Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
N°3/2021
i

Belia Winnewisser

Belia Winnewisser studierte an der HKB Musik und Medienkunst und machte den Master in Contemporary Arts Practice. Seither hat sie als Elektronik-Musikerin zwei Soloalben veröffentlicht. Die Luzernerin ist keine Abstraktpuristin, sondern hat ein grosses Herz für Pop. 

Bevor Belia Winnewisser ihr Studium an der HKB begann, musizierte sie in ersten Bands und jobbte als Gastromitarbeiterin im Jugendkulturhaus Treibhaus in Luzern. Nach einem Auftritt mit dem Musiker und Produzenten Tom Kuhn im Kulturzentrum Südpol fragte sie eine Kollegin, ob sie schon vom Studiengang Musik und Medienkunst an der HKB gehört habe, um anzufügen: «Du würdest dort sehr gut reinpassen.» Belia kannte die Ausbildung nicht. Aber sie schrieb sich für einen Abendkurs ein, um den Studiengang kennenzulernen.  Die Luzernerin, die mit ihren zeichnerischen und musikalischen Talenten schon länger hin- und hergerissen war, ob sie sich nun ausbildungsmässig für Kunst oder für Musik entscheiden sollte, war von diesem Schnuppereinstieg begeistert. Sie absolvierte erfolgreich die Aufnahmeprüfung für die HKB und begann 2012 mit dem Studium. «Ich musste mich nicht mehr zwischen Kunst und Musik entscheiden, sondern konnte meine Kreativität frei einfliessen lassen.»  An das Bachelorstudium schloss sie den Master Contemporary Arts Practice an, um noch vertiefter und umfassender ihre Vorlieben entdecken zu können. «Am Anfang wollte ich alles machen. Vieles sprach mich an, die Lust zur Horizonterweiterung war gross. Aber dann begann ich mich ganz auf die elektronische Musik zu fokussieren.» Das wurde ihr während des Erasmus-Austauschsemesters an der Universität Bergen in Norwegen klar. «Dort hatte ich weder eine Band noch einen Proberaum. Ich wurde auf mich und den Computer zurückgeworfen.» Während des Masterstudiums entstand ihr erstes Album Radikale Akzeptanz (Präsens Editionen), auf dem sie erstmals ihr Konglomerat aus abstrakter Elektronik und popaffinen Einflüssen vorstellte. Prägend ist auch die Stimme, die oft in entrückten Bögen eine sakral klingende Tonspur zieht. Jahrelang sang Belia Winnewisser in der Mädchenkantorei Luzern. Der chorale Gesang im Hallraum einer Kirche brannte sich bei ihr ein. Zum Gesamteindruck des Albums gehören die träumerisch-melancholischen Stimmungen oder das Oszillieren flächiger Texturen im Kontrast zu unregelmässigen und von Sound-details gezeichneten Beats und rhythmischen Akzenten.  Was ist ihr vom Studium geblieben, was möchte sie nicht missen? «Ich habe gelernt, differenziert zu hören», hält sie als Erstes fest. «Ich lernte auch, über Musik zu reden, und bekam allgemein ein Verständnis für die Musik im Gesamten. Davon habe ich am meisten profitiert.» Leider blieb dann doch ein grosser Wermutstropfen, der ihr den Abgang von der HKB ziemlich vermieste. Ihr Debütalbum war gleichzeitig ihr Masterprojekt. Bei der Präsentation wurde sie von einem Experten lieblos abgekanzelt. «Was du da vorlegst, bringt niemandem etwas, auch dir selbst nicht», lautete das Verdikt. Man kann da nur vermuten, dass sich im hehren Kunststudium zu viel Pop nur schlecht mit einem toxischen Avantgardeverständnis verträgt. 

Von SRF zur Seifenfabrik
Nach ihrem Debütalbum machte Belia ein dreimonatiges Praktikum in der Abteilung Audio-Layout bei Radio SRF. Dort arbeitete sie ganz praktisch-kreativ an Jingles und andern musikalischen Designs. «Das hat mir sehr gefallen, aber ich wusste auch, dass ich nicht 100 Prozent so weiterfunktionieren wollte. Mir fehlte schlicht die Zeit, meine eigene kreative Arbeit weiterzutreiben.» Durch einen Kollegen fand sie einen neuen Job in einer Seifenfabrik. Dort arbeitet sie nun schon seit drei Jahren im Versand, zwei Tage die Woche. In der restlichen Zeit verfolgt sie ihre eigenen Projekte in ihrem Atelier in Zürich, wo sie seit zwei Jahren lebt.  Ihr Atelier befindet sich in einer grossen Wohnung, wo noch andere visuell und grafisch tätige Leute an ihren Produktionen arbeiten. Belia konzentriert sich weiterhin auf die Musik. Sie ist auch eine exzellente DJ. Erst in der Coronazeit realisierte sie, wie ihr die Live-Gigs fehlten. Sie grinst. «Vorher habe ich es mir nie eingestanden, dass mir die Auftritte wichtig sind, weil sie mir eben auch eine Bestätigung und Wertschätzung geben.» Langsam bekommt sie wieder Lust, mit anderen Musiker*innen und Kunstschaffenden zu arbeiten.  Früher hatte sie in der Band Evje gespielt, dann wurde sie Mitglied von Silver Firs, die in verschiedenen Besetzungen immer mal wieder in Erscheinung treten. Mit ihrem HKB-Studienkollegen Rolf Laureijs realisierte sie das Future R&B-Duo «α=f/m», ein explizites und reizvolles Popprojekt, das auch bei SRF3 auf der Playlist war. Seit ihrem Studium hat sich Belia auf ihre Solotätigkeit konzentriert. Auch ihr zweites Album Soda, das diesen Frühling erschienen ist, hat sie alleine eingespielt. 

Die Kombination stimmt
Irgendwo zwischen modernem Popsong und abstrakter Elektronik ist Soda trotzdem nicht der übliche Elektropop, der sich stromlinienförmig knackig behaupten muss. Die Stücke sind abstrakter und unvorhersehbarer, orientieren sich aber klar an einfachen Melodielinien und emotionalen Stimmungen. Auch die choralen Stimmen und ein gelegentliches Pathos bekommen ihren Platz. Einige Teile von Soda sind in einem abgelegenen Haus in Norwegen entstanden, wo es die Musikerin ab und zu hinzieht. «Das ist wie eine zweite Heimat für mich. Ein Energieort.»  Belia Winnewisser ist zufrieden, wie es gerade läuft. Die Kombination von all dem, was sie muss und was sie interessiert, ist ziemlich perfekt. Sie hat in der Seifenfabrik mit wenig zeitlichem Aufwand ein Grundeinkommen und ein gutes Arbeitsumfeld. Und sie hat Zeit und Raum für sich, wo sie ihre Kreativität fliessen lassen kann, wie es ihr behagt. «Das erste Mal fühle ich mich an einem Punkt im Leben, wo alles gut aufgeht. Es stimmt gerade recht gut für mich.»