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N°3/2022
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1988 geboren, hat Philosophie, Kulturanalyse und Literaturwissenschaften in Zürich studiert. Sie schreibt kulturwissenschaftliche Texte, Essays, Lyrik und Prosa.

Alle Menschen sind sterblichSokrates ist ein Mensch. Sokrates ist sterblich.

Dieser bekannte Syllogismus bringt auf den Punkt, was wir alle wissen. Der Tod ist eine Notwendigkeit – man könnte auch sagen: Naturgesetz. Dass diese Tatsache hier in Form eines sprachlich logischen Schlusses daherkommt, wirkt gleichwohl absurd und obszön zugleich. An Logik habe ich mir immer die Zähne ausgebissen, weil ich den Sinn nicht einsehen wollte, weshalb man den Wahrheitswert von Sätzen dadurch überprüft, dass man Prämissen und Schlüsse in Formeln packt, um diese mathematisch abzugleichen, ohne sich mit dessen eigentlichem Inhalt und deren Bedeutung auseinanderzusetzen. Geblieben ist mir die Aufgabe einer Logikprüfung, bei der das folgende Argument aus einer Apologie von Sokrates mit logischen Formeln und durch den Bäumchen-Zeichnen-Trick auf seine Richtigkeit überprüft werden musste.

Entweder ist der Tod wie ein schlafloser Traum oder er ist wie eine Reise an einen anderen Ort.Wenn er wie ein schlafloser Traum ist, dann ist er etwas Gutes. Wenn er wie eine Reise an einen ander Ort ist, ist er auch etwas Gutes. Also ist der Tod etwas Gutes.

Px: x ist wie ein schlafloser TraumQx: x ist wie eine Reise an einen anderen OrtRx: x ist etwas Gutesa: der Tod {Pa v Qa, Pa → Ra, Qa → Ra} Ra

Der Schluss dieses Arguments ist logisch gesehen richtig. Für jede*n Atheist*in allerdings absoluter Schwachsinn, für jede*n Phobiker*in ein Hohn, für jede*n Existenzialist*in sowieso schon immer sinnlos. Ich habe mich nach den obligatorischen Kursen in analytischer Philosophie und Logik der kontinentalen Philosophie zugewandt sowie der Literatur und Kunst, die den Tod mehr als Kern menschlicher Existenz, als grösste Kränkung, als das Reale (oder das, was ausserhalb des Sprachlichen und Symbolischen liegt) umkreist und mit grosser Sicherheit immer auch verfehlt. Beides, den Tod in eine Formel zu packen oder in ein Gedicht oder einen Essay oder ein Theaterstück, sind Kulturleistungen.

Die Frage, was Kultur ist und was Natur, scheint mir als Kulturwissenschaftlerin müssig oder jedenfalls nicht allzu interessant. Gleichwohl scheint die Frage nach der Unterscheidung, den Grenzen zwischen Natur und Kultur und deren Hybridität im Trend zu liegen – sowohl in künstlerischen Positionen als auch in wissenschaftlichen Diskursen. Im philosophischen Diskurs, aber auch in den Künsten gibt es seit einigen Jahren einen Trend oder geradezu Hype zur objektorientierten Philosophie, zum sogenannten speculative turn, zu einer Art neuer Metaphysik, die einem Versuch gleichkommt, die Welt zu denken, ohne Zugriff des Subjekts auf diese Welt, sprich auch losgelöst von Sprache und Kultur. Das ist zwar ein interessantes Gedankenexperiment, vernebelt einem aber sehr schnell das Hirn und man denkt sich: Welch Grössenwahn diese (fast ausschliesslich) Herren gepackt haben mag, die beanspruchen, in einer philosophischen, dito sprachlichen Abhandlung von sich selbst und damit der eigenen Perspektive, dem eigenen Kontext, der eigenen Prägung, des eigenen Geschlechts, der eigenen Herkunft und gar Sprache und Kultur insgesamt zu abstrahieren.

Gleichzeitig wird medial, in Zeiten der Krise, die Natur wahlweise verklärt oder rhetorisch zum Bösen, Zerstörenden heraufbeschworen. Vermeintliche Natürlichkeit wird zum Verkaufsargument und inszeniert als neues Ideal. Medien beanspruchen, den Tod zu enttabuisieren. Kulturveranstalter*innen entdecken das Thema Tod als weiteres Terrain für Events, wo man als Kulturkonsument*in für einen Einlasspreis von 30 Franken in einen Sarg steigen kann. Bei Letzterem denke ich vor allem an Stoff für Dystopien. Eine natürlich höchst subjektive Prägung, von der ich auch gar nicht abstrahieren will. Den Tod zu denken bzw. sich damit zu befassen, was dieses Denken mit uns einzelnen Sterblichen tut, halte ich jedoch für zentral und im Scheitern dessen für eine genuin ästhetische Kategorie. Mediale und diskursive Trends erachte ich für Letzteres eher als Hindernis und Abwehr denn als Konfrontation – vielleicht auch als hilfloser Aufschrei gegen das Notwendige. Und ohne ihn, den Tod, den Widerspruch, die notwendigen Widrigkeiten gäbe es wohl keine Literatur, keine Kunst und keine Kultur und damit keinen Trost.