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N°1/2025
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Alles aufbewahren hilft der Verbreitung des Œuvres nicht

Im Interview mit der HKB-Zeitung erzählt die Historikerin und HKB-Alumna Ursula Pouly, warum und wie sie sich dem künstlerischen Nachlass-Management von Alois Lichtsteiner widmet.

Interview

Sie sind Historikerin – was hat Sie dazu bewegt, am Weiterbildungsstudiengang Werk- und Nachlass-Management teilzunehmen?
Ursula Pouly: Der Vorschlag, dass ich den CAS Werk- und Nachlass-Management besuchen könnte, kam vom Künstler Alois Lichtsteiner, für den ich seit bald zwanzig Jahren arbeiten darf. Als Kunstmaler mit einem Œuvre, welches mehrere Tausend Werke umfasst, entstanden in einer Zeitspanne von über 50 Jahren, hat er sich mit der Frage befasst, was mit seinen Bildern, Grafiken, Skulpturen und Dokumenten passieren soll, wenn er später nicht mehr arbeiten kann. Durch mein Studium der Geschichte bin ich von der Wichtigkeit überzeugt, dass man gewisse Objekte und Dokumente als Quellen für die nächsten Generationen aufbewahrt, welche von einem bestimmten Zeitgeist und Kontext zeugen – und im spezifischen Falle des Künstlers –, damit das Œuvre und sein Erschaffer nicht in Vergessenheit geraten, sondern in der Kunstgeschichte eingebettet bleiben.

Was sind Ihre Aufgaben als Studiomanagerin von Alois Lichtsteiner? Was bewegt einen Künstler dazu, zu Lebzeiten seinen Nachlass managen zu lassen? Wie verhält sich dabei «Nachlass» zum «Vorlass»?
Im Atelier von Alois Lichtsteiner kümmere ich mich unter anderem um die administrativen und werktätigen Arbeiten, vor allem um die Werkdatenbank, die wir «Archiv» nennen. Unser Anspruch ist, dass alle je von Alois Lichtsteiner erschaffenen Werke darin verzeichnet sind, auch die verkauften, verschenkten und zerstörten. Aus diesem Grund erstelle ich für jedes neu entstandene Werk einen Datensatz, der Nummer im Inventar der Werke von Alois Lichtsteiner, ein Foto und alle wichtigen Informationen (wie Titel, Technik, Masse usw.) zum Werk enthält. Auch Angaben zu früher entstandenen Werken werden bei Gelegenheit fortlaufend ergänzt. Die Datenbank ist in erster Linie Arbeitswerkzeug für unsere Logistik im Atelier und dient uns bei der Konzeption von Ausstellungen. Sie lässt ein einfaches Abfragen bei Verkäufen oder Leihgaben zu.

Wie ist diese Datenbank gestaltet?
Die Datenbank ist Grundlage für die Verwaltung des Nachlasses, weil darin auf Grundlage des Wissens, das ich mir im Kurs über Werk- und Nachlass-Management aneignen konnte, das Œuvre in A-, B- und C-Werke eingeteilt wurde. Diese Kategorien – A: behalten, B: veräussern, C: vernichten – erlauben den Erb*innen im Nachlassfall, klare und eindeutige Angaben vorzufinden, die den Willen des/der Künstler*in aufzeigen. Vorlass bedeutet in diesem Zusammenhang, gewisse Bilder und Objekte zu Lebzeiten des/der Künstler*in zu verkaufen, zu verschenken oder in wichtige Sammlungen zu integrieren. Nachlass ist der Teil des Gesamtœuvres, mit dem die Erb*innen arbeiten können, um das Werk des/der Künstler*in zu präsentieren und weiterzuverbreiten.

Wer besitzt die Deutungshoheit über den Nachlass eines/einer Künstler*in? Bei wem liegt die Verantwortung für die Interpretation der Werke?
Die Deutungshoheit seines/ihres Werkes liegt beim/bei der Künstler*in selbst. Nur er/sie kennt die Beweggründe für das künstlerische Schaffen und stuft die einzelnen Arbeiten in ihrer Bedeutung am Gesamtwerk ein. Nutzt er/sie die Chance der Interpretation seines Œuvres zu Lebzeiten nicht, geht die Deutungsverantwortung des Nachlasses an andere über; Erb*innen, Kunstkritiker*innen, Kunsthistoriker*innen.

Muss man alles aufbewahren? Wo hört Sammeln auf und wo fängt Horten an?
Alles aufbewahren hilft der Verbreitung des Œuvres nicht. Aufbewahrt und gesammelt werden sollen die Werke, inklusive der Dokumentation über ihre Herstellung, über den Kontext der Entstehung und über ihre Verbreitung, welche den Kern oder, anders gesagt, den roten Faden des Gesamtœuvres am besten repräsentieren. Das hilft der Positionierung innerhalb der Kunstwelt. Der Übersichtlichkeit zuliebe ist wegwerfen oder vernichten nichts Schlechtes. Die übrig bleibenden Werke gewinnen an Geltung. Ein physisch leichter Nachlass ist besser zu handhaben.