Linn Spitz
Als Dozentin für Visuelle Kommunikation hat Linn Spitz gemeinsam mit Studierenden über Augmented Reality geforscht. Sie selbst kreiert «Art Games».
hat Kunstgeschichte, Literatur und Journalismus studiert und schreibt für verschiedene Zeitungen in Bern.
Als Kind habe sie im Wald mit Luft gespielt statt mit Puppen. «Das liess meiner Fantasie mehr Raum», so Linn Spitz, die als zweites von vier Kindern einer Chemikerin und eines Chemikers aufwuchs. Mit gerade einmal 25 Jahren wurde sie von der Hochschule der Künste in Bern angefragt, ob sie als Dozierende im Bereich Visuelle Kommunikation ein Modul übernehmen möchte. Spitz lebt in Zürich, wo sie zurzeit an der Universität «Künstliche Intelligenz» studiert. An der HKB leitete sie während eines Semesters, gemeinsam mit dem Dozenten Hansjakob Fehr, das Modul Reality Shift, wobei es um virtuelle Welten, «Augmented Reality» und deren Rolle in der visuellen Kommunikation ging. Bei unserem Treffen in Bern kommt Spitz gerade von einer Feedbackrunde mit den Studierenden zurück. «Jemand fand meine Perspektive wertvoll. Das hat mich gefreut», so die Dozentin. Ihr Hintergrund sei derjenige der Game-Designerin, sie mache «Art Games». Das Thema Räumlichkeit sei ein zentraler Aspekt in dem Modul gewesen. «Zu diesem Thema konnte ich viel beitragen.»
Gemeinsam mit den Studierenden wurden Apps entwickelt, bei denen die Realität mit einer zweiten Schicht überlegt ist. Was Spitz damit meint, präsentiert sie anhand ihres eigenen Smartphones mit einer speziellen App. Ein Blick durch die Linse zeigt die Umgebung, wie wenn man ein Foto machen wollte. Doch ein sich bewegendes «Fenster» überdeckt einen Teil des Bildes. Es ist ein Bild, das uns mal auf ein Stück Himmel, mal auf ein offenes Meer blicken lässt, eine erweiterte Realität eben.Auch das Gestalten von dreidimensionalen Figuren wurde mit den Studierenden der Visuellen Kommunikation geübt. Hierzu gab es eine Einführung mit der Software Blender, die es Grafiker*innen erlaubt, dreidimensional zu gestalten. Im Rahmen des interdisziplinären Programms BFH Transformation spannten die Studierenden der Visuellen Kommunikation schliesslich mit solchen des Departementes Architektur, Holz und Bau (AHB) zusammen. So wurde etwa an verschiedenen Szenarien für ein potenzielles Asylheim in der Zivilschutzanlage Ostermundigen getüftelt. Ein Themenblock war die «Einsamkeit». Die Studierenden haben verschiedene Augmented-Reality-Erfahrungen konzipiert.«Eine Gruppe schuf Gemeinsamkeit, indem sie eine räumliche Installation entwarfen, in der zusammen musiziert werden kann», so Spitz. Was ist der Mehrwert eines solch virtuellen Raumes? Könnte man nicht einfach gewöhnliche Instrumente in einen realen Raum stellen, um Leute gemeinsam musizieren zu lassen? «Mit solchen berechtigten Fragen habe ich mich viel auseinandergesetzt», so die Dozentin. Es gäbe bei virtuellen Räumen eine gesteigerte Zugänglichkeit und Vernetztheit, glaube sie. Anders gesagt: «Man kann zusammenkommen, auch wenn man räumlich getrennt voneinander ist.Spitz ist eine Expertin für virtuelle Räume. Sie hat Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste studiert und erhielt 2022 den Swiss Design Award für ihr eigens entwickeltes Spiel SOMN. Das Spiel ist von nächtlichen Autofahrten inspiriert — wobei Spitz selbst keine analoge Autofahrerin ist: «Ich habe als Kind viele virtuelle Rennautospiele gespielt», verrät sie. Sie und ihre Geschwister hätten ein paar Spielkonsolen gehabt, aber keinen Fernseher. «Meine Eltern förderten den Umgang mit Computern, während sie Fernsehen für ein allzu passives Vergnügen hielten.» Sie selbst sei keine klassische Gamerin, so Spitz. Es seien eher meditative Spiele, die ihr gefielen«Ich wollte gleichzeitig programmieren und gestalten, deshalb habe ich Game Design studiert.» Dabei sei sie eher eine Theoretikerin, die sich für künstlerische Konzepte interessiere. Sie und ein ehemaliger Kommilitone stellten sich ein halbes Jahr nach Abschluss des Studiums einer besonderen Herausforderung: Sie entwarfen innerhalb von 48 Stunden ein Spiel. Entstanden ist ein Zug, der durch eine Landschaft fährt. Je mehr Runden man dreht, desto mehr driftet man dabei in Parallelwelten ab. Spiele zu gestalten, sei eine andere Form der Narration, nicht vergleichbar mit der Linearität eines Buches. «Es gibt einen gewissen Kontrollverlust, weil Spiele interaktiv sind.» So wisse man nie ganz genau, was Spieler*innen als Nächstes machtenSpitz geht es darum, Welten zu gestalten, in denen etwas Schönes, Poetisches stattfindet. Dass sie nun künstliche Intelligenz studiert, hat mit ihrem Hunger nach Bildung zu tun. «Ich bin eine forschende Person.» Technologie sei mehr als ein Werkzeug, es ginge um Implikationen für die Menschheit, ist sie überzeugt. Fasziniert ist sie von Spielen wie etwa Everything von David O’Reilly, bei denen man in verschiedene Rollen schlüpfen kann. «Du kannst zum Tier, zur Galaxie oder zu einem Objekt werden.» Am spannendsten sei in diesem Spiel für sie das Existieren auf Planck-Länge gewesen, der kleinsten Einheit von Raum. Dass solche Experimente zu Perspektivenwechseln führen, versteht sich von selbst. Spitz wurde im vergangenen Jahr ans Filmfestival Locarno zum Thema «Empathie» eingeladen. Wer mit Gamen abgestumpfte Gewaltverherrlichung verbindet, sollte in die Welten von Spitz eintauchen. In ihren Spielen geht es nicht ums Gewinnen, ums Ballern oder Punktesammeln. Es geht um universelle Erfahrungen.