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N°1/2023
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Es macht mich aus und bringt nichts ein

HKB-Dozentin und Autorin Tine Melzer über die Hobbys der Schweizer*innen und den Verlust ihres Hobbys in den Niederlanden.

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HKB-Dozentin und Autorin

Mein Hobby? Ich habe keines. Das wusste ich lange nicht. Erst im vergangenen Herbstsemester beim Y-Kurs Künstliche Biographie kam es raus.1 Alle waren aufgefordert, die eigene «Biografie des Scheiterns» zu schreiben, als Lebenslauf in die Sackgassen und Wendehammer, als Aufzählung der gut gehüteten Geheimnisse, verpatzter Ausbildungen, vernachlässigter Sport- oder Musikkarrieren, verpasster Chancen. Darin kamen Hobbys vor, die nicht ernsthaft genug ausgeübt wurden, um zu Berufen zu werden, und Berufswünsche, die zu schmächtigem Freizeitspass schrumpften. Dabei sind gerade Künstler*innen die Mutigsten, weil sie ihr Instrument, ihr Material, so ernst nehmen, dass sie es zur Profession machen. Beruf ist ernst, Hobby ist Spass.

Je träger, uninspirierter, fremdgesteuerter und unangenehmer eine Arbeitspraxis ist, umso aktiver praktizieren diese Berufstätigen abseits der Laufbahn ein Hobby. Je teurer die wenige Freizeit erkauft werden muss durch beruflichen Zwang oder machthungrigen Ehrgeiz, desto wichtiger werden das zugedeckte Segelboot der Chirurgin und das schnelle Auto in der Garage des Börsenmaklers. Hobbys muss man sich leisten können. Für die Ärmsten bleibt nur das kurze Sitzen im Sonnenuntergang. Manche haben vielleicht für die Freizeit ein Radio oder können in der Kirche singen. Auch Künstler*innen leisten sich oft kein Hobby. Ausnahmsweise nicht aus finanziellen Gründen (ein Velo kann die Jacht ersetzen), sondern weil die eigene Arbeit oft einer Leidenschaft folgt, die ein halbherziges Hobby links liegen lassen würde.

Beliebteste Hobbys in der Schweiz im letzten Jahr: 2% geben zu, es nicht zu wissen. 5% geben an, zu keiner der angegebenen Kategorien zu gehören. Die restliche Mehrheit geht Hobbys vor allem im Freien nach, nennt Reisen, Kochen und Backen, Lesen und Sport, Gaming, Gartenarbeit und Heimwerken. Die wenigsten machen Brettspiele, schrauben an Fahrzeugen oder machen Musik.

Sollen neue Mitarbeitende oder Chef*innen gefunden werden, sitzt ein Gremium zusammen und sichtet die CVs der Bewerbenden. Wer sich fachlich qualifiziert, darf auffallen durch Eigenheiten im untersten Bereich der Tabelle: Hobbys. Damit erlauben die Anwärter*innen kurz einen Blick auf eine kuratierte Privatsphäre: Beim Hobby, denkt man, gibt man Leidenschaft und Charakter preis, es soll verraten, wer man wirklich ist, abseits der Karrierestufen. Verschwiegen werden die chronische Krankheit, der Kinderwunsch, die eigentliche politische Haltung. Da steht oft Unverfängliches, wie immer: Lesen, Wandern, Kochen. Dann ist klar: Kann lesen, ist nicht ganz faul, verbindet gediegen Nötiges mit Geschmackvollem. Kann allein sein, aber mag auch gute Tischgesellschaft usw. Wer in seiner Freizeit liest, liest nicht beruflich. Kaum eine Lektorin gibt als Hobby Lesen an. Bewegung ist gesund, Geduldige wandern, Gestresste wollen runterkommen. Und essen müssen wir alle.

Auch beim Hobby gibt es strenge Regeln der Hierarchien und Privilegien, was einiges über die Bewerbenden aussagt: Fernreisen, Basejumping, Sportautos oder Schlafen, Essen, Computerspiele? Während die eigentlich verbrachte Freizeit oft so aussieht: Kinderhüten, Putzen, Aufräumen.

Warum heisst Hobby so? Das Wort wird vom englischen hobby horse als Steckenpferd zweideutig übersetzt: Kinderspielzeug und Freizeitbeschäftigung. «Das hölzerne Steckenpferd trägt seinen Reiter nirgendwohin, weil es in den Händen gehalten wird. Entsprechend erwirtschaftet das Hobby kein Einkommen und ist kein Beruf.»2 Sofort sehe ich britische Klischees vor mir, schmal lächelnde Münder unter Schnauzbärten mit strahlenden Augen unter karierten Schirmmützen, Männer in Tweed mit Sportrackets aller Art (Cricket-, Golf- und Poloschläger), die Zügel eines Pferdes, das überlegene Lächeln halbhoch über mir. Siegertypen haben Hobbys. Wenigstens Fitnessabos und Mitgliedschaften. Sie gehören dazu, sind im Team, haben ein Leben ausserhalb der Arbeit, die sie Job nennen, weil sie sie nur zum Geldverdienen machen.

Beim Sport kann ich es am besten sehen, das ist weit genug weg von mir: Die Profis spielen beruflich, die anderen heissen Amateur*innen. Spätestens seit Roland Barthes wissen wir, dass im Wort Amateur der Liebhaber steckt, also jemand, der freiwillig, grosszügig und gratis schafft und sich dafür anstrengt, weil es ihm selbst wichtig ist: «…the amateur renews his pleasure amator: one who loves and loves again».3

Oft treiben Leute als Hobby Sport, z.B. Tennis oder Squash. Andere töpfern, gärtnern, singen (im Chor), spielen das Jugendinstrument, wenn niemand zuhört, nicht selten aus Schuldgefühl, um die versäumten Stunden aufzuholen und die Mutter nicht zu enttäuschen, die seit Jahren tot ist. Leute hegen Tiere – gibt ein Hundehalter zu, sein Hund sei ein Hobby? –, züchten Pflanzen oder reinigen die Scheiben von Terrarien. Was selten als Hobby benannt wird, aber wahrscheinlich eines ist: gemeinsam mit dem besten Freund in der Bar ein Bier trinken und plaudern über die letzten Wahlergebnisse. Nachrichtensendungen schauen. Zuhören. Warten. Aufräumen. Freunde anrufen. Spazieren gehen.

Es sollte auch als Hobby gelten, wenn man es unbemerkt macht und nichts dabei herauskommt: Im öffentlichen Nahverkehr die Sprachen zu erraten, die man nicht versteht. Farbennamen erfinden von Dingen, die man sieht. Ausmisten und es doch nicht tun. Ferienpläne im Kopf machen und nie ausführen. Beziehungen klären wollen und es aus Bequemlichkeit nicht tun.

Hobbys sollen also möglichst verraten, wer wir wirklich sind. Bei Kontaktanzeigen (früher in der Zeitung, heute im Internet) sind sie unersetzlich. Bei Apps muss man sich den vorgegebenen Kategorien für seine Identität anpassen. Zwar gibt es Kurzformeln für geschieden, kinderlos, männlich, Chiffren selbst für Körpermasse und das Alter, Nichtraucher, Sexvorlieben etc. Hobbys aber werden ausbuchstabiert, sie stehen ungekürzt da und nehmen vielleicht mehr wertvollen Platz in der Kontaktanzeige ein als im wirklichen Leben. Wunschdenken schwarz auf weiss. Dabei lesen sie sich doch alle gleich: Reisen, Kochen, Wandern, Natur, Kultur, Kino, Theater. Alle sehnsüchtigen Arbeitnehmer*innen da draussen wollen als kulturell gebildet gelten und legen einen Wochenplan vor wie eine Theaterintendantin. Zudem wochenends im Wald, unter der Woche aufwendige Dinners, am Freitag ins Theater und manchmal sogar in die Oper, zu Hause vor allem Brahms und guter Pop. Tanze gerne, bin sportlich und gebildet.

Wehe, wenn die Bewerbung um das Herz der anderen zugibt: Hobbys: keine. Wer leistet sich, zu behaupten, nichts gern freiwillig zu tun, keinen sogenannten Interessen zu folgen, sich mit nichts befassen zu wollen. Wer geizt so mit dem Innenleben, der eigenen Sehnsucht, dem Selbstbild? Wer will sich nicht vorstellen als fescher Segler im Gegenlicht der untergehenden Sonne oder als befrackter Kenner ernster Musik, als Freizeitliterat? Die Kunst und Kultur, das haben wir seit 2020 gelernt, ist nice to have, besonders als Etikett für die, die sie nicht selbst herstellen. Alle kennen den Kanon dem Namen nach. Jede*r will Teil sein des kennerischen Publikums in Konzertsälen und Museumsfoyers. Kunst wertet auf, es macht sich gut als Typologie auf dem Markt der Selbstdarstellung.

Durch Hobbys schliessen wir Freundschaften ausserhalb unserer Berufsgruppen. Zwar verbringen die meisten Berufstätigen einen Grossteil ihrer Woche mit Kolleg*innen im Arbeitsumfeld, in dieser Welt aber regiert ein Fach. Erst im (gemeinsamen) Hobby treffen wir auf Leute anderen Alters, anderer Arbeitswelten, anderer Herkunft. An der Töpferscheibe entdeckt meine alte Schulfreundin, dass auch Angestellte von Google empathisch sein können, und anderswo stehen sich im Tennis der Work-Life-Balance-Grafiker und der Versicherungskaufmann spielend gegenüber. Besonders in Städten heisst ein Hobby oft: neue Leute treffen in Tanzschule, Turnverein und Kleintheater. Und auch die, die gegangen sind, um allein zu sein (in der Natur, versteht sich), sind umgeben von anderen Gleichgesinnten und -gekleideten, denen verschnupft ausgewichen wird am Trail, beim Waldlauf und am See beim Joggen, und doch wird taxiert, respektiert und gesehen, wer die anderen sind.

Auch beim Hobby gilt es, ernsthaft zu sein. So wie Sammler*innen sich entschieden haben, ihre Sammlung zu erweitern, und es oft für eine Umkehr zu spät ist (Comichefte kistenweise, eine Expertise eben), wird auch ein Hobby leider manchmal zur Kompetenz. Jemand wird Tangomeisterin der Stadt, aus Leidenschaft, jemand wird im Sportverein zum ehrenamtlichen Mitgliedervorstand gewählt. In einigen demokratischen Ländern ist auch Politiker*in kein Hauptberuf. Viele Kolleg*innen haben mehrere Jobs und einige davon waren mal Hobbys. Andere macht man sich aus getroffenen Lebensentscheidungen unmöglich.

Was ist ein Hobby? Eine Art Spiel? Ludwig kommt vorbei. Wittgenstein meint, es sei sinnvoller, Worte über ihren Gebrauch erfassen zu wollen, also in ihrer Rolle im Sprachspiel, das wir – im Kollektiv – spielen. Anstatt abstrakt zu definieren, was ein Spiel essenziell ist, hilft es oft, welche aufzuzählen, um das ganze Spektrum des Begriffs zu erkennen. Auch Widersprüche sind dann nebeneinander möglich. Bei Hobby lässt sich diese Bedeutung-als-Gebrauch-Hypothese auch anwenden: Hobbys macht man allein – lesen, spazieren, kochen, Auto fahren. Man macht sie zu zweit – Schach oder Tennis spielen, tanzen, spazieren, kochen, Auto fahren. Man macht sie in Gruppen – Fussball oder Theater spielen, reisen, spazieren, kochen, Auto fahren. Man macht sie bei Licht – wandern, segeln, lesen. Im Dunkeln – im Kino, in der Sauna, beim Sex. Man bewegt sich körperlich, sitzt ganz still, schwitzt, singt oder hüpft. Man freut sich drauf und ist stolz, es hinter sich gebracht zu haben. Es klingt gut, darüber zu sprechen, und nervt. Es macht mich aus und bringt nichts ein. Es gehört zu mir und ich habe es mir selbst ausgesucht.

Früher hatte ich ein Hobby, ich war als Jugendliche eine gute Skifahrerin, den Alpen nah. Dann zog ich in die Niederlande. Vielleicht sollte ich jetzt wieder damit anfangen, es schneit in den Schweizer Bergen.