Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
N°2/2023
i

10 Jahre HKB-Zeitung – eine Zwischenkritik

Bei Jubiläen wird das Alltägliche oftmals ausgeblendet, Gewesenes auf Glanzpunkte verkürzt. Das muss nicht so sein. Sie können auch anders, konkreter und kollegialer genutzt werden. Wenn der Gradmesser in einer höheren Relevanz für die Gegenwart und die nähere Zukunft liegen soll, bietet sich das Format der Zwischenkritik an. Elementar dafür sind Fragen, die aus einem genauen Hinschauen resultieren, sowie ein Klima, das Dynamiken der Selbstkritik zulässt und geteilte Verantwortlichkeiten aufzeigt. Antworten von Christian Pauli, Leiter der Redaktion HKB-Zeitung.

Interview

2009 wurde die HKB gegründet. Vier Jahre später die HKB-Zeitung. Was war die Ausgangslage?
Christian Pauli: Es war mehr ein Impuls als ein strategischer Entscheid oder eine Marketingidee. Ich schrieb lange Zeit Kolumnen für die Berner Kulturagenda, und beobachtete, wie sich die Kulturberichterstattung national und lokal verdünnte. Die HKB ist eine öffentliche Institution. An der HKB als umfassende Kunsthochschule und grösste Kulturveranstalterin im Kanton Bern kommen viele Personen und Themen zusammen, über die publiziert werden könnte und auch sollte. Dieses publizistische Potenzial wollte ich anzapfen. Dabei hatte ich auch die Kulturmedien im Raum Bern im Auge. Als ehemaliger Musiker, Journalist und Veranstalter hat mich das Format Zeitung als Publikationskanal für die HKB herausgefordert. Ich sah in der Gründung der HKB-Zeitung ein Potenzial, aber auch eine Möglichkeit, HKB-Angehörige zu Wort kommen zu lassen.

Stichwort publizistisches Potenzial: Meint das auch, junge Autor*innen und Lernende zu schulen, über sich zu sprechen und Kompetenzen im Auftritt zu erhalten?
Unbedingt. Allerdings entdeckten wir dieses Potenzial verzögert. Mit der Zeit realisierte die Redaktion, dass die HKB-Zeitung auch eine Plattform für die Präsentation von Arbeiten von Studierenden sein kann, die den Dialog mit Studierenden auf Augenhöhe ermöglicht.

Gab es in den letzten zehn Jahren auch Ideen, einen eigenen Ausbildungsgang zu gründen oder Kooperationen mit Zeitungen für Praktika oder Volontariate zu schaffen?
2021 wurde das Studienangebot der HKB um einen auch kulturpublizistisch geprägten Studiengang, den Master Multimedia Communication & Publishing, erweitert. Ich bin gespannt, was hier für ein publizistisches Potenzial heranwächst. Volontariate in der Redaktion der HKB-Zeitung zu schaffen: eine gute Idee.

Wer waren die Gründer*innen der HKB-Zeitung?
Es war meine Initiative. Die HKB-Zeitung ist ein Projekt, das geprägt ist von den Interessen und der Leidenschaft einzelner Personen. HKB-Direktor Thomas Beck, der auch als Kulturjournalist gearbeitet hat, und Peter Kraut, stellvertretender Leiter Musik und ehemaliger Veranstalter, haben die Idee unterstützt.

Auf unterschiedliche Weise seid ihr aus tagesaktueller Kulturberichterstattung und Kulturproduktion in den Hochschulbereich gewechselt. Wurden Kontakte zu alten und neuen Kolleg*innen in den neuen Funktionen weitergepflegt?
Ich bin im Austausch mit dem Kulturjournalismus und seinen Akteur*innen geblieben, sei es Der Bund oder auch jüngeren Online-Plattformen wie KulturStattBern oder KSB. Diese meine Interessen haben sich erhalten.

Gab es Vorbilder, die in den Entscheid hineingespielt haben?
Im Hochschulbereich gab es keine Anknüpfpunkte. Das Zeitungsformat hat uns damals ganz grundsätzlich gefallen. Als ich Redaktor bei einer Tageszeitung war, hat mich auch der gestalterische Aspekt fasziniert: schnell, günstig und grosszügig. Daraus entstand wohl der Impuls, das Format Tageszeitung zu bedienen, und nicht etwa Tabloid oder Magazin. Als Referenz oder Orientierung dienten die Zeitung der Roten Fabrik Zürich wie auch, lange vorbei, die Zeitungen der bewegten 1980er-Jahre in Bern und Zürich, Eisbrecher und Drahtzieher. So kam das Selfpublishing als weiteres Motiv ins Spiel. Eine Strategie, die an einer Kunsthochschule sinnstiftend ist.

Woher kommt deine Einschätzung, dass Selfpublishing an einer Kunsthochschule «sinnstiftend» ist? Hat das mit der Vorstellung eines Antagonismus zwischen Establishment und Offszene zu tun? Welche Prämissen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Kunst, Gesellschaft und dem Thema Autonomie schwingen hier mit?
Die Frage nach der Autor*innenschaft ist zentral an einer Kunsthochschule. Wir können unseren Studierenden die Kunst nicht aufzwingen – das muss von ihnen kommen, eigenständig, souverän, self-made halt. Kunst studieren heisst auch selbst publizieren.

Die Ausgabe 4/2019 (Wir publizieren) beschäftigte sich mit dem AIP, dem Archive of Independent Publishing. Was würdest du wieder gleich oder unter Berücksichtigung digitaler Publikationsformen anders machen?
Es ist nur marginal gelungen, die HKB-Zeitung als künstlerisches, unabhängiges Publikationsorgan im In- und Ausland zu etablieren. Die Archivpflege und den Online-Spielraum habe ich lange unterschätzt.

Das muss ja nicht so bleiben. Dem Independent Publishing wurde mit der Messe I never read in Basel eine Plattform geschaffen, es hat mit dem Kollektiv Volumes engagierte Vertreter*innen auch in der Schweiz. Urs Lehni, der an der HKB den Studiengang Visuelle Kommunikation leitet, betreibt mit Rollo Press einen eigenen Verlag. Wann, wo und wie willst du Archivpflege und Online-Publishing angehen? Könnten das Module im erwähnten Studiengang werden?
Verwaltung und Lehre sind zwei verschiedene Bereiche, die unterschiedliche Aufgaben haben. Im besten Falle können sie sich befruchten. Publizistisch gesehen braucht es eine doppelte Strategie: die HKB-Zeitung als print weiterführen, ein künstlerisch-publizistisches Objekt produzieren und bestimmte Inhalte der HKB-Zeitung online aufbereiten.

Was kennzeichnet die redaktionelle Arbeit? Wie stark werden Lehrende und Studierende eingebunden?
Wir sind maximal schlank unterwegs: Eine zweistündige Sitzung pro Ausgabe muss genügen, um die Redaktionsplanung abzuschliessen. Nach der Sitzung werden Schreib- oder Gestaltungsaufträge vergeben. Die Produktion der Zeitung obliegt dann der Kommunikationsabteilung der HKB. In der Redaktion haben aktuell zwei Studierende, drei Dozierende und sieben Mitarbeitende Einsitz. Die Redaktion der HKB-Zeitung arbeitet nach journalistischen Kriterien, unabhängig, kollegial und autonom. Nur dem Direktor werden die Ausgaben vorgängig zugestellt. Die Geschäftsleitung der HKB, die Departementsleitung, sieht die HKB-Zeitung erst, wenn sie gedruckt ist.

Wie erfolgt die Auswahl der Studierenden und wie lange dauern ihre Mandate?
Das machen wir ganz einfach: Die Redaktion konstituiert sich selber, die Studierendenvereinigung Kulturesk haben wir mittlerweile als Partnerin gewonnen.

Weisst du, welche Wirkung diese Mandate hochschulintern haben und ob, sie in den weiteren beruflichen Werdegang einzelner Personen hineingespielt hat?
Nein.

Das ist überraschend. Wären derartige Daten nicht interessant um die Wirksamkeit zu erfassen?
Dazu müsste eine gezielte Befragung von HKB-Absolvent*innen stattfinden, was ich eine gute Idee finde.

Als Teil deiner redaktionellen Arbeit hast du themenbezogen externe Autor*innen eingebunden. Dazu gehören auch nachgefragte, international bekannte Künstler*innen. Thomas Hirschhorn gab für die Ausgabe 2/2018 ein Interview, willigte ein, eine seiner Zeichnungen zu veröffentlichen. Das war in dem Jahr, in dem er den Prix Meret Oppenheim erhielt und ihm im Robert Walser-Zentrum eine grosse Ausstellung gewidmet wurde. Wie kam er ins Spiel?
Wir diskutieren in der Redaktion jeweils, wer interessant sein könnte. Meist sind Begegnungen der Auslöser. Thomas Hirschhorn war zu Gast an der HKB – dann habe ich ihn angesprochen.

Wie verhält es sich mit Leser*innenrückmeldungen?
Es findet – leider – wenig Austausch mit Leser*innen statt. Mehr Austausch wäre wünschenswert.

Das ist eine Beobachtung, die auch andere Printmedien gemacht haben. Um ihre Leser*innen kennenzulernen, haben andere Medien spezifische Formate aufgebaut oder Umfragen gestartet, jüngst etwa das Kunstbulletin/Artlog. Wie möchtest du hier vorgehen?
Indem wir Inhalte der HKB-Zeitung online aufbereiten, dialogfähig machen. Der Dialog mit den Leser*innen muss über Themen initiiert und gepflegt werden, nicht über das Format.

In welchem Verhältnis stand und steht die Zeitung zu der Website der HKB?
Die beiden Plattformen arbeiten eigenständig. Sporadisch übernehmen wir gegenseitig einzelne Themen. Die Zeitung verfolgt ein eigenes Konzept: Der 1. Bund ist redaktionell unabhängig. Da können und sollen auch publizistische Experimente Platz haben. Der 2. Bund ist News aus der HKB gewidmet, also als Corporate Communication zu verstehen. Die HKB-Zeitung bespielt den Twist zwischen Kulturjournalismus und institutioneller Kommunikation.

Mindestens drei Ausgaben (4/2022, 3/2019 und 2/2018) haben institutionskritische Themen wie Gleichberechtigung im Kulturbereich, die Gleichstellungsverantwortung innerhalb von Hochschulen, Inklusion und Antidiskriminierung aufgegriffen. Themen, die auch andere Hochschulen umtreiben. Gab es systemische Konsequenzen?
Nein, das kann nicht die Aufgabe der HKB-Zeitung sein. Aber als Reflexionsraum soll die Zeitung auch hochschul- und institutionskritische Themen aufgreifen.

Autonomie, Unabhängigkeit und Durchlässigkeit sind wichtige Themen. Wie arbeiten an der HKB die Fachbereiche, die Zeitung und die Pressestelle zusammen? Wo und wie wird diskutiert, wie die Eigenleistungen und Informationen über aktuelle Aktivitäten und Projekte sichtbarer werden können?
Der 2. Bund der HKB-Zeitung ist genau diesem Aspekt gewidmet. Allerdings ist es eine stete Herausforderung, Betrieb und Lehre der HKB in verständlicher Weise aufzuzeigen und das Spektrum greifbar werden zu lassen. Darum lasse ich auch hier gerne externe Autor*innen schreiben, die eine Perspektive von aussen einbringen.

Was ist an einer Zeitung zeitgemäss und was braucht sie, um überleben zu können?
Inhalt und Gestaltung haben bei diesem kostengünstigen Format Bestand.

Bestand hat etwas nur, wenn kontinuierlich Pflege und Vertrauen investiert werden. Was wird getan, damit die HKB-Zeitung auch in einer veränderten publizistischen Landschaft Bestand haben kann? Könnte man pionierhaft als Verleger*in agieren, in den Buchmarkt vordringen, mit dem Know-how der Studierenden etwas entwickeln, das zum Alleinstellungsmerkmal wird, wie eine Case Study zur Aktivierung kommunaler Archive?
Wenn ich deine Frage richtig verstehe: ja. Hochschulen sind immer auch Verleger*innen. So fördern wir auch Publikationen aus dem Umfeld der HKB mit Druckkostenbeiträgen. Der Impuls und das Thema müssen allerdings von den Dozierenden und Studierenden kommen. Publikationsprojekte, die wir fördern, werden in der HKB-Zeitung erwähnt. Es gibt aber keinen Ort, wo diese Informationen gesamthaft abgerufen werden können. Und ja, Relationen müssen gebildet, Kooperationen gesucht und aufgebaut werden – sie fordern von uns ein Selbstverständnis als Akteur*in, den Blick über den eigenen Horizont hinaus zu werfen. Wenn andere uns für Kooperationen anfragen, lässt sich sagen, wir sind auf dem richtigen Weg und haben etwas erreicht.

Wo siehst du das Potenzial, diesen nichtkommerziellen Channel in einer Medienlandschaft weiterzuentwickeln?
Ich erachte die Arbeit mit der HKB-Zeitung als eine Möglichkeit, Lücken im Kulturmedienbereich zu stopfen. Wie können sich grosse, öffentlich finanzierte Institutionen publizistisch betätigen: Öffentlichkeiten stärken, Diskussionen ermöglichen, sozialen Austausch fördern, ohne ausschliesslich Marketing zu betreiben? Mich treibt vor allem die Frage um: Was kann der Beitrag eines derartigen publizistischen Selbstverständnisses der HKB an die sie umgebende Medien- und Kulturlandschaft sein?

Das sind weit mehr Fragen als Antworten in einer Zeit, in welcher der Infarkt der Kulturberichterstattung konstatiert und diskutiert wird, was Kritik sein kann und sollte. Mit welchem Konzept und welchen konkreten Neuerungen möchtest du in die nächste Phase starten?
Indem wir Inhalte der HKB-Zeitung online publizieren, möchte ich die Plattform dialogbereiter machen. Zugleich möchte ich den gestalterischen Anspruch, den wir verfolgen, stärker in die Kunstwelt einbringen. Ein Beispiel: Im Herbst planen wir eine HKB-Zeitung in Zusammenarbeit mit Off Spaces in Biel.