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N°2/2024
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Es sind nicht immer alle zufrieden mit den Sieger*innentexten

Der «Bund»-Essay-Wettbewerb mobilisiert weit über die Kantonsgrenzen hinaus Teilnehmende. Im Gespräch mit Gründer Alexander Sury über Förderung, Kollektive und Plattformen für Texte.

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Michael Schallschmidt studiert an der HKB Master Multimedia Communication & Publishing und ist neu Mitglied der Redaktion der HKB-Zeitung.

Der «Bund»-Essay-Wettbewerb folgt einer einfachen Prämisse: Jedes Jahr gibt die Zeitung ein Thema bekannt, zu dem Teilnehmende einen Text von maximal 10 000 Zeichen einreichen können. Eine dreiköpfige Jury wählt aus den eingesandten Texten die besten drei aus, die von den Gewinner*innen im Rahmen einer Veranstaltung in der Dampfzentrale präsentiert werden. In der letzten Ausgabe des Wettbewerbes wurde gefragt: «Gehören Sie auch zu jenen, die schwören: Künstliche Intelligenz wird die Wahrheit zerstören?»Vor sechs Jahren fand im Rahmen der Preisverleihung erstmals eine Kooperation mit der HKB statt, die seitdem immer enger wurde. Angefangen habe es mit Bühnenbildern, die Studierende des Bachelorstudiengangs Visuelle Kommunikation konzipiert haben, erinnert sich Alexander Sury. Der «Bund»-Literaturredaktor rief den Wettbewerb vor 18 Jahren ins Leben.

Welche Rolle spielen Sie bei «Ihrem» Essay-Wettbewerb?
Ich nehme vor allem eine organisatorische Rolle ein, leite die Publikation der Texte in die Wege und begleite die Jury während des gesamten Wettbewerbes. Ich besorge die Vorauswahl von rund 30 bis 40 Texten aus meist über 100 eingesandten Essays. Die dreiköpfige Jury, der dieses Jahr auch Leonie Achtnich angehört, die Leiterin des Schweizerischen Literaturinstituts, wählt dann daraus die drei besten Essays aus.

À propos Literaturinstitut: Fördert der Essay-Wettbewerb Ihrer Meinung nach die Schweizer Literaturlandschaft?
Definitiv. Wir haben 2006 mit der Absicht begonnen, einen Wettbewerb zu schaffen, der sich in erster Linie an unsere Leser*innenschaft richtet. Folglich hatten wir Menschen im Sinn, die eine gewisse Affinität zu Literatur haben. Ihnen wollten wir die Möglichkeit geben, über einen Leserbrief hinaus zu einem interessanten Thema Stellung zu nehmen. Wenn ich nun auf die vergangenen 18 Jahre zurückblicke, kommen mir einige literarisch ambitionierte Gewinner*innen in den Sinn, die nun in der Literaturwelt bekannt sind, so etwa Gerhard Meister, Romana Ganzoni oder Seraina Kobler. Zudem machen wir auch in Literaturhäusern in der Schweiz, Deutschland und Österreich Werbung für den Wettbewerb.

Und wieso entschied man sich für die Textsorte Essay?
Wir waren stets grosszügig mit unserer Definition des Begriffes Essay: Er kann einen wissenschaftlichen Charakter haben wie eine Erörterung oder ein Aufsatz. Jedoch kann der Essay auch persönliche oder erzählende Elemente enthalten. Wir haben in der Vergangenheit dementsprechend auch fiktionale Texte berücksichtigt. Wir versuchen auch jedes Jahr, ein Thema zu setzen, das gesellschaftlich bewegt und den Menschen unter den Nägeln brennt. Darum haben wir uns für den jüngsten Wettbewerb für das Thema künstliche Intelligenz entschieden.

Was macht denn einen guten Essay aus?
Meiner Meinung nach handelt es sich um einen Text, der sich auf eine originelle Art und Weise mit einem solchen Thema auseinandersetzt. Beispielsweise wenn er argumentativ spannend ist, aber zugleich auch einen persönlichen Ansatz beinhaltet oder eine neue Facette beleuchtet. Die Bandbreite an Texten ist natürlich gross, und es sind naturgemäss nicht immer alle gleichermassen zufrieden mit den Sieger*innentexten.

Der heutige Zeitgeist wendet sich von Wettbewerbsdenken ab und dem teamorientierten Arbeiten zu. Wie kann sich ein Essay-Wettbewerb, bei dem sich ja Einzelpersonen messen, in Zukunft weiterentwickeln?
Tatsächlich fand diesbezüglich mit der aktuellen Ausgabe eine Premiere statt. Denn bei einem der drei Gewinner*innentexte besteht die Autor*innenschaft aus einem Kollektiv. Genauer gesagt handelt es sich um eine 18-köpfige Maturaklasse aus Zürich, die ihren Text gemeinsam mit ihrem Deutschlehrer unter einem Pseudonym eingereicht hat. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Text nicht von einer einzelnen Person stammt, sondern eine Gruppe hinter dem Text steckt.

Das ist mit den Ausschreibungsbedingungen des Wettbewerbs kompatibel?
Wir haben darüber nachgedacht und sind zum Entschluss gekommen, dass die Vorgehensweise mit unseren Bedingungen kompatibel ist. Darüber hinaus fanden wir die Idee der Klasse, als Kollektiv teilzunehmen, interessant. Damit ist ein sehr spannender Schritt passiert, obschon wir es nicht darauf angelegt haben. Der Wettbewerb fokussiert sich nach wie vor auf Einzelpersonen. Jedoch werden wir in Zukunft gegebenenfalls die Ausschreibungsbedingungen anpassen müssen.

Wer beim Essay-Wettbewerb auf dem ersten Platz landet, erhält 5000 Franken Preisgeld. Insgesamt ist der Wettbewerb mit 9000 Franken dotiert. Beim OpenNet-Wettbewerb der Solothurner Literaturtage gibt es kein Preisgeld und dennoch wurden zuletzt 118 Texte eingesandt. Was halten Sie davon?
Weil bei der letzten Ausgabe unseres Wettbewerbs «nur» 80 Texte eingegangen sind?

Zum Beispiel.
Beim OpenNet-Wettbewerb handelt es sich um eine mittlerweile sehr prestigeträchtige Nachwuchsplattform. Wer dort gewinnt, macht automatisch Verlage auf sich aufmerksam. Natürlich könnten wir den Essay-Wettbewerb auch ohne Preisgeld veranstalten. Das Geld soll lediglich einen zusätzlichen Ansporn zur Teilnahme darstellen. Es gehört jedoch zu einem solchen Wettbewerbsformat wie dem Essay-Preis dazu, nicht nur einen symbolischen Preis zu vergeben. Alle drei Texte, die auf dem Podest landen, werden zudem online publiziert. Der erstplatzierte Text erscheint zudem in der «Bund»-Printausgabe. Damit erhalten die Gewinner*innen mit ihren Texten auch bei uns Reichweite.

Und all die anderen Texte?
Darüber habe ich mir in der Vergangenheit auch Gedanken gemacht und nach Wegen gesucht, wie man mehr Texten eine Plattform geben kann. Schliesslich beteiligen sich so viele Leute mit einem Text am vorgegebenen Thema. In manchen Jahren waren es zwischen 200 und 300. Von der achten bis zur zwölften Ausgabe des Wettbewerbes haben wir es geschafft, in Zusammenarbeit mit Verlagen eine Anthologie mit den 20 besten Texten herauszugeben, was eine zusätzliche Plattform ermöglichte. Darauf bin ich stolz und wir arbeiten daran, in Zukunft wieder mehr Texte öffentlich zugänglich zu machen – wenn nicht als Buch, dann immerhin online.