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N°2/2024
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Bleifrei

Sie sind zu viert und lieben coole Schriften: Das Kollektiv Bleifrei Type hat sein Atelier an der Weissensteinstrasse in Bern eingerichtet. Im Angebot stehen Schriftkreationen, die richtige Typen, also Charaktere sind.

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Kulturjournalistin in Bern

Rahel Marbet (29), Aaron Aebi (28), Florian Beyeler (26) und Matthieu Dillier (29) haben zusammen an der Hochschule der Künste Visuelle Kommunikation studiert. «Die Idee, uns selbstständig zu machen, hat sich während des Studiums ganz natürlich ergeben», so Matthieu. Die vier ehemaligen Studierenden sind auch privat befreundet. Alle haben während des Studiums das Modul «Typoclub» besucht und ihre Liebe zur Schriftgestaltung entdeckt. Im «Typoclub» konnte man einander seine Entwürfe zeigen und diese zur Diskussion stellen. Kann man mit neu entwickelten Schriften überhaupt Geld verdienen, sind diese nicht sowieso überall gratis verfügbar? «Lizenzen für Schriften sind ein komplexes Thema», sagt Florian. Es gebe aber so etwas wie ein Vertrauensverhältnis. Viele sogenannte Type Foundries stellten ihre Erzeugnisse Studierenden gratis zur Verfügung oder erteilten kleinen, im Kulturbereich angesiedelten Veranstaltern die Rechte. Florian ist einer, der besonders gerne experimentiert. So blickte er etwa durch ein Wasserglas auf eine Schrift und war von der Verzerrung, die sich ergab, fasziniert. «Die Schrift hat sich verändert.» Danach probierte er den Blick durch eine Vase mit rauer Oberfläche und brachte die Buchstaben regelrecht zum Flimmern.

Foto: Tim Rod

Flimmer lautet nun auch der Name seiner eigens entwickelten Schrift. Schreibt man etwa damit das Wort «Pssst», ist jeder «s» ein Individuum mit unterschiedlicher Ausfransung. «Kein Schriftbild ist je gleich», so Florian. Aaron hat hingegen mit Kommod eine Schrift entwickelt, die tatsächlich so etwas wie «Bequemlichkeit» ausstrahlt. Matthieu wiederum hat die geschmeidige Avance entwickelt und Rahel hat sich für ihre Schrift Lazlo mit Geschwindigkeit auseinandergesetzt, indem sie sich unter anderem von der Tierwelt – von Windhunden und Geparden – inspirieren liess.

Inspiration durch Spielzeug
Unterschiedliche Werdegänge kommen bei Bleifrei Type zusammen. Aarons Faszination für Schriftgestaltung erfolgte relativ spät. Faszinierend daran findet er die kleinen Spielräume, die man hat. Ein «e» müsse als «e» erkennbar bleiben und könne doch auf sehr unterschiedliche Art und Weise gestaltet werden. Kreativität und Präzision sind dem Gestalter gleichermassen wichtig. Nach der Matura besuchte er den gestalterischen Vorkurs, das sogenannte Propädeutikum, bei dem alle Richtungen noch gemeinsam unterrichtet werden, und entschied sich schliesslich für die Visuelle Kommunikation. Rahel hat vor ihrem Studium an der Hochschule der Künste zuerst eine Lehre als Bekleidungsgestalterin absolviert. Sie sieht im Nähen, im Gestalten mit Textilien, Parallelen zu ihrer jetzigen Tätigkeit. Es seien die Vorgaben, die sich ähnelten. «Man startet mit nichts und schafft etwas Neues.» Das Handwerkliche spiele eine wichtige Rolle. «Du gibst einer Sache eine Form.» Florian hat vor seinem Studium eine Lehre als Mediamatiker absolviert. Der Trendberuf erfordert Kenntnisse im Produzieren und Verwenden von Multimedia. Wissen, das Florian nun auch als Selbstständiger nutzen kann. Für seine Bachelorarbeit in der Visuellen Kommunikation liess er sich unter anderem von Spielzeug aus der eigenen Kindheit inspirieren. Er erarbeitete ein Schriftkonzept, für welches er unter anderem Bauklötze als Stempel verwendete. In der daraus entwickelten Ausstellung konnten die Besucher*innen selbst Hand anlegen, Florian liess sie nach vordefinierten Regeln stempeln. Auch Matthieu hat einen Erstberuf. Er absolvierte vor dem Studium eine Lehre als Hochbauzeichner. Auch er entdeckte im Vorkurs sein Flair für Typografie. Avance ist die erste von ihm entwickelte Schrift. Sie entstand in mehreren Etappen, wobei Matthieu dasselbe Zeichen von sechs verschiedenen Groteskschriften überlagerte und mithilfe eines Leuchtpultes den gemeinsamen Nenner herausschälte, wie er erklärt. Das «a», welches normalerweise eine dicke Schulter (oberer Bogen) aufweist, verjüngt sich nun unkonventionell und habe so seinen eigenen Ausdruck gefunden.In den Räumlichkeiten von Bleifrei hängen zahlreiche Druck-Erzeugnisse wie Poster und Flyer. Alle Beteiligten verfügen über ihre eigene «Tischinsel», wo individuell an neuen Typografien getüftelt werden kann. Gelauncht haben die vier ihre Type Foundry im September 2023. Noch müssen sie sich mit kleineren Brotjobs über Wasser halten.

Vorfreude auf Schriften
Das erklärte Ziel ist es, bald von den Aufträgen für Bleifrei leben zu können. Einen ersten gemeinsamen Werbeauftritt gibt es bereits in Plakatform. Dabei spielt ein Benzinkanister mit der Bedeutung des Wortes «bleifrei», dem man gemeinhin an Tankstellen begegnet, eine Rolle. «Achtung! Hochentzündlich», warnt eine Etikette auf dem Kanister. «Schriften sind sowohl digital als auch für den Print-Bereich anwendbar. «Sich von Funken, offenen Flammen und anderen Zündquellen fernhalten. Nicht rauchen», warnt uns der Text. Die ersten selbst entwickelten Schriften werben für sich selbst jeweils mit einem passenden Text, zum jeweiligen Charakter der Schrift. «Really!?!? Mamma mia, this is ridiculous» kommt in BT Flimmer daher. Die spielerisch angenehme Schrift BT Kommod lässt verlauten: «Go for playful Typesetting!» Während BT Avance ihre Wirkung in Form eines Gedichtes entfaltet, das von spielenden Kindern und funkelnden Sternen handelt. BT Lazlo wiederum kündigt ein Rennen an, schliesslich ist diese Schrift von Geschwindigkeit inspiriert. Das bei manchen Schrifttypen angebrachte «Coming soon» – normalerweise bei Neulancierungen von Filmen im Einsatz – weckt hier Vorfreude auf Schriften, die bald nutzbar sein werden.