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N°2/2022
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Benjamin Sunarjo

Der Performance-Künstler, Umweltwissenschaftler und Tänzer Benjamin Sunarjo beschäftigt sich in seinen Stücken mit dem Thema Identität und lenkt mit feinen Interaktionen den Blick auf das Alltägliche.

Text

studierte Kunstgeschichte, Journalismus und deutsche Literatur in Freiburg und Paris. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen in Bern.

Wähle einen Ort, der deine Aufmerksamkeit erregt – so lautet die erste Aufforderung einer Gebrauchsanweisung zur Performance «Three studies for porous structures» (2018) des Künstlers Benjamin Sunarjo. Auf die Muster und Strukturen dieses Ortes soll man schliesslich eingehen, seine eigene Aktion gestalten. Diese Performance im öffentlichen Raum hat Sunarjo während seiner Masterarbeit im Studiengang «Contemporary Arts Practice» an der HKB entwickelt. Er selbst performte auf dem Bahnhofplatz in Biel, wo er mit einer minimalen Geste für Irritation sorgte: Er ging langsam rückwärts. «Manche Leute kamen und schauten, andere nahmen mich gar nicht wahr.»

Foto: Janosch Abel

Es ist der Blick auf das Alltägliche, der Sunarjo zu seinen Choreografien inspiriert. Vor seinem Studium an der HKB hat er in London an der Trinity Laban Dance Faculty Tanz studiert. Doch es war nicht ganz das Richtige für ihn. «Die Abstraktion und das Denken haben mir gefehlt.» Als klassischer Tänzer bewege man sich in einem klar festgelegten Framing, bestehend aus Bühne und Zuschauenden. «Mich interessiert es jedoch, die Struktur und das Medium selbst zu hinterfragen.» Ausserdem sei er immer der Schlechteste in der Ballettklasse gewesen, gibt er lachend zu. Als Performer treiben ihn Fragen der Identität um. «Meine Stücke haben immer etwas Autobiografisches.» Sunarjo, dessen Vater Indonesier und dessen Mutter Schweizerin ist, ist in Westpapua aufgewachsen. Sein Vater, ein Linguist, betrieb auf der Insel, auf der es über 800 Sprachen gibt, Feldforschung. «Ich wuchs dreisprachig – mit Englisch, Deutsch und Indonesisch – und mit drei Geschwistern auf.»Als 18-Jähriger kehrte Sunarjo in die Schweiz zurück und entschied sich für ein Studium der Umweltwissenschaften an der ETH Zürich. Nachdem er dieses abgeschlossen hatte, arbeitete er während eines Jahres als Wissenschaftler in einem Beratungsbüro. «Es war nicht mein Ding, die Interaktion mit Menschen hat mir gefehlt», so der Performer, der es nicht bereut, sich für die Kunst entschieden zu haben. «Du kannst dabei gross denken.» Umweltthemen liegen ihm allerdings immer noch am Herzen. «Kunst kann neue Vorstellungen des Zusammenlebens entwickeln», ist er überzeugt und verfolgt mit Spannung die neuen Diskurse rund um Posthumanismus oder philosophische Ansätze, die danach fragen, ob nicht nur Tiere, sondern auch Berge Rechte haben sollte. Die Kultur Indonesiens hat ihn zu einer besonderen Performance inspiriert. So hat Sunarjo ein Stück entwickelt, bei dem er sich von traditionellen javanischen Tänzen inspirieren liess. Die Stellung der Hände und Finger spiele dabei eine grosse Rolle. «Ich habe das traditionelle Vokabular aufgegriffen und etwas Neues daraus gemacht», so der 38-Jährige, der in Indonesien während längerer Aufenthalte Kontakte zur dortigen Kunst- und Tanzszene geknüpft hat, sich aber ein Leben dort nicht mehr vorstellen kann.

Der Grösste von allen
Sich nicht nur auf ein Medium zu beschränken, ist Sunarjo wichtig. Als Vorbild in diesem Sinne bezeichnet er den US-amerikanischen experimentellen Tänzer Steve Paxton, der in den Sechzigerjahren eine Form von Kunstsport entwickelte und stets auch mit bildenden Künstler*innen zusammenarbeitete. Berührungsängste mit anderen Bereichen, die man nicht unmittelbar mit Tanz in Verbindung bringt, kennt Sunarjo nicht. So widmete er mit «A kick in the teeth 2» (2020) dem Basketballspieler Earl Manigault (1944–1998) eine Performance, wobei er Originaltonaufnahmen von Interviews und Medienberichten zusammenschnitt und als Tonkulisse verwendete, während er das Ballspiel des Ausnahmetalents in Slow Motion nachspielte. Manigault trug den Spitznamen «The Goat», was für «the greatest of all times» – den Grössten aller Zeiten – steht. Tatsächlich scheiterte der Spieler aufgrund seiner Drogensucht und schaffte es nie in die National Basketball Association (NBA). Vielmehr musste er eine Haftstrafe absitzen. Wieder auf freiem Fuss, engagierte er sich als Sozialarbeiter in Harlem, um Jugendliche vor seinem Schicksal zu bewahren, bevor er mit nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Basketball, auf der Strasse gespielt, sei eine gute Art der Integration, so Sunarjo. «Mein Bruder ist Präsident des Bieler Basketballvereins, wo die unterschiedlichsten Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen», so der Tänzer, der diesen Sport für sich bereits als Jugendlicher in Indonesien entdeckte.

Selfies machen
Das Soziale und Partizipative nutzt Sunarjo auch in einem Kulturvermittlungsprojekt in Nidau, das er gemeinsam mit einem Fotografen leitet. Die 14-jährigen Schüler*innen werden angeleitet, Selfies von sich zu machen. «Wir zeigen ihnen technische Kniffe, fordern sie aber auch auf, sich von den Normen, die auf Social Media herrschen, zu lösen.» Dazu ziehen die beiden auch Porträts aus der Kunstgeschichte bei, die den Teilnehmenden als Inspiration bei der Selbstinszenierung dienen sollen. Kunstvermittelnd wirkt Sunarjo auch in seiner Rolle als diesjähriger Direktor des Festivals ACT, das es bereits seit 20 Jahren gibt. Während dreier Tage fungiert der in verschiedenen Städten der Schweiz stattfindende Anlass als Plattform für Studierende von Schweizer Kunsthochschulen, um performative Projekte zu realisieren. «Wer performen will, kann mitmachen», so Sunarjo. In seiner Wahlheimat Biel gefallen ihm die Zweisprachigkeit und die Offenheit. «Die Stadt ist farbiger als Bern.» So sehe er hier manchmal Szenen, die für die Schweiz eher untypisch seien. Zum Beispiel einen Typen im Pyjama mit einem Flachbildschirm unter dem Arm, der über den Zentralplatz schlurft. Was für eine Performance!