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N°3/2024
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wurde in der ehemaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik geboren und lebt als Künstler*in und Autor*in in der Schweiz. Themenschwerpunkte von Vanecek sind Health
Inequality
und Neurodiversität.

Schon lange bekannt ist, dass Kunst unser Leben bereichern kann. Die umfassende Bedeutung von Kunst für unsere Gesundheit wird jedoch erst in jüngster Zeit wissenschaftlich anerkannt. Obwohl die Rolle der Künste in der Förderung des menschlichen Wohlbefindens seit der Philosophie der Antike bis hin zur modernen Psychologie diskutiert wird, findet empirische Forschung zu den Auswirkungen der Künste auf die Gesundheit erst seit knapp zwei Jahrzehnten statt. Zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass verschiedene Kunstformen positive und therapeutische Effekte auf die Gesundheit von Individuen haben – und das in verschiedenen Kulturen und über das gesamte Gesundheitsspektrum hinweg.

Die Definition von Gesundheit ist ein komplexes und oft umstrittenes Thema, da sie stark von individuellen und gesellschaftlichen Kontexten abhängt und eine soziokulturell erzeugte und politisch umkämpfte Konstruktion darstellt. Erschwerend kommt hinzu, dass Gesundheit wissenschaftlich weitaus seltener als Krankheit untersucht worden ist. Selbst der funktionale Gesundheitsbegriff wird nicht als Dichotomie zu Krankheit verstanden und bildet keine statische Konstante. Vielmehr wird der Gesundheitszustand eines Individuums als dynamischer Prozess verstanden. Gesundheit umfasst körperliche, psychische, soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen. Daher kann sie nicht allein durch naturwissenschaftliche, medizinische und psychologische Ansätze erforscht und definiert werden, sondern muss zusätzlich durch soziologische, ökonomische und ökologische Analysen betrachtet werden.

In diesem Kontext ist es wichtig, Neurodivergenz und andere Formen von Behinderung differenziert zu betrachten. Beide stellen keine Krankheit dar und sind auch nicht das Gegenteil von Gesundheit. Die Komplexität dieser Konzepte wird umfassender im interdisziplinären Feld der Health Humanities behandelt. Im Gegensatz zu einem monologischen Ansatz, der nur eine einzige, autoritative Wahrheit anerkennt, basieren die Health Humanities auf einem dialogischen Ansatz, bei dem verschiedene Stimmen und Perspektiven miteinander im Austausch stehen. Dies ist auch mit dem Einsatz der Künste verbunden.

Romane, Gedichte, Filme, Musik, Zeichnungen, Gemälde, Tanz- und Theaterstücke können das Bewusstsein für Krankheit, Neurodivergenz und Behinderung verbessern, Missverständnisse reduzieren und die Erkenntnis über den Einfluss gesellschaftlicher Rahmenbedingungen fördern. Ausstellungen, Publikationen, Aufführungen und Installationen unterstützen diesen Austausch und ermutigen neue Zielgruppen, sich mit diesen komplexen Themen auseinanderzusetzen.

In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass künstlerische Aktivitäten als soziopolitische multimodale Interventionen betrachtet werden müssen, die weit über den Bereich der Kunsttherapie hinausgehen. Kunst kann eine kraftvolle Plattform für marginalisierte Gruppen darstellen, indem sie Sichtbarkeit ermöglicht. Dadurch entsteht zwangsläufig die Frage, welche Akteur*innen in die Kunstproduktion einbezogen werden und welche Stimmen bei der Auseinandersetzung mit gesundheitlichen Themen Gehör finden. Aus diesem Grund ist die Repräsentation neurodivergenter, behinderter und chronisch kranker Kunstschaffender von besonderer Relevanz, damit «lived experiences» selbstbestimmt vermittelt werden können.

Sichtbarkeit allein reicht jedoch nicht aus, um echte Inklusion und Teilhabe zu gewährleisten. Marginalisierung findet immer in einem Machtgefüge statt und geht stets mit Diskriminierung einher, die immer auch ökonomische Auswirkungen hat. Daher ist es essenziell, neurodivergenten, behinderten und chronisch kranken Akteur*innen einfachere Zugänge zu Förderung zu ermöglichen und sie in einflussreiche Positionen mit Entscheidungskraft zu bringen. Dies erfordert jedoch gezielte Massnahmen zum Abbau struktureller Barrieren, die den Zugang zu Ressourcen und Räumen einschränken. Es bedeutet aber auch, die oft unausgesprochenen Machtverhältnisse in der Kunstwelt kritisch zu hinterfragen, da diese bestimmte Stimmen privilegieren und andere durch strukturelle Hürden zum Schweigen bringen.