«Kulturschaffende», hat der Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti 1994 geschrieben, sei im heute gängigen, «insgeheim elitären Sinn» ein Misswort und gehöre in den Müll des Unbrauchbaren. Denn Kultur sei «nicht das Aussergewöhnliche, sondern das Alltägliche, nicht das absolut Gute, sondern das ambivalent Menschliche, nicht die Ausnahme von der Regel, sondern die Summe aller Regeln und Tätigkeiten.» Marti fragt: «Ist unsere Kultur überhaupt denkbar z.B. ohne Briefträger, ohne Kioskfrauen, ohne SBB (…) ohne Kanalisationsarbeiter, ohne (meist ausländische) Maurer. Ohne (meist ebenfalls ausländisches) Spitalpersonal, ohne Polizisten und – erst recht! – ohne Gärtner, ohne Bauern (Agrikultur war die erste Kultur, die schlechthinnige Kultur sogar)?»
Nun soll neu in der Stadt Bern die Kultur- und Kreativwirtschaft gefördert werden. Der Begriff «Kreativwirtschaft» ist etwa so alt wie Martis Text. Man versteht darunter Personen und Betriebe, die sich mit der Schaffung, Verteilung und medialen Verbreitung kultureller bzw. kreativer Güter und Dienstleistungen befassen. Der Verband Kreativwirtschaft Schweiz zählt 483 000 Kreativschaffende und 71 000 Betriebe (Musik, Buch, visuelle Kunst, Film, Rundfunk, darstellende Künste, Kunsthandwerk und Design, Architektur, Werbung, Games, Presse, Phono), die 22 Milliarden Wertschöpfung erarbeiten, rund 4 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Zu den darstellenden Künsten gehören, um ein Beispiel zu nennen, das Opernhaus Zürich mit mehr als 80 Millionen Jahressubvention so gut wie ein gänzlich unsubventioniertes Tanzensemble am freien Markt. Und unter «Presse» figuriert die TX Group, die eben «Bund» und «Berner Zeitung» zusammenlegt, ebenso wie ein lokales Onlinemagazin. Auffällig: Zur Kreativwirtschaft gehören sich selbst finanzierende Tätigkeiten wie Architektur oder Werbung und auf staatliche Unterstützung angewiesene Bereiche wie Musik (in allen Stilrichtungen und Kommerzschattierungen) oder Tanz.
Was also ist in dieser kreativen und wirtschaftlichen Vielfalt die Kulturwirtschaft? Die vom Staat unabhängige Wirtschaft? Die vom Staat subventionierte Wirtschaft? Und woran misst sich Kreativität, die diese Wirtschaft prägt – an besonders neuen, nachhaltigen, nützlichen Leistungen und Produkten? Oder ist das, was sie schafft, einfach nicht oder noch nicht marktfähig und bedarf deshalb der Unterstützung?
Unterstützung verdient für mich jede wirtschaftliche Tätigkeit, die gesellschaftlich unabdingbare und nützliche Leistungen erbringt und Produkte erzeugt. Das gilt für eine Theateraufführung wie für die Erfindung des Dampfkochtopfs. Für den Schreiner, der ein Büchergestell liebevoll exakt einpasst, wie für die Designerin eines Stuhls. Für die Metallbauer eines Wanderstegs wie für die Bühnenbildnerin am Theater. Wir sind als Gesellschaft – in Martis Sinn «als Kultur» – auf alle sinnvollen Leistungen aller angewiesen. Da fragt man sich: Weshalb gibt es keine Unterstützung und Auszeichnung für Kassiererinnen und Strassenarbeiter, selbstverständlich jedoch für Bucherstlinge? Hier müssen wir einmal gründlich über die Bücher. Um sicher zu sein, dass der Förderung des kreativen Schaffens kein «insgeheim elitärer Sinn» (Marti) anhaftet.