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N°4/2021
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Ariane Koch

Für ihren Erstlingsroman Die Aufdrängung hat Ariane Koch den aspekte-Literaturpreis 2021 erhalten. In ihrem Debüt geht es um Gastfreundschaft und unseren Umgang mit dem Fremden. Aktuell schreibt sie über Spalten und Spaltung und die Forschung darüber.  

«Dort, wo der Gast hergekommen ist, ist er jetzt nicht mehr. Dort, wo er war, ist jetzt nur noch ein Nichtgast.» Dieser etwas rätselhafte Satz stammt aus dem Roman Die Aufdrängung der 1988 in Basel geborenen Autorin Ariane Koch. Für ihren Erstling hat Koch den mit 10 000 Euro dotierten aspekte-Literaturpreis 2021 für das beste deutschsprachige Debüt erhalten. Auch seitens der Presse erhielt ihr Buch viel Lob. Gar mit Kafkas Das Schloss wurde der Roman verglichen. Das Setting ist tatsächlich ein wenig kafkaesk, sprich sonderbar. Eine Frau fristet ihr Dasein in einem grossen Haus neben einem Berg. Als ein Gast auftaucht, wird er für sie zur Projektionsfläche: Er dient ihr abwechselnd als Sündenbock, Eindringling und Leibeigener. Als «eine verkappte Liebesgeschichte» beschreibt Koch ihr Buch. Es stelle sich die Frage, wer sich hier wem aufdränge. Und natürlich kann man die beiden auch als Metapher verstehen, für eine Gesellschaft und ihren Umgang mit dem Fremden. 

Verlag im Rücken
Mit der Icherzählerin möchte die Autorin nicht verwechselt werden. «Sie ist ziemlich böse.» Doch mit Sicherheit trage jeder gewisse Anteile von dieser Figur in sich. Aktuell wohnt Koch, die an der Hochschule der Künste in Bern 2019 mit dem Master of Contemporary Arts Practice mit der Vertiefung Literarisches Schreiben abgeschlossen hat, in Basel und Berlin. Wenn sie nicht gerade auf Lesetour ist, schreibt sie an ihrem zweiten Buch. Ab und zu ziehe sie sich dafür in die Ferienwohnung ihrer Eltern im Berner Oberland zurück. «Was für ein Autorenklischee», lacht sie. Das zweite Buch gilt oft als schwierig, besonders wenn man mit dem ersten Erfolg hatte. Wie geht sie damit um? «Klar verspüre ich Druck, aber ich bin mir auch bewusst, dass meine Ausgangslage jetzt viel einfacher ist als bei meinem ersten Roman.» Sie wisse den Suhrkamp Verlag hinter sich, müsse keinen Eingang in den Literaturbetrieb mehr finden und verfüge bereits über eine Leserschaft. Ihr Mentor war der Autor Heinz Helle, der selbst im Suhrkamp publiziert und Koch von Anfang an unterstützte. «Es ist ein Match», so Koch über die Beziehung zu ihrem Förderer. Der Arbeitstitel für ihren neuen Roman lautet Die grosse Spaltenforscherin. Tatsächlich geht es um eine Frau, die Spalten untersucht. Seit Corona sprechen alle von einer Spaltung in der Gesellschaft. Doch Koch glaubt, das Thema liege schon länger in der Luft. Sie denke zum Beispiel an den Brexit oder andere Bewegungen, die sich abspalten wollten. Tatsächliche Spalten gebe es auch in der Bergwelt, in die sie sich zum Schreiben zurückgezogen habe. «Gut möglich, dass mich das inspirierte.» Neue Wortschöpfungen oder das Anderskonnotieren von Begriffen ist typisch für Kochs Stil. Dabei lässt sie sich auch von Fremdsprachen inspirieren und schreibt etwa über «Menschen ohne fixes Domizil», abgeleitet von «sans domicile fixe», dem Begriff für Obdachlose im Französischen. 

Auf die Frage, was typisch für ihre Schriftsteller*innen-Generation sei, denkt sie kurz nach. «Die klassische Handlung wird zunehmend hinterfragt», glaubt sie. Sie denke dabei etwa an Dorothee Elmiger, jene Schweizer Schriftstellerin, die ihr letztes Buch ganz bewusst nicht als Roman bezeichnet hat. «Das Format des Romans wird zunehmend gesprengt.» Eigene Identität und Individualität stünden häufig im Fokus, wobei dies politisches Engagement nicht ausschliesse.  Ihre Ausbildung im Rahmen des HKB Master of Contemporary Arts Practice CAP hat Koch sehr geschätzt. «Es gab ein grosses Angebot, aus dem man sich sehr individuell bedienen konnte.» Sie hatte bereits ihr Buchprojekt am Laufen und fand an der HKB ein Gefäss, um sich darauf zu konzentrieren, wie sie ausführt. Auch die Interdisziplinarität kam Koch, die auch bildende Kunst studiert hat, entgegen. Sie selbst ist Teil des Theaterkollektivs «GKW» und hat damit diverse Stücke und Performances realisiert. Während des ersten Lockdowns brachte das Kollektiv eine Hörstücksammlung heraus, die Drei neue Bunker heisst. «Fragen bezüglich Schutz und Abschottung haben uns fasziniert», so Koch. Das kollektive Schreiben verlange nach gegenseitigem Vertrauen. Mit der Berner Künstlerin Sarina Scheidegger bildet sie ein Duo, das Texte beispielsweise für die Performance Rosa & Louise gemeinsam verfasst. «Wir schieben uns die Texte hin und her.» Dabei gäbe es ungeschriebene Gesetze. «Man löscht nichts und versucht, mit Respekt auf das Geschriebene des Gegenübers zu reagieren.» 

 Schreiben seit Kindheit
Als «feministisches Manifest in dialogischer Form» bezeichnen die beiden die Performance, die sie von verschiedenen Schauspieler*innen, an den unterschiedlichsten Orten aufführen liessen. In Ägypten wurde das Stück sogar auf Arabisch gespielt. «Der feministische Diskurs verändert sich ständig», so Koch. Seit das Stück 2013 erstmals aufgeführt wurde, sei viel passiert. Feminismus sei mittlerweile Teil der Popkultur. «Daran ist nichts falsch. Doch wie schlachtet der Kapitalismus nun die Bewegung aus?» Solche und andere Fragen treiben Koch und ihre Mitstreiterin um. Geschrieben habe sie schon als Kind. «Ich schreibe, seit ich schreiben kann.» Mit zwölf Jahren verfasste sie den Roman Ostertränen. Bis heute gibt es nur ein Exemplar davon. «Ich habe das Buch ausgedruckt und gebunden.» Ein Liebesdrama habe sie geschrieben. Auch eine Kurzgeschichte, die sie als Siebenjährige schrieb, ist ihr in Erinnerung geblieben. «Ich nahm die Perspektive einer Pistole ein.» Das Absurde ziehe sich durch ihr ganzes Werk. «Denn, im Absurden steckt auch Humor. Und das ist mir wichtig.»