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N°1/2025
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«Eine sehr, sehr gute Arbeit! Spannend! Mutig! Gaanz, gaaanz toll!»

Im Kunstbetrieb ist die rhetorische Gattung der Laudatio stets gefragt, echte, «harte» Kritik aber riskant geworden. Das Verhältnis von Lob und Kritik ist in der Kunstpublizistik nicht mehr ausgeglichen – es wird nur noch gelobt oder (tot-) geschwiegen. Der Publizist Christian Saehrendt über die Krise der Kunstkritik.

Ob im Katalogtext, in der Pressemitteilung der Galerie, bei der Eröffnungsrede im Museum oder bei einer Preisverleihung – gesprochen und geschrieben wird über zeitgenössische Kunst anscheinend nur noch in warmen, werbenden, lobenden Worten. In der Kunstszene herrscht ein regelrechtes Grundrauschen allseitiger Zustimmung und Ermutigung. Dieser Text stellt die These auf, dass das Verhältnis von Lob und Kritik heute nicht mehr ausgeglichen ist.Die dominierende rhetorische Gattung des Kunstbetriebs scheint die Laudatio zu sein. Ist objektive Kritik heute zu riskant? Oder einfach nur überflüssig? Obwohl Kritiker*innen in der Kunstszene von je her unbeliebt waren, spielten sie im 19. und 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle im Wertschöpfungsprozess des Kunstmarktes. Sie – in der grossen Mehrheit Männer, erst ab 1945 stieg der Frauenanteil merklich – vermochten es, durch ihre Kompetenz und ihre Sprechmacht Karrieren zu beschleunigen oder zu stoppen. Dabei vertraten sie nicht nur individuelle Positionen, sondern verkörperten oftmals die traditionelle Definition von «guter Kunst» auf der Basis ihres Connaisseurtums und der bewährten akademischen Regeln. Dabei muss man ihnen zugutehalten, dass sie mit einer harten und negativen Kritik nicht nur «zerstören» und herabsetzen wollten, sondern sich im Dienste einer Höherentwicklung der Kunst wähnten. Kritik diente in diesem Kontext der allgemeinen Anhebung des künstlerischen Niveaus und war somit konstruktiv, auch wenn sie sich auf einzelne Künstler*innenkarrieren destruktiv auswirken konnte.Heute hingegen ist «schlechte Kunst» offenbar ein Phantom bzw. ein Dämon, den man nicht heraufbeschwören darf. Das ist ein Problem für jede*n um Objektivität bemühten Kritiker*in. Zudem müssen sich die Kunstpublizist*innen heute mit dem Rollenwandel bzw. mit dem Bedeutungsverlust der Kulturkritik auseinandersetzen, vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen sowohl Kunst produzieren als auch darüber schreiben. Social Media ermöglichen es allen Usern, permanent ihre Fotos, Videos und Texte zu veröffentlichen. Eine Masse individueller Bildproduzent*innen ist anstelle der massenkulturellen Verbreitung einzelner starker Bilder und Texte getreten, wie sie noch während des 20. Jahrhunderts üblich war, weil einige wenige Medien die Informationen kanalisierten und als Gate Keeper fungierten. Damals hatten Kritikerpäpste und traditionelle Institutionen noch Autorität inne. Sie entschieden, was abbildungswürdig war, konnten die Wahrnehmung von Kunst, konnten das Rezeptionsverhalten der Öffentlichkeit synchronisieren. Noch vor 70 Jahren produzierten wenige Auserwählte Bilder und Texte für Millionen. Heute produzieren Millionen Texte und Bilder für wenige (manchmal nur für einen) und hoffen insgeheim doch, durch das Schneeballprinzip oder durch virales Marketing ein grosses Publikum zu erreichen.

Inflation des Lobes
Der Hauptgrund für die Inflation des Lobes liegt in der grossen Verunsicherung über den wahren Wert der Gegenwartskunst. Nichts ist konstant in der Kunstgeschichte und auf dem Kunstmarkt, doch die Abwertung von Kunst ist noch immer ein grosses Tabu – niemand spricht offen und gerne darüber. Vielleicht wird eine jederzeit mögliche Abwertung hochgelobter Kunst auch deshalb tabuisiert, weil sonst das Vertrauen in das symbolische Kapital Kunst, in die «Währung Kunst» insgesamt, erschüttert würde.Ein zweiter Grund für die überbordende Lobhudelei in der Kunstszene ist in der zeitgeistbedingten Allgegenwärtigkeit des Narzissmus zu finden. Wer heute bestimmte Künstler*innen oder deren Werke lobt, lobt nicht mehr – wie in früheren Epochen – Gott, die Schöpfung oder das (wiederum von Gott gesegnete) Kunstgenie, sondern sich selbst! Er lobt sich für seinen guten Geschmack, für seine Bildung, für die Zugehörigkeit zu einem angesehenen Milieu. Narzissmus findet man aber nicht nur beim Kunstpublikum, sondern auch bei den Künstler*innen selbst. Jeder Mensch hat ein vitales Bedürfnis nach Anerkennung. Sein «Anerkennungseinkommen» kann sich aus verschiedenen Quellen speisen – Familie, Freunde, Beruf, Ehrenämter, Hobbys, sexuelle Aktivitäten –, kann sich aber auch aus einer einzigen Tätigkeit oder Rolle ergeben. Viele Künstler*innen beziehen ihr Selbstwertgefühl ganz überwiegend aus ihrer Arbeit, und wenn der Erfolg ausbleibt, ist das Risiko einer tiefgehenden Kränkung besonders gross. In Zeiten sozialer Achtsamkeit und allseits erhöhter Empfindlichkeit möchte man diese Kränkung den Betroffenen möglichst ersparen.Der dritte Grund für die grosse Lobhudelei: Alle Kunstmarktplayer müssen heute gewiefte Netzwerker*innen sein, um Erfolg zu haben. Speziell Kritiker*innen müssen stets fürchten, den Zugang zu interessanten Quellen, zu den Informationshierarchien der Kunstmarktinsider zu verlieren, und halten sich deshalb zurück. Dies ist die informelle Selbstzensur im Kulturbetrieb. «Wenn wir Profis sozusagen privat ein Kunstwerk betrachten, ohne an unsere berufliche Verpflichtung zu denken, äussern wir oft ganz andere – und manchmal viel interessantere – Meinungen als im Dienst», verriet etwa Robert Cumming, der jahrelang als Kurator für die Tate Gallery und für Christie’s tätig gewesen war. Durch die allseitige Vernetzung der Kunstbetriebsplayer und durch häufig vorkommende Mehrfachfunktionen – manche sind Künstler und Kuratorinnen, Händler und Jurymitglieder, Museumsdirektorinnen und Gutachter in Personalunion – ist der ehrliche Schlagabtausch, ist die offene Kritik in Sachen künstlerischer Qualität eine Seltenheit geworden. Trotzdem ist echte Kunstkritik für alle unverzichtbar, die nach wie vor einen gewissen Qualitätsanspruch an die Kunst stellen.

Echte Kunstkritik ist unverzichtbar
Was ist eigentlich das Wesen der «echten» Kunstkritik, wodurch unterscheidet sich diese Textgattung von der Werkbeschreibung oder der Medienmitteilung? Die Werkbeschreibung dient als rein sachliche Informationsquelle für alle, die das Werk nicht selbst im Original sehen können. Sie kann aber auch als Seh- und Lesehilfe in der Ausstellung verwendet werden. Zur gleichen Textgattung gehören viele gesprochene Texte in der Kunstvermittlung, auf Audioguides oder die Begleittexte in der Ausstellungsarchitektur. Pressetexte erwecken mit ihren Fact Sheets den Eindruck, ebenfalls einen sachlichen Charakter zu haben, tatsächlich sollen sie aber werben und neugierig machen, formuliert werden sie oftmals mit einem visuell-ästhetischen und intellektuellen Anspruch, der dann in der Ausstellung kaum eingehalten werden kann, hier kommt nicht selten eine mit Floskeln und modischen intellektuellen Begriffen gespickte Schaumsprache zum Einsatz, nicht selten mit allerlei Stilblüten garniert.Kunstkritische Texte beschreiben nicht nur die Struktur, die Gestaltung, die Materialität und die technologische Machart eines Werks, sondern ordnen das Werk kunsthistorisch ein. Kritik an der Qualität der Werke kann allerdings nur üben, wer das Œuvre der beteiligten Künstler*innen kennt sowie vergleichbare Werke aus anderer Hand zurate ziehen kann. Echte Kunstkritik zielt auch auf die inhaltliche Aktualität und Relevanz der Werke. Hier kann wiederum nur kompetent kritisieren, wer die aktuellen philosophisch-ästhetischen Diskussionen und Positionen kennt, die das Kunstgeschehen prägen, den sogenannten Kunstdiskurs, und wer, besser noch, auch die Diskursgeschichte der letzten Jahre und Jahrzehnte rekapitulieren kann.Schliesslich fragt eine Kritik an kuratorischen Konzepten nach der Gesamtwirkung einer Ausstellung, den Inszenierungsmethoden und -absichten. Eine inhaltliche Kritik der in der Schau vertretenen Thesen kann dabei nur üben, wer ähnliche Ausstellungsformate kennt und aktuelle kuratorische Konzepte vergleicht, wer auf dem Stand des kunsttheoretischen Diskurses ist. So setzt fundierte Kunstkritik eine Menge Fachwissen und investierte Zeit voraus – eine Leistung, die nur wenige liefern können. Erst recht können dies keine überforderten und unter Zeitdruck stehenden Journalist*innen, die dann nicht selten die PR-Texte der Galerien und Museen wiederkäuen oder pauschal die Ausstellungen als Ausgehtipp hochjubeln. Die besten, genauesten und gefährlichsten Kritiker*innen sind die Konkurrent*innen aus der gleichen Branche, die Sachkenntnis und praktische Erfahrung aus eigener Anschauung und Tätigkeit mitbringen. Dennoch gilt es weithin als unfein und unpassend, wenn etwa Künstler*rinnen in den Medien die Werke ihrer Kolleg*innen kritisieren würden – das würde so aussehen, als ob man die Sprecherposition nutzt, um Konkurrent*innen abzuwerten.

Im Idealfall kommt die Kunstkritik also von unabhängigen Personen mit Fachkenntnis, die keine direkte kommerzielle Konkurrenz zu den Kritisierten darstellen und keine spezifischen Kunstmarktinteressen haben. Ob es solche Menschen auf diesem Planeten noch gibt?