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N°3/2023
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Aus dem Emmental via Tessin nach Biel

Die Künstlerin Vera Trachsel hat 2015 an der HKB ihren Master abgeschlossen. Ein Besuch in ihrem Atelier in Biel, wo sie seit fast zehn Jahren lebt.

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Kulturjournalistin in Bern

Die Künstlerin Vera Trachsel interessiert sich für das Zusammenspiel unterschiedlichster, meist einfacher Materialien. So findet man in ihrem Bieler Atelier eine Versuchsanordnung aus Textilien, Papier und Keramik. Die teils fertigen, teils unfertigen Arbeiten wirken fragil und zeugen von einem eigensinnigen Umgang mit Farbe und Material. Ein mit Stoff bespanntes und mit Schaumstoff gefülltes Brett wird durch die aufgemalte Maserung zu einem Stück Holz, ein geschecktes Keramikpferd mit roten Augen und blauer Mähne steht auf dem Tisch.
Trachsel ist ganz frisch eingezogen in diese Ateliergemeinschaft in der Feldeckstrasse, wo auch Künstler*innen wie Gil Pellaton oder Leolie Greet arbeiten. Die Stadt hatte den Platz ausgeschrieben und Trachsel hat sich erfolgreich beworben. Seit 2014 lebt sie schon in der Uhrenstadt. Sie habe Biel durch das Kunstkollektiv Haus am Gern, bestehend aus Rudolf Steiner und Barbara Meyer Cesta, kennengelernt. «Ich habe auf die Katzen der beiden aufgepasst.» Wer ihr Werk kennt, weiss, dass eben diese Katzen in manchen Werken der Kunstschaffenden auftauchen oder in irgendeiner Form mitwirken.

Gymnastik der Formen
An Biel gefällt Trachsel die Zweisprachigkeit. «Wenn es zwei Sprachen gibt, dann darf es auch drei oder vier Sprachen geben», kommentiert sie die gelebte Toleranz. Sie selbst ist 1988 geboren und im Emmental und im Tessin aufgewachsen. Zu einem Master in Fine Arts an der HKB kam sie auf Umwegen. «Ich habe zuerst Vermittlung studiert, aber gemerkt, dass mir die Vertiefung in der eigenen Praxis gefehlt hat.» In Fine Arts hat sie schliesslich 2015 ihre Masterarbeit mit dem Titel Zwei Freunde schauen zu abgeschlossen. Trachsel hat mit Malerei experimentiert und mit Papierarbeiten eine «Gymnastik der Formen» entwickelt. «In fast allen meinen Arbeiten gibt es eine Bewegung drin», so die Künstlerin, und «mich interessiert das Sichtbarmachen eines Prozesses.» Heidi Bucher, Eva Hesse oder Claes Oldenburg kommen ihr in den Sinn auf die Frage, wer ihre Ästhetik geprägt habe. Die auf den ersten Blick unterschiedlichen Künstler*innen arbeiten mit unprätentiösen Materialien, lieben das Improvisierte und Dinge in einen neuen Kontext zu stellen. Inspiriert hatte Trachsel auch ihr Nebenjob auf der Kinderbaustelle in Biel, wo Kinder mit echtem Werkzeug bauen dürfen. Trachsel war als Begleitperson angestellt. «Es war ein Traumjob.» Aktuell arbeitet Trachsel im Service in der Villa Lindenegg, einem kleinen und feinen Restaurant und Hotel, das von einer ihrer Ex-Mitbewohnerinnen geführt wird. Eine gute Balance, wie sie findet.

Ko-Kuratorin im Espace libre
Trachsel schätzt Kooperationen. Als Kuratorin führt sie gemeinsam mit der Performance- und Installationskünstlerin Beth Dillon den Bieler Off-Space Espace Libre Visarte Biel/Bienne. Dillon hat sie in einem anderen wichtigen Off-Space von Biel – dem Lokal-int – kennengelernt. Aktuell zeigen die beiden mit der Ausstellung Colocus verschiedene Künstler*innen, die sich mit dem Thema Zusammenleben auseinandersetzen. «Wir sind davon ausgegangen, dass die Werke, die wir präsentieren, miteinander in einem Raum leben und miteinander interagieren», so Trachsel. Robin Mettler und Benjamin Gaschen etwa stellen steinige Figuren aus, die sich durch den unterlegten Soundtrack in einem Dialog zu befinden scheinen. Auch der Aussenraum vor dem Kunsthaus Pasquart wurde für die Ausstellung mit einbezogen. Biel sei ein familiärer Ort, findet Trachsel. Ins Lokal-int gehe sie gerne Ausstellungen schauen, in der Cachette gehe sie vorzugsweise an Konzerte und ins Gärbi gehe sie regelmässig in den Ausgang oder essen.

Vögel aus Ton
Auch mit der Künstlerin Ernestyna Orlowska, die ebenfalls an der HKB Fine Arts und Expanded Theater studiert hat, arbeitet Trachsel zusammen. Gemeinsam gestalten die beiden ein Bühnenbild für das Stück Chunky, was sich unter anderem mit «klobig» übersetzen lässt. In ihrer eigenen freien Arbeit versucht Trachsel seit einiger Zeit, sich dem Thema Landschaft anzunähern. «Es geht mir um Landschaften, die sich durch menschliche Gesten, durch natürliche oder unerklärliche Phänomene verändern.» Für ihre letzte Ausstellung in Locarno entwickelte die Künstlerin eine Art Vokabular von Orten – Trockenmauer, Totholzhaufen oder Höhle sind Beispiele daraus. Auch die Keramik spielt neuerdings eine Rolle in ihrem Schaffen. Das Material Ton wird gerade von zahlreichen Kunstschaffenden verwendet. Warum dieser Hype? Trachsel glaubt, es liege an der grossen Freiheit, die dieses Material gewähre. «Ton kann alles werden.» Sie habe auch einen Kontrast gesucht zu all dem Weichen und Fragilen in ihrer bisherigen Arbeit.Für das Kunstprojekt Mât in Neuchâtel, bei welchem Künstler*innen jeweils ein Werk auf einem Fahnenmast hissen und präsentieren, hat Trachsel einen Baum, einen arbre marcheur gestaltet. Während des Fahnenhissens liess sie einen Sound aus selbst gestalteten Tonvögeln, die zwei Noten erzeugen können, erklingen. Auch bei einem interaktiven Projekt setzte Trachsel auf Keramik. Sie liess Teilnehmende Geschirr, das wie aus Holz gefertigt aussehen sollte, formen und später daraus essen. Sie selbst gestaltete eifrig mit, etwa einen Löffel, der wie aus Holz geschnitzt aussieht. Ein märchenhaftes Objekt, das wirkt wie aus der Geschirrschublade eines Kobolds.