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N°1/2023
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Ein seltenes Hobby

In diesem Essay sind alle erwähnten Personen frei erfunden, inklusive der Autorin Barbara Balba Weber, die im nicht erfundenen Leben HKB-Dozentin ist.

Text

HKB-Dozentin und Autorin

Schon als Kind pflegte ich diese namenlose Tätigkeit. Ich habe den Auftrag, darüber zu schreiben, einzig aus dem Grund angenommen, weil ich hoffe, unter Druck von aussen endlich einen Namen für meine aufwendige Beschäftigung zu finden und mich damit der Gruppe «Menschen mit einem Hobby» zugehöriger zu fühlen. Man gehört schliesslich nirgendwo einfach so dazu. Man muss alles selber verdienen. Als Kind baute ich Wurzelwohnungen im Wald, die ich fein säuberlich mit Zwergenmöbeln aus Nussschalen ausstattete, und wartete dann auf nicht näher definierten Besuch. Der nie kam.

Mit meinem ersten eigenen Geld kaufte ich mir ein Kochbuch mit Rezepten für Wildkräuter und Waldblumen. Als Jugendliche begann ich, mit Buchweizen, Pastinaken und anderen Geheimnissen zu experimentieren. Ass die Gerichte dann für mich ganz allein. Niemand schnupperte darnach. Meine Tätigkeit war noch weit entfernt von einem Namen. Dann begann ich, grosse Nester aus Ästen in die Ecken meines Zimmers einzubauen, in die ich den verwunderten Nachbarjungen reinzog und ihm stark verklausulierte Liebesgedichte aus Wildblumen und Waldkräutern vorlas.

Mit den Jahren wurde meine namenlose Tätigkeit immer exzessiver. Mein Exmann hat mir kürzlich gestanden, dass er darunter gelitten hat. Er hatte es mir während unserer Ehe offenbar nie zu sagen gewagt, da er genau wusste, dass es umgekehrt auch nicht ohne gravierende Konflikte geblieben wäre, wenn ich ihm das Klavier- oder Fussballspielen hätte unterbinden wollen. Ich habe später immer wieder versucht, meinen Lebensabschnittsgefährten bei meiner namenlosen Beschäftigung eine Rolle zuzuweisen. Aber leider können sich die meisten Männer nicht mal zugunsten eines sehr seltenen Hobbys einfach so, kurzfristig und temporär, einer Frau unterordnen. Die meisten flogen deshalb früher oder später denn auch raus aus dem Nest. Aber der eigentliche Fehler war, dass meine Tätigkeit keinen Namen hatte und deshalb nicht erklärbar war. Mit einem korrekten Hobby wäre in meinem Leben sicher alles anders gelaufen und ich wäre jetzt nicht alleine.

Damals verwandelte ich unser ärmliches Wohnzimmer regelmässig in eine Art Blackbox mit selbst fabrizierten Stehtischchen und allerhand billigen Lichtquellen, kochte den ganzen Tag selbst erfundene Speisen und brütete dabei parallel an einer ausgeklügelten Dramaturgie aus Essen, Trinken, Musik und Gesprächsstoffen. Als Publikum waren irgendwelche zusammengewürfelten Leute eingeladen, teils direkt von der Strasse. Einer hiess sogar tatsächlich Herr Würffel. Er hat, ans Stehtischchen gelehnt, der Verkäuferin aus unserem Quartierladen einen Vortrag über Thomas Mann gehalten. Aber das war alles noch viel zu planlos, viel zu unorganisiert, zu unsystematisch, zu willkürlich, zu wenig geplant und gesteuert.

Andere bauen ihr Leben lang an einem Haus, ich aber baue an einem turmhohen Gebilde aus choreografierten Menschengruppen, umfunktionierten Künsten und bezirzenden Düften. Als nach der Trennung von meinem Mann die Handbremse in Sachen «seltenes Hobby» gelockert war, konnte ich gewisse wichtige Bau- und Meilensteine endlich in Angriff nehmen. Als mittlerweile erwachsen Gewordene war mir in einem nächsten Schritt wichtig, die Zusammensetzung potenzieller Gäste nach einem sorgfältig konstruierten Plan mit meiner Gewürzsammlung abzugleichen. Herausfordernd. Noch anstrengender war, die Gäste von Statist*innen zu Performer*innen umzukrempeln, ohne dass sie es merkten. Es mussten Spielregeln erfunden und erprobt, Bücher, Küchengeräte, Kasperletheater und von heterogen zusammengesetzten Gruppen spielbare Instrumente angeschafft werden. Auch der Wein wurde angepasst, weg vom studentischen Tetrapak hin zu Dieter Meier. Das Ganze kam immer teurer. Aber das gehört offenbar dazu, wie ich neulich gelesen habe: Man scheut keine Kosten, wenn es sich um ein echtes Hobby handelt, geschweige denn, wenn es wie bei mir um ein seltenes Hobby geht. Charakteristisch für ein Hobby ist offenbar auch, dass man dabei nichts verdient.

All das war bei mir eindeutig der Fall, was eigentlich Beweis genug gewesen wäre, dass ich dazugehöre. Aber nein, ich habe angefangen, auswärtiges Geld zu suchen. Ich beobachtete schon länger interessiert, dass Extremkletter*innen und Sterneköch*innen Geldgeber*innen für ihr Hobby finden. Zuerst trieb ich per Crowdfunding kleinere Beträge auf. Ich geriet aber bald in eine Spirale und erreichte nach einigen Jahren den sechsstelligen Bereich. Als unterdessen über Fünfzigjährige mietete ich ein ganzes leer stehendes Dorf, schleppte auf Schneeschuhen Olivenöl, Kreuzkümmel, Halloumi und Kichererbsen den Berg hoch, trieb haufenweise heterogen zusammengesetzte Gruppen auf, baute Instrumente aus Pfannendeckeln, überredete Schriftsteller*innen und Musiker*innen zum Mitmachen und lockte einheimische Landwirt*innen und Geschichtenerzähler*innen an. Ich schuftete Tag und Nacht, machte keine Ferien mehr, sah meine Familie und Freund*innen kaum mehr, rannte barfuss Treppen hoch und runter, kochte jeden Tag für kleinere und grössere Gruppen, sang Volkslieder bis zur Heiserkeit und tanzte jeden Abend ums Feuer bis zum Umfallen.

Letzten Herbst kam ich um mehrere Kilo abgemagert zurück nach Bern. Ich musste Geld verdienen. Auf der Strasse traf ich kurz vor Weihnachten Herrn Würffel, und wir lehnten uns an ein öffentliches Tischchen. Er fragte mich, warum ich so abgemagert sei. Ich erzählte ihm die Geschichte meiner namenlosen Tätigkeit und fragte ihn, was Thomas Mann dazu gemeint hätte. «Alles Grosse ist ein Trotz», sagte Herr Würffel. Also doch kein Hobby. Aber jetzt, wo ich dank dieses Essays endlich über das Ganze zum ersten Mal nachgedacht habe, habe ich mich entschieden, etwas in meinem Leben zu ändern und mich für einen Kurs in Bonsaizucht anzumelden!