sich auch das Berner Erziehungsdepartement, sie hätten Interesse an einem Workshop zu diesem Thema. Hierfür fragte ich dann meine Assistentin, die sich drei Jahre zuvor als Jazzbass-Studentin erfolgreich um die Projektstelle beworben hatte, und sie konnte dann dort die gefragte Dienstleistung anbieten. Die Publikation wurde auch erfolgreich im Rennen um die wenigen freien Lehraufträge ausgewertet und das Resultat mit vielen Studierenden diskutiert. Dazu half sie im Ranking der beteiligten Institute, erhöhte die Chancen beim nächsten Forschungsantrag und löste bei der BFH einen Bonus von etwa tausend Franken aus, was wiederum eine Tagungsteilnahme einer Kollegin ermöglichte.
Harter Wettbewerb
Besonders hart ist der Wettbewerb im Gefäss Doc.CH des SNF, wo es um eine vierjährige Direktunterstützung einer Dissertation geht, also um immerhin 200 000 Franken. Jede Professorin, jeder Professor kann hierzu nur eine Person empfehlen. Im letzten Sommer wurden 58 Bewerbungen eingereicht, 32 nach der Dossierbegutachtung sofort abgelehnt, die andern 24 Kandidat*innen eingeladen, das Projekt vor einer über zehnköpfigen Kommission zu präsentieren und zu verteidigen, davon wiederum wurden gerade mal elf ausgewählt, also 19%. Um hier die Wettbewerbschancen zu erhöhen, unterstützen auch wir unsere Leute: In einem halbjährigen Vorprojekt wird der Antrag erarbeitet und nach der Einladung zum Assessment simulieren wir die entsprechende Situation: Von einem früheren Jurymitglied erfragten wir uns einmal die wichtigsten Erfolgskriterien. Und mit ehemaligen Stipendiengewinner*innen mimen wir im harten Training die Kommission, stellen die kritischen Fragen zu Projekt, Karriere- und Lebensplanung – und dies mit einigem Erfolg: Nicht weniger als drei Absolventinnen unseres Master Design haben es so bereits geschafft, bei diesem hochkompetitiven Instrument den Zuschlag zu erhalten. Nun allerdings will der SNF trotz vehementen Protesten der Hochschulen dieses bewährte Werkzeug der Einzelförderung einstellen, die Erfolgsquote sei angesichts der zu verteilenden geringen Mittel doch sehr tief. Konzentration der Fördermittel nennt sich dies.