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N°2/2024
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Dort draussen die Hungerspiele – hier drinnen das Paradies

Der Wettbewerb in der Kunstszene: Für manche ist er ein Element, das Kreativität und Innovation antreibt. Für andere ein konstanter Stressfaktor. Die Spannung ist besonders spürbar, wenn es um die Bewerbung an einer der Schweizer Kunsthochschulen geht.

Text, Befragung

studiert an der HKB Master Multimedia Communication & Publishing und ist neu Mitglied der Redaktion der HKB-Zeitung.

Jährlich wetteifern rund 1200 aufstrebende Kunstschaffende um einen der begehrten 406 Studienplätze an der Hochschule der Künste Bern. Besonders stark umkämpft sind dabei die Bachelorstudiengänge in Literarischem Schreiben, Musik, Theater und Visueller Kommunikation.

Wie erleben die Studierenden den Wettbewerb, während sie an der HKB studieren? Wie beeinflusst er ihre künstlerische Praxis und wie bereitet sie das Studium auf den kompetitiven Alltag nach der Ausbildung vor? Gespräche mit Studierenden verschiedener Bachelor- und Masterstudiengängen verschaffen einen Eindruck über die Erfahrung an der HKB.

Lilly Hartmann, BA Theater
In kaum einem Metier ist der Wettbewerb so fester Bestandteil wie im Schauspiel. Es beginnt bereits im Bewerbungsprozess: «Es gibt um die zwanzig deutschsprachige Schauspielschulen, und wenn man das wirklich will, bewirbt man sich direkt bei allen», sagt Lilly Hartmann (27). Sie ist in ihrem fünften Semester des BA Theater. «Auch im Studium vergleicht man sich permanent mit den anderen», sagt sie. Schauspieler*innen bewerben sich neben dem Studium immer wieder für Rollen im Theater, Film und Fernsehen. Es sei bereits vorgekommen, dass sich alle Studierenden in ihrem Semester auf dieselbe Rolle beworben haben, «und da haben wir alle gleichzeitig in den HKB-Räumen unsere Bewerbungsvideos aufgenommen. In dem Moment waren wir natürlich Konkurrent*innen», so Lilly.Sie wünscht sich, dass der Umgang mit diesem Druck im Studium noch mehr thematisiert wird. «Das ist ein permanenter psychischer und sozialer Stressfaktor, über den wir im Unterricht kaum sprechen», sagt sie. Um diesen konstanten Druck und die Vergleiche mit den anderen auszuhalten, setzt Lilly aber auf Empathie: «Für mich ist es überlebensnotwendig, mich für andere zu freuen und mich von ihrem Erfolg mitreissen zu lassen. Ich erinnere mich immer wieder daran, dass in diesem Beruf vieles auf Glück beruht.»

Giulia Demenga, BA Musik und Bewegung
«Ich habe von Anfang an eine willkommen heissende Stimmung zwischen den Studierenden erlebt», sagt Giulia Demenga (26). Sie studiert Musik und Bewegung im vierten Semester und verbringt fast all ihre Zeit mit ihren Kommiliton*innen. «Wir kommen alle aus unterschiedlichen Metiers und haben unterschiedliche Studienschwerpunkte. Von Anfang an gab es da viel Interesse aneinander.» Dem Wettbewerb gebe auch ihr Stundenplan wenig Beachtung, denn: «Im Pädagogikum lernen wir, Wettbewerb zwischen den Kindern bestmöglich zu vermieden. Es geht eher darum, die vorhandenen Fähig- und Fertigkeiten der Schüler*innen zu respektieren und sie dann individuell abzuholen und zu fördern.» Diesen Grundsatz versuchen die zukünftigen Lehrpersonen laut Giulia auch in ihrem Studienalltag.

Tamara Vizzardi, BA Fine Arts
Tamara Vizzardi (22) ist aus dem Tessin nach Bern gekommen, um den BA Fine Arts zu absolvieren. Bereits im Gymnasium erlebte sie den Wettbewerb: «Als ich am Kunstgymnasium war, habe ich hart gearbeitet und Deutsch und Französisch gelernt, um eines Tages einen Platz an einer Schweizer Kunsthochschule zu ergattern. Im Abschlussjahr wurde mit den anderen Schüler*innen verglichen und die Frage stand immer im Raum: Wer kann das Tessin verlassen?» Sie bezeichnet die HKB als «Happy Land» für Kunstschaffende. «Ich bewundere es, dass keine Noten gegeben werden. Es ist sehr schwierig, eine künstlerische Idee quantifizierend zu beurteilen. Aber viele Studierende vergessen dadurch, dass Künstler*in zu sein auch eine Arbeit ist», sagt sie.Für Tamara ist der Wettbewerb eine Möglichkeit, sich im Kontext anderer Arbeiten weiterzuentwickeln. «Wenn ich sehe, was andere für eine intensive Praxis haben, dann treibt mich das an. Diese Konfrontation im Alltag fehlt mir an der HKB.» Sie suche diesen Wettbewerb in Open Calls und an Festivals ausserhalb des Studiengangs.

 

Irene Hernandez, MA Musikpädagogik
«Was du aus dem Wettbewerb machst, hast du aber selbst in der Hand», sagt Irene Hernandez (25), Studentin im MA Musikpädagogik an der Trompete. «Im Studium arbeitest du viel im direkten Kontakt mit den Dozierenden, und die können einem Rat geben, wie mit der Konkurrenz umgehen.» In ihrem Studiengang werde viel in Einzelarbeit gearbeitet, «trotzdem siehst du die ganze Zeit, wie die anderen arbeiten. Manchmal setzt mich das unter Druck: Wenn ich Pause mache und sehe, wie jemand anderes probt, dann frage ich mich, ob ich nicht zu wenig tue.»

Tobias Lanz, Alumnus BA Sound Arts
Für Tobias Lanz (26) war der Wettbewerb etwas, dem er sich gänzlich entzog. «In unserem Jahrgang kam oft das Gefühl auf: Hier wird uns etwas aufgedrückt, gegen das wir uns wehren», sagt er. Vor anderthalb Jahren hat er den BA Sound Arts beendet. «Das Studium bietet die Plattform für den Wettbewerb, aber es ist dann halt entscheidend, ob du dich darauf einlässt oder nicht», sagt er. «Das, was uns in der Musikszene mehr Stress macht, ist das System rund um die Fördergelder. Dort wird eher bewertet, wie gut du ein Dossier zusammenstellen kannst, wie lang dein Lebenslauf ist und wie gut du dich an die Anforderungen anpassen kannst», sagt Tobias. Als Künstler empfindet er oft, dass Bewerbungsprozesse nicht immer die künstlerische Arbeit selbst berücksichtigen. «Genau da geht es aber an die Substanz, weil diese Fördergelder deine Existenz sichern können oder auch nicht.»

Der Wettbewerb gehört zur Kulturszene dazu. Die meisten befragten Studierenden beschrieben die Lernatmosphäre der HKB als angenehm frei von diesem, vielleicht sogar zu frei. Für manche ist es eine Möglichkeit, sich hundertprozentig auf ihr künstlerisches Schaffen zu konzentrieren. Für andere kreiert es jedoch auch eine Angst, dem Wettbewerb ausserhalb der Hochschule nicht gewachsen zu sein.