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N°1/2021
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Florian Werner

Der Autor und Journalist Florian Werner lehrt regelmässig als Gast an der HKB. Im April leitet er die Y-Toolbox Anatomie des Zombies.

Interview

Wie bist du bisher durch diese Pandemie gekommen?
Den ersten Lockdown habe ich mit meiner Familie in einem Gartenhäuschen aus den 20er-Jahren am Stadtrand, am See verbracht, zu viert plus Hund auf 30 Quadratmetern. Das Schlafstübchen war gleichzeitig das Arbeitszimmer. Das hatte so was Walden-Pond-Thoreau-Haftes. Den zweiten Lockdown verbringen wir nun in Berlin. Normalerweise ist hier im Quartier zu jeder Tages- und Nachtzeit was los, aber jetzt sind die Strassen fast leer. Dieses Brummen der Stadt, das ich total liebe, ist plötzlich weg. Ich muss sagen, positive Massenerlebnisse fehlen mir wahnsinnig. Massenansammlungen sind ja oft problematisch, gerade beim Zombie. Der Einzelne ist nicht wirklich gefährlich, weil er sich meist langsam bewegt und nicht besonders helle ist – viele Zombies zusammen werden, wie die Viren, zum Problem. Aber die enthusiastische, dionysische Masse, die sich zum Beispiel im Rhythmus einer Musik bewegt, hat etwas wahnsinnig Tolles. Ich muss gerade oft an einen Abend vor zwei Jahren denken, da habe ich in Berlin auf der Waldbühne den grossen Hexenmeister Nick Cave erlebt, in diesem Riesen-Amphitheater aus den 30er-Jahren. Das war für mich eine wahrhaft enthusiastische Erfahrung: eine Begeisterung, die daraus resultierte, dass da 20 000 Menschen das Gleiche feierten.  

Lässt sich das kompensieren?
Ein bisschen. Ich habe mir riesengrosse Boxen gekauft, mit denen man saulaut und sehr gut Musik hören kann. Ich gehe wie ein Wahnsinniger joggen. Und ich schreibe jeden Morgen wie ein Bekloppter. 

Schreibst du anders als vorher?
Ja, ich schreibe gerade etwas sehr Innerliches, einen Roman. Im Gegensatz zum meisten, was ich in den letzten Jahren geschrieben habe, mache ich für diesen neuen Text null Recherche. Ich sitze einfach am Rechner und lasse es laufen. Es ist ein autonomer Text, völlig abgekoppelt von der Welt.  

In deinem neusten Buch geht es um deutsche Autobahn-Raststätten. Wie bist du darauf gekommen?
Ich betrachte die Kulturgeschichte gern von ihren schmutzigen Rändern her. Raststätten sind für mich ein Teil der öffentlichen Architektur, der wahnsinnig wichtig ist, den aber trotzdem keiner mag. Solche Nicht-Orte, wie Marc Augé sagen würde, faszinieren mich. Für die Vor-Ort-Recherche sass ich im Sommer 2019 Tage und Nächte lang auf Autobahnraststätten, quatschte Leute an, ging auf dem Parkplatz spazieren. Das ist ja im Moment alles gar nicht möglich.  

Apropos spazieren: Du hast dich in mehreren Büchern mit der Verbindung zwischen Gehen und Denken auseinandergesetzt. Gibt es auch einen Bezug zwischen Joggen und Schreiben?
Auf jeden Fall. Ich merke, dass sich beim Joggen wahnsinnig viel löst. Wenn ich zwei Stunden geschrieben habe, bleiben oft irgendwelche Knubbel zurück. Dann gehe ich laufen und danach ist im Idealfall alles klar. Ein Radiostück von vier Minuten Länge oder eine Dramaturgie von 4000 Zeichen lassen sich bei einer Runde Joggen einmal komplett durchdenken. Aber ich gehe nicht laufen, um ein Problem zu lösen – es ist wichtig, dass man lockerlässt. Ein anderer Modus von Gehen und Denken ist das Flanieren, das «Gesprächsschlendern». Das praktiziere ich regelmässig mit Tilman Rammstedt. Wir gehen zwei Stunden die Nachbarschaft ab und kommen ganz anders ins Reden, als wenn wir irgendwo sitzen würden. Ich schätze die Zweckfreiheit solchen Flanierens. Wir haben uns alle daran gewöhnt, sehr teleologisch zu gehen. Man will unbedingt zum Gipfel, zum See oder zur Hütte kommen. Aber das Gehen nur um des Gehens willen ist noch mal was ganz anderes. Wichtig ist, dass man auf gar keinen Fall eine App aktiviert, die einem hinterher sagt, wie viele Kilometer man gegangen ist. 

In der US-Zombie-Serie The Walking Dead werden die Zombies «walkers» genannt. Woher kommt deine Faszination für diese Figur?
Ein guter Freund von mir ist Professor für Theologie, mit dem schaue ich mir immer die ganz harten Zombie- und Horrorfilme an. Jetzt geht das natürlich gerade nicht: Wenn die Apokalypse da ist, kann man keine apokalyptischen Filme mehr gucken. Als ich die Y-Ausschreibung «Nacht» sah, habe ich sofort an Zombies gedacht. Der klassische Zombiefilm The Night of the Living Dead ist ja auch ein Nachtfilm. 

Gab es Zombie-Literatur, bevor es Filme gab?
Ich glaube, es war umgekehrt, die Zombies sind über die Filme in die Texte gewandert. Zombie-Filme waren ja ursprünglich eher ein Pulp- und B-Movie-Phänomen. Erst in den letzten Jahren, etwa mit World War Z oder Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die, sind sie zu einem respektablen Genre geworden. Sogar der Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead hat mit Zone One einen richtig tollen, hartgesottenen, philosophischen Zombie-Roman geschrieben. 

Du hast den Bezug zwischen Zombie und Virus gemacht. Gibt es andere Bezüge zur Pandemie?
Wenn man Elisabeth Bronfen glauben mag, dann ist der Zombie-Film ein Warmlaufen für die Pandemie. Die Zombie-Filme der 50er- und 60er-Jahre haben vorweggenommen, wie wir uns heute durch die Stadt bewegen. Die Leute gehen in Schlangenlinien und versuchen, bloss niemandem zu nahe zu kommen. Die Gefahr, die vom Zombie ausgeht, ist ja, dass er, ähnlich wie der Vampir, andere infiziert. Dadurch entsteht dieses exponentielle Wachstum, das wir jetzt dank Corona alle verstanden haben. In Zone One wird zum Beispiel eine riesige Mauer gebaut, um die Zombies draussen zu halten. Aber am Schluss – Spoiler Alert! – bricht diese Zombie-Masse wie eine Welle über die Menschen herein. Die Metaphern von Ansteckung und Welle sind zentral im Zusammenhang mit Zombies. 

Sieht man je etwas aus der Perspektive des Zombies?
Ich kenne keinen solchen Fall. Ich denke, das liegt daran, dass der Zombie keine Subjektivität hat. Er ist der entfremdete Mensch, der nicht mehr weiss, wieso er tut, was er tut. Er wird nur noch von «muscle memory» angetrieben – und dem Impuls, zu töten. Vielleicht ist er überhaupt nur im Film richtig darstellbar, weil er eben kein Innenleben hat. Alles, was Roman, Lyrik, Musik ausmacht, die Darstellung einer reichen psychologischen Innenwelt, versagt beim Zombie. Er ist der Antilyriker, er kann kein Gedicht darüber schreiben, wie er sich fühlt. Es gibt so viel, was wir nicht wissen über Zombies. Die Filme sind beeindruckend, aber sie gehen von merkwürdigen Grundprämissen aus, etwa, dass man den Zombie bedenkenlos töten darf, weil er weder Individualität noch Schmerzempfinden hat. Aber: Woher wissen wir das eigentlich? Woher weiss ich, was mein Nächster denkt? Das kennt man ja in weniger drastischer Form aus dem eigenen Leben: dass vertraute Personen einem plötzlich fremd werden oder auf eine Weise handeln, die unverständlich und bedrohlich ist.  

Man sagt ja auch Dinge wie: «Du bist rumgelaufen wie ein Zombie.»
Ich glaube, das hat mit dieser Inkommensurabilität zu tun: dass Menschen leer oder entfremdet durchs Leben gehen, ihren Schmerz aber nicht vermitteln können. Man sieht sein Gegenüber, man möchte Mitleid zeigen und sagt: «Ich weiss, das ist gerade total schwer für dich» – aber eigentlich weiss man nichts, weil man eben nicht drinsteckt. Das ist das Tolle am Zombie-Genre: Auf sehr plakative Weise verhandelt es Themen, die Philosoph*innen seit Jahrhunderten umtreiben.