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N°3/2023
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Alles für die Katz

Der Berner Künstler Tim Kummer weilt zur Residenz in Biel – und hütet eine Katze. Ein Kurzbericht.

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Ich komme gerade aus der Einkaufsmeile zurück, dem Revier von Tulipe. Tulipe ist der Kater, den es quasi dazu gab zum Zimmer in der Altstadt, das ich nun vor ein paar Wochen bezogen habe. Zur Untermiete für ein paar Monate. Jeanne, die vorher hier gewohnt hat, ist in Paris in einer Residenz. Die Wohnung, die ich mir mit Julie teile, ist Teil eines Atelierstipendiums, welches von der Stadt vergeben wird. Es gibt ein riesiges, nachträglich eingebautes Oberlicht im Salon. Ideal fürs Malen oder für anderes künstlerisches Schaffen. Julie, ausgebildete Jazzsängerin, nutzt die Abwesenheit von Leinwänden und Ölpaletten für zahlreiche Synthies, Loop-Geräte und Verstärker. Ich selber habe mir ein kleines Keramikatelier eingerichtet.Aber zurück zum Vierbeiner. Tagsüber ist Tulipe draussen, meist in der Innenstadt, und tut Sachen, die Katzen tun. Abends wird er eingesammelt, zum Fressen und Kuscheln. Er trägt ein Air-Tag um den Hals, ein GPS-Ortungschip. Mit dem Handy in der Hand stiefelt man durch die Strassen und läuft in die Richtung des rot leuchtenden Herz-Emojis, welches auf dem Bildschirm seinen Standort signalisiert. Dort angekommen, hofft man die schwarz getigerte Katze direkt anzutreffen. Wenn nicht, startet der zweite Teil der digitalisierten Büsisuche. Von Jeanne auf eine Sprachnachricht eingespielte Lockgeräusche werden mit maximalem Pegel vom Handylautsprecher in Richtung der Büsche und Hauseingänge gespielt. Richtig unangenehm wird es, wenn sich noch Leute auf der Strasse tummeln und man verzweifelt mit den Katzen-Goodies winkt, damit der Catcall nicht missverstanden wird.Im besten Fall kommt nun aber Tulipe anspaziert, Geschwindigkeit variabel, je nach Erfolg der mittäglichen Mäusejagd. Der M-Budget-Katzen-Rind-Stick wird aus seiner Verpackung entfernt und ein Stück davon mit einem genüsslichen Schnurren einverleibt. Den Rücken zugewandt, setzt man sich einige Meter entfernt vom Kater in die Hocke und platziert den Rest der Vorspeise auf der rechten Schulter. Mit ausgefahrenen Krallen erklimmt er nun den Rücken, während das zweibeinige Transportvehikel aufsteht und beginnt, sich Richtung Nassfutter zu bewegen. Das geht auch mit Velo, da die gekrümmte Haltung auf dem Rennrad das Ganze für alle Beteiligten sogar bequemer macht.Bis jetzt habe ich nur in Städten gewohnt, die mit «B» beginnen. Bei Bern aufgewachsen, hier den Vorkurs gemacht und in Basel fürs Studium. Alles Städte, bei denen Leute, die nicht dort wohnen, immer mehr oder weniger gleich reagieren, wenn man davon erzählt. «Ah ja, schön, das ist noch gut dort, hab’ ich gehört.» Die Uhrmacherwiege wird am meisten romantisiert. Bilingualismus, «Multikulti» oder nach Walser: «die kleinste Metropole der Welt.» Und natürlich fühle ich mich hier mit meiner Mittelschichtsozialisation und Kulturaffinität ziemlich wohl. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es mich wieder an den See zog, auch wenn nur für einen Sommerjob.Was hält wohl Tulipe vom Lokalpatriotismus? Das bsbsbsbs ist interlingual, sanfte Ohrenkrauler ein planetares Selbstverständnis. Die Überreste eines hastig verspeisten Mittagessens schmecken wahrscheinlich überall gleich, von der Strasse geleckt, egal ob jetzt Kübban oder nicht. Und trotzdem steckt er wahrscheinlich schon jetzt inmitten der Kreierung eines urbanen Mythos, die Katze, die auf dem Velo Richtung Altstadt saust, zufrieden schnurrend und mit einem schelmischen Grinsen.